Ferrari 612 Scaglietti: Schwarze Schönheit

Wer hat eigentlich getönt, dass ein Ferrari immer rot sein muss? Wer einmal einen betörend schönen 612 Scaglietti in dezentem schwarz vor Augen gehabt hat, dürfte nie wieder von roten Rennern aus Maranello träumen. Gibt es schönere Coupès als einen dunklen 612er?

Von Stefan Grundhoff

Es gibt nicht viele Hersteller, die in der heutigen Zeit noch einen Gran Tourismo bauen können. Die meisten versuchen es längst nicht mehr. Bentley, Aston Martin, Mercedes-Benz und BMW - die Liste der klassischen 2+2-Sitzer unserer Zeit ist alles andere als lang. Dabei sind diese Luxuslimousinen mit zwei meist mächtig dimensionierten Türen für viele die Krone der automobilen Baukunst. Einmal mehr, wenn sie eine derart perfekte Symbiose zwischen Eleganz und Sportlichkeit wie ein Ferrari 612 Scaglietti bilden.

Einreihung in GT-Historie

Die Norditaliener wollten ihrem Star-Kreateur der 50er und 60er Jahre ein Denkmal setzen. Wie kaum ein anderer dominierte Sergio Scaglietti über Jahrzehnte die Linien der großartigen Ferrari-Coupès. Erst in der Neuzeit gab er einem 2+2-Sitzer selbst seinen Namen.

Der 612 Scaglietti ist einer der schönsten Ferraris überhaupt. Er reiht sich ein in eine GT-Historie von 250 GT, 365 GT oder den 400ern. Doch selbst Traditionalisten sollten ehrlich sein. Gab es schon einmal einen GT, der schöner war? Man kann trefflich darüber streiten, ob man dem 612er seine fahrdynamischen Qualitäten auf den ersten Blick ansehen kann.

Fahrmaschine mit Rennsportgenen

Flache Flunder Foto: press-inform

Auch wenn man sich hinter dem Steuer des Scaglietti zumindest optisch Piloten wie Pierce Brosman oder Sky DuMont wünscht, taugt der 4,90 Meter lange Hecktriebler durchaus als Dienstfahrzeug des deutlich jüngeren, mittlerweile jedoch im Ruhestand befindlichen Michael Schumacher.

Der Ferrari 612 ist eine Fahrmaschine, gerade in Verbindung mit der optional erhältlichen F1-Schaltung. Mit dem Rennsportgetriebe, Karbon-Bremsen, Sportfahrwerk und ebensolcher Auspuffanlage kennt die Fahrdynamik hinter dem griffigen Formel-Steuer kaum Grenzen. Die einen mögen den Sound des Zwölfenders als zu laut empfinden. Der gemeine Ferrari-Interessent vernimmt ihn als akustisches Lockmittel, was zumeist das Zücken der Brieftasche nach sich zieht.

Flache, röhrende Flunder

Eine solche Reise-Limousine mit Sportwagenattributen sieht man nicht alle Tage. Wer im auf der Autobahn begegnet, sieht und hört im Rückspiegel meist nur eine flach auf der linken Fahrspur heranröhrende Flunder. Der 5,8 Liter große Zwölfzylinder leistet akustisch deutlich vernehmbare 397 kW / 540 PS.

Wer es darauf anlegt und die italienischen Rösser unter der endlos langen Motorhaube trampeln lässt, erlebt sein automobiles Weltwunder. Vom Stand bis auf Tempo 100 vergehen kaum mehr als vier Sekunden. Wer allein die Zahlen liest, weiß kaum, ob das nun schnell oder langsam schien. Daher am besten nochmals die Start-Prozedur.

Hohe Drehzahlen erforderlich

Helles Leder sorgt für Licht Foto: press-inform

Die eleganten Linien, die Orgie aus Leder und Ziernähten macht es einem schwer seine Sinne auf das wesentliche zu konzentrieren. Eines steht fest: der Ferrari liebt hohe Drehzahlen und lässt sich gerne über 5.500 U/min halten. Unten herum ist der knapp 1,9 Tonnen schwere Barde angesichts seiner Potenz recht träge unterwegs. Zumindest deutet unter 4.000 Touren kaum etwas auf Kraftausbrüche außergewöhnlicher Art hin.

