Frontal-Angriff

Abt VW Golf GTI gegen Ford Focus RS

Wer in der sportlichen Kompaktklasse etwas reißen will, muss den Golf GTI schlagen. Da der mit gerade einmal 210 PS zu schwach ist, nimmt sich der Ford Focus RS gleich die Abt-Version mit 300 Pferden vor.

Von Stefan Grundhoff

Der Ford Focus RS gilt derzeit als stärkster Fronttriebler auf der Welt. Reihenweise fährt er die Konkurrenz in Grund und Boden. Interessierte sich für das Thema Sportlichkeit im Hause Ford lange Jahr kaum jemand ernsthaft, so machten die Kölner beim Straßenableger der Focus-Rallyeversion ernst. Giftgrüner Lack, gigantische Schweller, noch größere Spoiler und wild blubbernde 305 PS verheißen für einen Fronttriebler nichts Gutes. Bei Volkswagen hält man sich mit einer Antwort auf diesen Kraftprotz noch bedeckt. Der gewohnt starke Golf GTI ist fahrdynamisch und in Sachen Leistungsspektrum über jeden Zweifel erhaben, doch mit 210 PS hängen die RS-Trauben für den umtriebigen GTI-Fahrer allzu hoch.

Ungewohnte Souveränität

Motorsport-Tuner Abt hat das Fehlen eines echten Kraftprotzes aus dem GTI-Lager erkannt und verleiht dem Golf in zwei Leistungsstufen Flügel. Entweder, man mag es bissig, dann reicht die 260-PS-Version. Deutlich wilder ist man mit dem Abt Power S Golf GTI unterwegs. Mit einem geänderten Turbolader und zahlreichen Modifikationen an Fahrwerk, Karosse, Bremsen und Abstimmung hat sich dieser sich zu 221 kW / 300 PS emporgearbeitet und begegnet dem Focus RS auf Augenhöhe. Der eine vom Tuner, der andere vom Hersteller - wer ist der bessere? Beide bieten rund 300 PS, grandiose Fahrleistungen und eine Höchstgeschwindigkeit von deutlich über 250 km/h. Kein Problem, den Kunden eines künstlich eingebremsten BMW M5 oder einer Mercedes S-Klasse zu nerven und schließlich sogar stehen zu lassen.

Bei der Kombination aus 300 PS starken Triebwerken und Frontantrieb stellt sich die Frage, ob eine derartige Leistung überhaupt auf die Straße zu bringen ist. Der Focus RS erledigt dies mit einer ungewohnten Souveränität. Nicht, dass der über 1,4 Tonnen schwere Kölner nicht im Grenzbereich an der Lenkung ziehen würde - im Gegenteil. Doch angesichts der üppigen Motorleistung geschieht dies durch die aufwendige Vorderachse mit Sperrdifferenzial ungewöhnlich unspektakulär. Man weiß vorher, was der Vorderradantrieb macht und stellt sich am griffigen Steuer leicht darauf ein. Ganz anders sieht das ganze jedoch bei welliger Fahrbahn oder nassem Untergrund aus. Spätestens hier wünscht man sich einen Allradantrieb, um den die Ford-Ingenieure wegen der erhöhten Entwicklungskosten jedoch einen Bogen machen mussten.

Focus ausgewogener

Grün und stark Foto: AG/Flehmer

Der Abt GTI muss ebenfalls ohne 4x4-Vortrieb auskommen. Auch er verfügt über ein Sperrdifferenzial an der Vorderachse, bringt seine wilden Leistungsschübe jedoch deutlich unkommoder auf den Untergrund. Bereits bei mittlerem Tempo machen sich die Kraftflüsse im Steuer deutlich bemerkbar. Gibt man Vollgas, geht der GTI auch in der Kurve allzu bissig geradeaus und man hat des öfteren Probleme, die 300 PS auf die Straße zu bekommen. Dafür präsentiert sich das Heck des Golf ausgewogener. Beim Focus RS schwänzelt das Heck im Grenzbereich schnell nach außen - beim GTI ist es stoisch ruhig. Im Innenraum begegnen sich beide mit bequemen Sportsitzen und einer guten Serienausstattung ebenfalls auf Augenhöhe.

