Buckel-Volvo PV 444 gegen XC40: Alter Schwede

Buckel-Volvo PV 444 gegen XC40: Alter Schwede
Der Volvo PV 444 wurde 1957 gebaut © Volvo

Technischen Fortschritt nehmen wir als selbstverständlich. Beim Flair indes liegt der „Buckel-Volvo“ PV 444 zum XC40 deutlich vorn.

Natürlich werden Autos immer besser. Der Fahrvergleich zwischen einem Volvo Baujahr 1957 und einem von 2021 macht aber auch klar, was Autofahren in den vergangenen Jahrzehnten verloren hat – nämlich Gefühl für Geschwindigkeit: In modernen Neuwagen kann das schnell zu Selbstüberschätzung führen.

Ein wolkenverhangener Sommermorgen in Münster. Wie gut, wenn man da die Zeit ein wenig zurückdrehen kann. Vor der Tür wartet ein Buckel-Volvo PV 444 – daneben steht das aktuelle Elektro-SUV XC 40 der Schweden. Aber nur zum Vergleich. Los geht die Reise im „Volksvagn von Ole Medel-Svensson“ aus den Fünfzigern, damals Traumauto schwedischer Normalverdiener.

Zeitreise am dürren Steuerrad

Überschaubares Cockpit – und statt Klimaanlage gibt’s im PV 444 Ausstellfenster. Foto: Volvo

Schon auf dem ersten Meter wird klar, dass dies eine Zeitreise ist: „Krack“ sagt das Getriebe; bitte nicht vergessen, dass der erste der drei Gänge nicht synchronisiert ist. Das bedeutet: Er mag ein bisschen Anstoß vom Gasfuß vor dem Einlegen des Ganges, erst dann drehen sich die Zahnräder im gleichen Takt. „Förlåt” – wie sich der Schwede entschuldigt.

Überhaupt stellt sich am dürren Steuerrad des Oldtimers sofort die ganz persönliche Beziehung zum automobilen Gefährten ein. Die musste damals jeder Lenker beherzigen, wollte er lang Freude am Zusammenleben haben. Ein leichtes Zittern der Motorhaube ab Tempo 75 sagt etwa: Es sollte heute nicht weiter Richtung der utopisch-maximalen 150 auf der Geschwindigkeitsanzeige gehen. Die leicht feuchte Landstraße Richtung Greven lässt das nicht angeraten sein.

Sicherheitsgurte – und viel Demut

Wer einen „Personvagn 444“ besitzt – die drei Zahlen stehen übrigens für vier Zylinder, vier Türen, 40 PS –, der braucht kein Achtsamkeits-Seminar. Die Assistenz-Systeme in der Zubehörliste sind nämlich überschaubar: immerhin schon Sicherheitsgurte vorn, sonst aber nur Weisheit, Einsicht, Demut und das Popometer. Der Oldie gibt stets mit einem Zucken des Fließhecks verlässlich Rückmeldung, wenn die Kurve schon mit Tempo 30 zu forsch angegangen wird. Bis hierher und nicht weiter, besser für uns beide.

Im modernen XC 40 gleitet es sich dagegen wie auf Schienen durch die gleiche Kurve – und das bei 65 Stundenkilometern. Dem Fahrwerk, breiten Reifen, exakt handhabbarem Servo-Lederlenkrad sei Dank. Und im Zweifel gibt es ja ESP, ABS und Bremskraftverstärker. Ginge es da nicht sogar mit Tempo 75? Der Gedanke belegt den Nachteil moderner Mobilität: Das Gefühl für die Grenzen der Physik geht im schallgeschützten, wohltemperierten, frischbelüfteten Kokon an Bord verloren. Und wer mit 75 den Abflug macht, dem helfen auch die ausgefeiltesten Sicherheitszellen und Airbags nicht verlässlich.

Ausstellfensterchen statt Klimaanlage

Der neueste Volvo fährt elektrisch – der alte noch mit Drei-Gang-Getriebe. Foto: Volvo

Im PV 444 dagegen wird es dem Fahrer immer warm, wenn’s draußen heiß hergeht. Nicht nur wegen der fehlenden Klimaanlage, die durch Ausstellfensterchen kompensiert wird. Es riecht nach Heu, Sonne oder Regen, oft auch ein wenig nach „Bensin“, wie es auf einem der vier Kontrollinstrumente im metallenen Armaturenbrett heißt. Das ist übrigens in einer der 50 Shades of Grey, die innen und außen den alten Volvo kolorieren. Nur die Federkernsitze (ohne Kopfstützen) sind mit Goldkrönchen-Stoff bespannt, wie ihn Großtante Elfriede auf dem Sofa in der guten Stube pflegte.

Der moderne Volvo umkuschelt seine Passagiere dagegen mit schwarzem Leder, orangefarbenem Teppich und fein gearbeiteten Alu-Applikationen. Ikea in edel, Google Maps, DAB und Co inklusive. Im PV 444 findet sich nicht einmal ein Radio. Die Urlaubslaune kommt durch gemeinsames Singen der Familie auf – oder beim rituellen Kettenrauchen. Der Aschenbecher oben in der Mitte des Armaturenbretts zeigt den damaligen Stellenwert der Zigarette bei jeder Reise in die Sommerfrische.

Runder Rücken, mächtige Motorhaube

Im PV 444 hält Lenkradarbeit den Fahrer warm – der Volvo XC40 umkuschelt seine Passagiere. Foto: Volvo

Der alte Schwede ist ein ungewöhnlicher Anblick in der aerodynamisch optimierten Gegenwart – mit seinem runden Rücken und der mächtigen Motorhaube zwischen den breiten Kotflügeln. Wegen des Anklangs an damals modische US-Straßenkreuzer bekam er auch seinen Spitznamen „Buckel-Volvo“. In den Staaten indes hätte man wohl eher gedacht: „Wer hat denn meinen Buick geschrumpft?“ Mit 4,37 Metern Länge ist der Volvo nach heutigen Maßstäben ein Kompakter.

Der XC 40 wirkt dagegen viel massiger, obwohl er nur fünf Zentimeter länger ist. Dafür streckt sich der moderne Volvo aber mit 1,65 Metern Höhe gleich eine Kopflänge mehr nach oben, und bei der Breite sind es mit 1,86 Metern gleich 36 Zentimeter mehr. Von denen kommen im Innenraum allerdings zumindest vorn gar nicht so viel mehr Platz an. Die Türen des PV 444 sind vor der Crashtest-Ära bedeutend dünner.

1958 Sieger-Auto der Rallye-EM

Nach einem Zug am Metallhebel ganz links fiepen die Scheibenwischer ein Guckloch aus der verregneten Scheibe, die immerhin schon aus Verbundglas ist. Fortschritt, der anderswo noch lange auf sich warten ließ. Genau wie die selbsttragende Karosserie. Im PV 444 trägt die erkennbar zu einer Straßenlage bei, die bei moderaten Geschwindigkeiten auch heute noch den Wagen alltagstauglich macht. Es geht aber auch mehr: 1958 hat Gunnar Andersson mit ihm sogar die Rallye-Europameisterschaft gewonnen.

Wo sein elektrisch angetriebener Urahn gefühlt mit Überschall von Null auf Hundert hastet, zeigt unser PV 444 dagegen eher Drehmomentchen – Entschleunigung statt Beschleunigung. Und das ist in diesem unvergleichbaren Aufeinandertreffen der Generationen vielleicht seine sympathischste Eigenschaft. Die alten Zeiten des Reisens, sie hatten schon ihren Reiz. Nicht nur auf Urlaubsfahrt. (SP-X)

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