Wer die Zügel locker lässt und über die metallenen Schaltpaddel geschickt die Fahrstufen einlegt, fühlt die Formel-1-Atmophäre erst beim dritten oder vierten Anlauf. Dazu ist nicht einmal das Ausfahren der versprochenen 320 km/h Spitzengeschwindigkeit nötig.

Irgendwie anders

Das Fahrwerk ist Ferrari 612 Scaglietti ist sportlich straff. Nicht dieses straff wie bei einem BMW 650i oder einem Mercedes CL 63. Irgendwie anders - puristischer, ohne dabei wirklich unkomfortabler zu sein. In schnell gefahrenen Kurven genießen nicht nur Herrenfahrer wie Brosnan oder DuMont das unglaublich neutrale Fahrverhalten.

Der schwere Zwölfzylinder liegt hinter der Vorderachse - auch ein Grund weshalb der Innenraum alles andere als üppig dimensioniert erscheint. Das Getriebe liegt zielgerichtet im Heck. Zusammen mit der Aluminiumkarosserie sorgt das für eine Gewichtsverteilung von 54 Prozent an der Hinterachse. Ein Garant dafür, dass die satte Motorleistung nicht im Nirwana verpufft und sich erst auf der Straße entlädt. Einlenkverhalten, Geradeauslauf und Bremsvermögen genügen höchsten Ansprüchen.

Innenraum überrascht negativ

Innenraum nicht elegant ausgestattet Foto: press-inform

So sehr es auch überrascht - kann man dies vom Innenraum nicht sagen. Das hell-beige Schedoni-Leder passt ausgezeichnet zum schwarzen Außenlack, aber nicht nur groß gewachsene Piloten haben es schwer, eine wirklich perfekte Sitzposition zu finden. Und perfekt sitzen muss man von einem Fahrzeug der 230.000-Euro-Liga verlangen können.

Schalter und Bedienelemente hat man bei deutlich preiswerteren Fahrzeugen aus dem Fiat-Konzern mehr als einmal gesehen. Die Lenkstockhebel haben in einem Ferrari nun wirklich nichts zu suchen. Da schauert es jeden Mittelklasse-Chauffeur. Dazu ein Radio-Navigationssystem aus dem Hause Becker. Mehr als einen wenig charismatischen Ferrari-Schriftzug gibt es nicht. Ein übersichtlicher Bildschirm - Fehlanzeige.

Kein Platzangebot für hinten

Kaum Platz hinter den Vordersitzen Foto: press-inform

Der Kofferraum ist alles andere als opulent. Das trifft auch auf den Fond zu. Die beiden Sitzschalen eignen sich besser zum Aufbewahren von edlen Einkauftaschen. Denn wirklich bequem sitzt man in der zweiten Reihe nur eingeschränkt. Und der eleganten Coupè-Optik tun dort untergebrachte Personen ebenfalls nicht gut.

Grandioses Reisecoupé

Viel Fahrfreude oberhalb der 200er-Grenze Foto: press-inform

Es ist alles andere als eine Überraschung, der Ferrari 612 Scaglietti ist ein wahrer Traumwagen. Ein grandioses Reisecoupè, das man sich auf der Strecke München - Modena wünscht. Vorher hieße es jedoch Abkommen mit den örtlichen Streifenpolizisten zu schließen. Zumindest mit Tempo 260 sollte man schon unterwegs sein dürfen - gerne auch etwas mehr.

Ein entsprechender Kontrakt mit einigen Tankstellenbetreibern wäre ebenfalls ganz im Sinne des Fahrers. Mit 25 Litern pro 100 Kilometern sollte man durchschnittlich kalkulieren. Dabei geht es mehr um das nervige Nachtanken, denn um die Benzinkosten. Die interessieren bei einem Basispreis von 221.100 Euro wahrhaft niemanden. Mit der ein oder anderen motorsportlichen Annehmlichkeit geht der Ferrari 612er für mindestens 240.000 Euro aus den elitären Showrooms der oberen Zehntausend.

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