Halbe Eroberung des Rückraumes

Fahrbericht Mercedes E-Klasse 220 CDI Cabrio

Elegant, sportlich und vergleichsweise sparsam sucht das neue E-Klasse-Cabrio ab März seinen angestammten Platz und will auch auf der Rückbank punkten. Ein nicht vollständig überzeugender Versuch.

Von Martin Woldt

Auch das Cabrio kann nicht mehr nur als naturverbundener Schöngeist durch die Lande brausen. Es muss im Lichte des dämmernden Klimawandels mehr denn je auch seine Effizienz beweisen. Erst recht, wenn sie so offensichtlich anfechtbar ist, wie im Falle manch nutzloser Rückbank. Der offene Vorläufer der aktuellen E-Klasse, das CLK-Cabrio, besitzt so eine, die man aus verschiedenen Gründen wohl heute nicht mehr als beispielhaft beschreiben würde. Etwa wegen der zugigen Verhältnisse, die nur bei ausgesprochen schönem Wetter denselben Fahrspaß wie vorn vermitteln. Meist ist der Fond gar unbenutzbar, wenn etwa ein Windschott darüber aufspannt ist.

Die Sache mit der "Ganzjahrestauglichkeit"

Diesen häufig erstaunlich klaglos ertragenen Mangel aus der Welt zu schaffen, hat Mercedes „Aircap“ ersonnen. Auf Knopfdruck fahren dabei eine Spoilerlippe oberhalb der Windschutzscheibe und ein kleines Windschott zwischen beiden hinteren Kopfstützen aus. Um den Fahrwind auch hinten abzulenken und „auf allen vier Sitzen für spürbar weniger Turbulenzen zu sorgen.“ Das funktioniert sehr ordentlich, wenngleich die angepriesene nunmehr vorhandene „Ganzjahrestauglichkeit“ zumindest bei offenem Verdeck doch angezweifelt werden muss. Unser Test bei Außentemperaturen um die sieben Grad Celsius währte eine knappe Viertelstunde. Danach zogen wir mit kalten Ohren die deutlich besser schützende erste Reihe vor, auch weil man hier anders als hinten den freundlichen Nackenwärmer „Airscarf“ im Hintergrund hat.

Halber Schritt

Spoilerlipper oberhalb der Windschutzscheibe und Windschott zwischen den Rücksitzen Foto: Mercedes

Mag man an wärmeren Tagen mit Hilfe von Aircap auch viel standhafter sein. Die Neuerung ist nur ein halber Schritt zur Urbarmachung des Cabrio-Rückraums. Was noch fehlt, sind ungefähr zehn Zentimetern mehr Knieraum. Jeder eng bestuhlte Ferienflieger geht im Vergleich mit den rückwärtigen Platzverhältnissen im E-Klasse-Cabrio als komfortabel durch. Dass das nicht aufgefallen ist, liegt an Tanja. So heißt die Dummy-Dame, die Mercedes half, die Rückbankverhältnisse zu vermessen. Tanja trug auffällig viele Sensoren im Gesicht, aber wohl keine an ihren Knien.

Nutzung zu zweit und die Sinnfrage

Messpuppe "Tanja" Foto: Mercedes

Wenn man die Mercedes-Entwickler auf dieses Manko anspricht, wird man auf die ganz überwiegend bevorzugte Nutzung des Cabrios mit zwei Passagieren verwiesen. Was dann allerdings die Sinnfrage für das knapp 700 Euro teure Extra „Aircap“ provoziert. Zu zweit kommt man womöglich auch ohne aus. Zumal sich der cw-Wert des Autos nach dem Ausfahren von Spoiler und Windschott auf 37 deutlich verschlechtert. Geschlossen beträgt er 28. Und übrigens, ein 498 Euro teures herkömmliches Windschott ist ja auch noch im Programm. Allerdings eine Sache hat sich dank Aircap deutlich verbessert. Selbst bei flotter Fahrt bleibt das Fahrtwindrauschen auf erfreulich angenehmem Niveau. Man kann telefonieren und versteht bei einer Unterhaltung sogar sein eigenes Wort und das der anderen.

Rückkehr zur alten Bezeichnung

In zwanzig Sekunden offen Foto: Mercedes

Anders als noch beim Vorgänger signalisiert die Bezeichnung E-Klasse Cabrio die nähe zur Baureihe. Das gab es zuletzt 1993 etwa beim E 220. Ab 1998 wurde eher die gewisse Eigenständigkeit des Cabrios als CLK stärker betont. Heute unterscheiden sich auch noch immerhin 40 Prozent der Bauteile von denen der Limousine. Und doch ist die Rückkehr zur E-Klasse-Bezeichnung mehr als gerechtfertigt. Die gewollten Ähnlichkeiten im Design, etwa der Wechsel von konvexen und konkaven Flächen an den Flanken geben dem Cabrio eine betont sportliche Note. Straff spannt sich die Außenhaut in sanft abfallender Keilform von den Heckleuchten bis zum Kühlergrill. Und auch das in zwanzig Sekunden öffnende Stoffdach zerstört den hohen Wiedererkennungswert nicht. Fast scheint es, als strebe es in seinem tiefen Schwarz nach höchstmöglicher Unauffälligkeit, damit das Auto offen erscheint, selbst wenn das gar nicht der Fall ist.

Start-Stopp ab Sommer

Das neue E-Klasse-Cabrio Foto: Mercedes

Sieben Motoren zwischen 170 und 388 PS stehen dem E-Klasse-Cabrio zur Verfügung. Dass sie alle mit Ausnahme des E500 den Beinamen „BlueEfficency“ tragen, beweist auch an dieser Stelle den Generalverdacht, dem sich der Fahrspaß heute ausgesetzt sieht. Ab Juni soll die 184 PS starke Einstiegsvariante E200 CGI (45.815 Euro) neben dem serienmäßigen Automatikgetriebe auch eine Sechsgangschaltung mit Start-Stopp-Funktion bekommen. Zu den allgemeinen Spritsparmaßnahmen zählen Dinge wie der Einsatz von rollwiderstandsarmen Reifen oder der feingetunte Einsatz des Bordgenerators zur Stromerzeugung. Das sehr ausgewogene Fahrgefühl wird davon nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil, das von uns getestete E 220 CDI Cabrio überzeugte mit kraftvollem Antritt und kultiviertem Geräuschniveau. Allenfalls die 7GTronic wie im E 350 CDI mit ihrer fast unterbrechungsfreien Kraftentfaltung weist darauf hin, dass die Fünfgang-Automatik nicht das None-plus-Ultra sein muss. Der Verbrauch des 220 CDI wird mit 5,4 Litern Diesel angegeben. Mit Automatik liegt er um 6,2 Liter. Mit 47.719 Euro markiert der 220 CDI auch den Diesel-Einstiegspreis, der die Preisskala bis zum 71.519 Euro teuren E 500 fortsetzt.

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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