Dass beide Fahrzeuge über stark modifizierte Fahrwerke mit einer gesunden Härte verfügen, versteht sich von selbst. Breite 19-Zöller mit einem geringen Querschnitt unterstreichen die Härte nochmals eindrucksvoll. Dafür halten sich Bewegungen auf der Hochachse angenehm im Rahmen und gerade auf kurvigen Rennpisten oder Passstraßen ist es eine wahre Freude, die einen wie den anderen zu bewegen. Dass der Focus in allen Bereich einen etwas ausgewogeneren Eindruck macht, ist dabei kein Zeichen einer Schwäche beim Abt-GTI, sondern schlicht die Stärke des exzellenten RS-Pakets.

280 auf dem Tacho

Kraftvolle Aggregate unter den Hauben Foto: press-inform

Fahrwerk, Lenkung, Handling und Bremsen sind beim Abt GTI gut und klasse beim Focus RS abgestimmt. Die manuellen sechs Ford-Gänge zu schalten ist eine wahre Wonne. Dass Kupplung und Getriebe bei schneller Gangart Höchstleistungen zu vollbringen haben, merkt man allenfalls am Rande. Ausgewogen und kompromisslos sportlich dabei auch das Gesamtbild des Abt GTI. Er wirkt härter und ambitionierter, aber ruppiger und im Grenzbereich weniger ausgewogen.

Doch die große Stärke des Golfs ist sein Triebwerk. Der über neuen Turbolader und Motorelektronik auf 221 kW / 300 PS erstarkte Vierzylinder mit zwei Litern Hubraum ist ein unglaublicher Kraftprotz. Greift der Turbo mit seinem maximalen Drehmoment von 400 Nm erst einmal ein, gibt es kein Halten mehr. 0 auf 100 km/h in 6,1 Sekunden. Der Abt schiebt, schiebt und schiebt. Selbst Bergauf sind Tempo 260 kein Problem. Auf gerade Strecke knackt der Tacho die 280er Marke - real sind es 268 km/h. Da kann der Focus RS nicht mithalten. Da ein entsprechend leistungsstarkes Triebwerk im Ford-Regal fehlt, bediente man sich des 2,5 Liter großen Fünfzylinders aus dem Hause Volvo. Entsprechend modifiziert betört dieser mit bulligem Fünfzylinderklang, bissigen 224 kW / 305 PS und 440 Nm Drehmoment seinen Piloten. 0 auf 100 km/h schafft der Ford in 5,9 Sekunden.

Golf mit mehr Biss und weniger Verbrauch

Sportlicher Innenraum Foto: Ford

Jedoch tut sich der Focus RS gerade ab 220 km/h deutlich schwerer als der bei Abt aufgedrehte GTI. Dabei ist es nicht die Doppelkupplung, die sich beim Ur-Wolfsburger positiv bemerkbar macht. Der Golf hat schlichtweg deutlich mehr Biss. Der Vierzylinder ist trotz weniger Hubraum drehfreudiger und wirkt deutlich kraftvoller. So drückt sich der Focus RS mit Mühen über die 250er-Marke; knackt sie schließlich doch und schafft nach Tacho ebenfalls 270 km/h.

Das böse Erwachen gibt es an der Zapfsäule. Der betagte Fünfzylinder im Focus hat einen tollen Sound, doch ebenfalls einen unstillbaren Durst. Bei schneller Fahrweise verbraucht er mehr als 16 Liter Super auf 100 Kilometern und selbst im Durchschnitt liegt der Kraftprotz bei 13,7 Litern. Unglaublich viel. Darüber kann der Pilot eines Golf GTI aus dem Hause Abt nur müde lächeln. Denn wer normal unterwegs ist, kommt mit rund zehn Litern Superkraftstoff auf 100 Kilometern aus.

Preisunterschied gibt den Ausschlag

Unter dem Strich gewinnt der Ford Focus RS diesen Vergleich jedoch deutlicher als erwartet. Der Grund ist nicht nur das exzellente Sportpaket an sich, sondern ein mit 33.900 Euro nahezu unschlagbarer Preis. Dadurch kann er auch die Schwächen beim veralteten Fünfzylinder-Motor nahezu vergessen machen. Nie war es dynamischer einen Fronttriebler zu fahren und ein Golf GTI beißt sich selbst dann an ihm die Zähne aus, wenn Tuningspezialist Abt ihm Flügel verliehen hat.

Der Abt Golf GTI bietet auf der Autobahn deutlich mehr Speed als der GTI. Doch die 90 Mehr-PS muss man sich mit 5.300 Euro (allein für den Motor) teuer erkaufen. Mit entsprechendem Body-Kit kostet der Abt Golf GTI deutlich über 42.000 Euro. Und rein fahrdynamisch wäre bei solch einer Mehrleistung eine Allradversion die deutlich bessere Wahl.

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