Aus tausendundeiner Nacht: Maybach 62S

Normale Luxuswagen sind etwas für Hungerleider – zumindest dann, wenn man sie aus einem Maybach 62S betrachtet. Das Fazit einer Testfahrt, natürlich standesgemäß im Rücksitz-Abteil.

Von Stefan Grundhoff

Das turbulente Treiben auf Dubais Straßen rauscht irreal an einem vorbei. Lärm von außen, Fahrtwind oder gar Stimmen sind nicht zu vernehmen. Ist es die Mega-City Dubai oder der 520.000 Euro teure Maybach 62S, der einen der normalen Welt so weit entrückt hat?

Grenzenlose Behaglichkeit

Und: Wo passt solch eine Luxuskarosse besser hin, als nach Dubai? Das pulsierende Emirat, das mit künstlichen Inseln, dem bald höchsten Gebäude der Welt und scheinbar unbegrenztem Reichtum in die erste Reihe strebt. Hier spielt Geld schon lange keine Rolle mehr. Was sind da schon 500.000 Euro für einen Dampfhammer der anderen Art? Einen Business-Jet, der einen die Unwägbarkeiten des Alltags vergessen lässt.

Liegesitze, eine Armada elektrischer Helfer und dickes Dämmglas lassen die Welt an einem nur so vorbeihuschen. Der Chauffeur sorgt derweil dafür, dass der 6,20 Meter lange Maybach unbeschadet durch den Verkehr des Emirats kommt. Auf der Autobahn von Dubai nach Abu Dhabi fällt das Luxus-Schlachtschiff nicht einmal sonderlich auf. An den meisten Fahrzeugen fliegt er geräuschlos vorbei. Weder im Stand noch während der Fahrt gibt der doppelt aufgeladene Zwölfender einen Mucks von sich.

1000 Nm Drehmoment

Auch mal die Beine ausstrecken... Foto: Werk

Mit 450 kW / 612 PS und einem maximalen Drehmoment von 1000 Nm Drehmoment ist der 62S nach verlängerte Version des 57S nochmals eine ganze Ecke hurtiger als der normale Maybach 62, der mit kargen 550 PS auskommen muss. Der Fahrer hinterm Volant schwört Stein und Bein, dass man keinen Unterschied zwischen beiden Triebwerken bemerkt. Vielleicht muss man ihn austauschen, denn bei Vollgasorgien kann man das sanfte Leistungsplus durchaus erahnen.

Brauchen tut das selbstverständlich keiner. Wichtiger als Beschleunigung und schnödes Tempo ist auch der uferlose Komfort, mit dem man im neuen Maybach 62S unterwegs ist. Die hinteren beiden Sitzplätze lassen sich grenzenlos verstellen. Leicht geneigt, doch stärker, oder gar liegend - mit Massage oder ohne - oder mit Blick auf den sanft illuminierten Innenhimmel. Alles scheint in diesem Vehikel möglich und so ist es wohl auch. Wenn die exakt 517.600 Euro Einstandspreis nicht reichen, kann noch großzügig draufgesattelt werden.

Warum den Privatjet nehmen?

Frage: Auto oder Luxusjacht? Foto: Werk

Abgetrennter Fond, aparte Intarsien im Holz oder eine Schutz gebende Sicherheitspanzerung sind auf Wunsch noch in das Fahrzeug zu integrieren. Wer einmal in ihm unterwegs war überlegt sich, ob er für Strecken von weniger als 1000 Kilometern überhaupt noch den hauseigenen Privatjet aus dem Hangar fahren lässt. Zumindest liegt und schläft man besser im Fond des Maybach.

Das Beste daran ist, dass vielen der Maybach im Straßenbild gar nicht auffällt. Das ist wohl einer der Gründe, weshalb sich die Edelmarke aus dem Hause Mercedes-Benz bisher so schwer tut. Ehemals hatte man geplant, pro Jahr 800 bis 1000 Fahrzeuge in die Welt der Schönen und Reichen zu entlassen.

Design nicht unbedingt ein Hingucker

Edel, aber nicht unbedingt auffällig Foto: Werk

Derzeit sind es rund 400 Fahrzeuge, die in der Maybach-Manufaktur in feinster Handarbeit erstellt werden. 40 Prozent gehen in die USA, 40 Prozent nach Europa - der Rest fliegt nach Asien und in den Orient. Aber das Design des Maybach ist kein Hingucker. Erst recht nicht, wenn man ihn nur von vorne oder hinten betrachtet.

Schwebt er ähnlich wie ein orientalischer Teppich in Zeitlupengeschwindigkeit an einem vorbei, sieht das ganze schon anders aus. Dieser sanft schimmernde dunkle Lack, diese 20 Zoll großen Leichtmetallfelgen und eine Fensterlinie, die nicht zu enden scheint. Patrick Marinoff, Markenmanager von Maybach: «Dieses Fahrzeug hätte auch Oscar Wilde gefallen. Jedes Fahrzeug ist ein absolutes Einzelstück. Der Luxus pur.»

Ein Tacho für den Fond

Tacho immer einsehbar Foto: Werk

Viele unterschätzen aber, dass das Maybach-Quartett nicht nur unerreicht teuer, sondern auch ein Wunder auf Reifen ist. Immerhin wiegt die Luxuskarosse 62S knapp drei Tonnen und die wollen bei Bedarf auch im Grenzbereich adäquat bewegt werden. Mit seiner mächtigen Motorleistung von über 600 PS kann man den Maybach scheuchen, bis es qualmt.

Das Fahrwerk ist kaum aus der Ruhe zu bringen. Nick- und Wankbewegungen sind kaum spürbar - und schon gar nicht im Schlafgemach der zweiten Reihe. Der Maybach 62S ist ebenso wie seine drei Brüder eine grenzenlos luxuriöse Sänfte. Fahrbahnunebenheiten, Gullydeckel und Fugen gibt es auch hier in Dubai, aber man kennt sie nur vom Hörensagen.

In 5,2 Sekunden auf 250 km/h

Wüstenschiffe unter sich Foto: Werk

Gut, dass einem zumindest der Drehzahlmesser den Betriebszustand signalisiert. Lieber 612 statt 550 PS, denn Leistung kann man schließlich nie genug haben. Das dürfte auch Oscar Wilde kaum anders gesehen haben, als die Millionen Autofahrer auf der ganzen Welt. Dass man eine drei Tonnen schwere Limousine ganz ohne Düsentriebwerk tatsächlich in 5,2 Sekunden auf Tempo 100 beschleunigen kann, glaubt man erst, wenn man es selbst einmal ausprobiert hat. Völlig egal ob hinter dem Steuer oder standesgemäß hinten rechts.

Denn auch hinten gibt es einen Tachometer, gleich neben dem Thermometer, das an diesem Februarmorgen an der Küste von Abu Dhabi noch immer 30 Grad Celsius anzeigt. Man braucht auch gar nicht darüber zu sinnieren, ob die Werksangabe von 16,4 Litern Super auf 100 Kilometer real oder aus 1001 Nacht stammt. 250 km/h Spitze sollten ebenfalls reichen.

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