Die bösen Brüder Lamborghini

Murciélago und Gallardo stehen für zwei Generationen Fahrzeugentwicklung im Hause Lamborghini. Ein wahrhaft märchenhaftes Treffen zweier unterschiedlicher Geschwister.

Von Tobias Renk

Es waren einmal zwei Brüder. Die sahen sich recht ähnlich. Aber es gab auch Unterschiede. Sie hatten nämlich denselben Vater, aber zwei Mütter. Der ältere Bruder kannte seine Mutter gar nicht, der jüngere hingegen war von seiner Mutter - die aus dem bayerischen Ingolstadt stammt - von Geburt an sorgsam aufgezogen worden, ja sogar ein wenig verhätschelt.

Ruppig contra elegant

Vielleicht war diese Erziehung ja der Grund, dass er bisweilen ein bisschen rabaukig war. Lauter jedenfalls als sein älterer - und größerer und schwererer - Bruder. Der wirkte insgesamt gelassener, ruhiger. Wenigstens auf den ersten Blick. Aber wehe, wenn er in Fahrt kam. Dann gab es kein Halten mehr, er brüllte und tobte, und nichts, aber auch gar nichts mehr war von seinen guten Manieren und seiner ursprünglichen Gemütlichkeit zu erkennen. Dann musste sogar der kleine, manchmal ein wenig großmäulige Bruder zurückstecken.

Übrigens tragen beide Brüder den Familiennamen Lamborghini. Der kleinere ist auf den Namen Gallardo getauft worden, der größere heißt, nicht minder wohltönend, Murciélago.

Und beide Autobrüder fahren für ihr Leben gern - und zwar so, wie sie auch sonst sind: der eine ein klein wenig ruppig, mit heiserem und bisweilen dröhnendem Organ, oft mit einem bösen Bellen zwischendurch. Der andere auch nicht gerade leise, aber mit vollerem und vielstimmigerem Sound. Und genau so bewegt er sich auch: unauffälliger, elastischer, weniger kantig, auch ein wenig eleganter.

Gallardo für das Gebirge

Allerdings nur bis zu einem bestimmten Tempo. Danach wird Murciélago richtig wild. Bisweilen auch böse. Dann verlangt er auch von seinem Dompteur viel mehr als Brüderchen Gallardo, dem zum Beispiel die Gnade des späten ESP zuteil geworden war. Der Murciélago muss mit TCS vorlieb nehmen, dem Traction Control System. Vater und Mutter hatten ESP noch nicht auf dem Plan gehabt, damals, in den Neunzigern, als man sich über Nachwuchs M. Gedanken gemacht hatte. M. neigt deshalb auch schon mal zu gewissen Ruppigkeiten, vor allem hinten rum.

Familientreffen: Lamborghini Gallardo (l.,r.) und Murciélago Foto: Press-Inform

Besonders in Kurven natürlich merkt man außerdem, dass der Murciélago schwerer ist, ebenso seine Körpergröße. Deshalb hat man ihm auch vorne relativ (!) schmale Reifen verpasst, damit er stets die Kontrolle behält, weil er älter ist, muss er sich zudem mit etwas kleineren Raddurchmessern als G. abfinden. Der wiederum hat einen Hang zum Gebirge. Er fühlt sich wohl auf bergigen Routen, in scharfen Kurven und fiesen Haarnadelkehren.

Kein Wunder: Er ist ja auch ein richtig Kompakter, gerade mal 430 Zentimeter lang, einsneunzig breit und mit seinem Aluminiumrahmen und -kleid nicht einmal 1600 Kilogramm schwer. Auch sein Zehnzylinder-Motor baut eher leicht. Hinzu kommt ein permanenter Allradantrieb, mit dem er auch auf der Rennstrecke eine gute Figur macht.

...und Murciélago für die Autobahn

Der Murciélago mag die Berge zwar auch, und den Rundkurs verschmäht er - mit adaptiven Stoßdämpfern und ebenfalls mit Quattro-Antrieb ausgestattet - keineswegs, aber am liebsten sind ihm große freie Straßen mit langen Kurven, vor allem die Autobahn. Da ist er auch richtig schnell - mehr als 340 km/h sind drin, sagen seine Schöpfer. Damit er ordentlich wieder eingefangen werden kann, lässt sich der Große bei Bedarf mit Karbon-Keramikbremsen adoptieren - für noch einmal viel Geld.

Offen für Richtungswechsel: Lamborghini Gallardo Spyder Foto: Werk

Und so passen die beiden Brüder, bei allen Unterschieden, doch wieder recht gut zusammen. Bis auf eine Differenz: Der Murciélago ist für sehr viel mehr Geld zu haben als Bruder Gallardo. Mindestens 250.000 Euro kostet er seinen Besitzer, rund 100.000 mehr als der andere. Und damit wird auch eines klar: Wer Gallardo erwerben will, der schaut - trotz allem - noch aufs Geld. Murciélago-Habenwoller tun das nicht mehr. Schön, dass die Eltern zwei solche Söhne haben.

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