2WD vs. 4WD: Eine Frage des Prinzips

Für Extremsituationen ist ein Allradantrieb von unschätzbarem Vorteil. Im normalen Straßenbetrieb reichen selbst im Winter in der Regel zwei angetriebene Räder völlig aus, wie Sebastian Viehmanns Test zeigt.

Viele SUVs, die über einen «permanenten» Allradantrieb verfügen, entpuppen sich bei genauerem Hinsehen eigentlich als Mogelpackungen. Denn bei normalen Straßenverhältnissen sind sie als reine Fronttriebler unterwegs. Nur bei Bedarf wird die Kraft auf alle vier Räder verteilt. Das macht Sinn. Schließlich wird der Allradantrieb in den meisten Alltags-Fahrsituationen gar nicht benötigt und sorgt nur für einen höheren Verbrauch. Warum also nicht gleich auf die teurere Allrad-Variante verzichten? Meist sind es ja ohnehin vor allem die hohe Bodenfreiheit, die gute Übersicht und die Optik, die SUV-Fahrer an ihren Autos schätzen. Auch von Nissans kompaktem Trendmobil Qashqai gibt es eine 2WD- und eine 4WD-Variante.

Gefühlvolles Fahren gefragt

Einfaches Zuschalten Foto: Press-Inform

Wir haben beide im eisigen Norden Lapplands getestet. Dort sieht die Landschaft auch im März noch aus wie ein Wintermärchen - und Autos müssen sich täglich im Härtetest auf Schnee und Eis neu beweisen. Selbst auf spiegelglatten Straßen und verschneiten Pisten konnten wir zunächst kaum einen Unterschied zwischen den beiden Qashqai feststellen. Im Winter gibt es mit allen Antriebsarten eine eiserne Grundregel: Bloß keine hektischen Bewegungen. Gefühlvoll, bitte.

Lenken, Gas geben, bremsen - alles muss deutlich vorsichtiger und weicher vonstatten gehen als auf trockener Straße. Denn während dort im Idealfall 100 Prozent der Antriebskraft über die Räder auf die Straße übertragen werden, ist es auf Eis und Schnee nur noch ein gutes Drittel. Schlägt man die Lenkung auf einem glatten Fahrbahnabschnitt zu weit ein und bekommen die Räder auf einem anderen Abschnitt plötzlich wieder Haftung, ist die Kontrolle über das Auto schnell verloren. Selbst Allradantrieb kann dann nicht mehr viel helfen. Auch wenn praktisch alle Hersteller allradgetriebener Fahrzeuge mit der überlegenen Traktion auf jedem Untergrund werben: die Geschwindigkeit bleibt der entscheidende Faktor. Geht man zu schnell in die Kurve, sind auch die tollsten Systeme nur noch Ballast, der das Bewegungsmoment verstärkt. Auf der anderen Seite heißt das: In vielen Fahrsituationen braucht sich der gute alte Frontantrieb selbst im Winter nicht verstecken - wenn man es nur langsam angehen lässt.

Reifen frühzeitig umrüsten

Besonders wichtig ist dabei der richtige Reifen. Winterreifen bleiben wegen ihrer speziellen Gummimischung auch bei niedrigen Temperaturen griffig und flexibel, während Sommerreifen schnell aushärten und die Haftung verlieren. Auch das Profil der Winter-Pneus macht die gute Traktion auf winterlichem Untergrund erst möglich. Der Schnee drückt sich in die breiten Profilrillen und sorgt für zusätzliche Haftung. Beim Anfahren und Bremsen verformen sich die weichen Profilklötze und liefern so den nötigen Grip. Einen Allradler mit Sommerreifen im Winter zu fahren und sich auf das vermeintlich überlegene Antriebskonzept zu verlassen, sorgt immer wieder für böse Überraschungen.

Unterschiede beim Anfahren

Beim Anfahren spielt der Allradantrieb seine Vorteile aus Foto: Press-Inform

Beim Anfahren auf glatter Piste hat der Qashqai 2WD trotz seiner Winterreifen freilich das Nachsehen. Der Allradler schickt nach einer kurzen Bedenkzeit seine Kraftreserven gut dosiert auf alle vier Profile - und schnurrt davon. Beim Fronttriebler heißt es: vorsichtig Gas geben. Oder gleich im zweiten Gang anfahren. Doch ein unlösbares Problem gibt es bei halbwegs festem Schnee auch für den 2WD nicht.

Seinen größten Vorteil spielt der Qashqai 4WD auf steiler Strecke aus. Beim Anfahren am Berg kann der Allradantrieb am besten seine Überlegenheit beweisen. Der Fronttriebler gerät in die Bredouille und kämpft gegen die Traktionskontrolle. Das ESP versucht zu regeln, kann ein Ausbrechen des Fahrzeugs immerhin verhindern. Reicht die Bewegungsenergie der letzten Talfahrt noch aus, um den Fronttriebler mit leichten Korrekturen über die Steigung zu befördern, ist alles kein Problem.

Sobald man aber einmal steht, hilft nur noch ein neuer Anlauf. Dagegen zieht der Qashqai 4WD souverän an seinem Kollegen vorbei. Sobald Schlupf an den Vorderrädern entsteht, schickt das elektronische geregelte Verteilergetriebe die passende Portion Drehmoment an die Hinterräder.

Tiefschnee als Härtetest

Ein Härtetest für jedes Allradauto ist Tiefschnee. Hier muss der Fronttriebler passen. Aber auch der Allradler stößt irgendwann an seine Grenzen. Zum Glück steht eine Längssperre zur Verfügung. Der «Lock»-Modus koppelt Vorder- und Hinterachse bei einer festen Antriebsverteilung von 57:43. Irgendwann hilft aber auch das nicht mehr - erst mit Muskelkraft beim Anschieben können wir den SUV aus der weißen Pracht befreien.

Aber in Lappland weiß man sich zu helfen, wenn es anscheinend gar nicht mehr weitergeht: Schlittenhunde sind bis heute ein beliebtes Transportmittel. Und noch flotter geht es mit dem Schneemobil voran - die Höchstgeschwindigkeit liegt hier übrigens bei abgeregelten 120 km/h.

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