MAN TGS 35.470: König der Kiesgrube

MAN TGS 35.470: König der Kiesgrube
So irritiert der Mensch dreinschauen mag, so unbeirrt pflügt die Maschine durch das Terrain © MAN

Mit dem Laster im Sand spielen – das geht auch in Originalgröße. Der MAN TGS 35.470 macht’s möglich. 

Es ist ein ganz normaler Autoschlüssel, wie man ihn von hunderten VW-Modellen kennt. Doch wenn man ihn in diesem Zündschloss dreht, ist die Welt am Steuer nicht mehr dieselbe. Der weich gefederte Sessel zittert wie bei einem Erdbeben und draußen rieseln kleine Lawinen von Kies und Sand die steilen Hänge herunter. Wir sitzen ja auch nicht in Polo oder Golf, sondern im TGS 35.470, mit dem die schweren Jungs von MAN die VW-Flotte bereichern.

Auf der Scala von T-Cross bis Touareg ist der zwar eher Tiguan, hat weder die meisten Achsen noch den größten Motor und ist mit einem Preis von etwa 130.000 Euro auch nicht der teuerste von den rund 3000 Trucks, den MAN Jahr für Jahr in die Baugruben, Steinbrüche und Forste rund um den Globus schickt. Doch für einen Laien am Lenkrad bietet der Löwen-Laster mehr als genug Faszinationspotential.

Sechszylinder mit 12,4 Litern Hubraum

Dieser Kipper ist der König der Kiesgrube. Foto: MAN

Ein Sechszylinder-Motor mit 12,4 Litern Hubraum, die Leistungskurve gipfelt – das verraten bei MAN die letzten drei Ziffern im Typenkürzel – bei 470 PS, das Drehmoment-Plateau hat schon kurz jenseits von 900 Touren sein Maximum von 2400 Nm und bis zu acht angetriebene Räder auf vier Achsen machen ihn zum König jeder Kiesgrube. Und nichts und niemand kann den Heavy-Metall-MAN stoppen – selbst wenn der TGS auf dem Kipper 20 Tonnen Sand und Kies schleppt und so (jetzt erklären sich dann auch die ersten zwei Ziffern im Kürzel) mal eben 35 Tonnen) auf die Waage bringt.

Wo man sich Majestäten sonst mit gebeugtem Haupt nähert, beginnt die Audienz hier mit einem Aufstieg: Vier Stufen muss man sich nach oben hangeln, bevor man sich zwei Meter über dem Boden auf einen butterweich gefederten Thron fallen lassen und das riesige Lenkrad vor die Brust nehmen kann. Dann jedoch blickt man selbst auf die Begleitmannschaft im Multivan irgendwie mitleidig hinab, hat ein Panorama bis zum Horizont und so viele Spiegel vor Augen, dass man sich selbst fast unters Bodenblech schielen kann.

Wendekreis von 20 Metern

Ein Sechszylinder-Motor mit 12,4 Litern Hubraum treibt den MAN an. Foto: MAN

Das ist aber auch bitter nötig. Denn bei einem Wendekreis von über 20 Metern und einem Sitzplatz vor der gelenkten Achse ist beim Rangieren viel Umsicht gefragt, und auch die größte Kiesgrube kommt einem plötzlich wie ein winziger Sandkasten vor. Da ist es auch nur ein kleiner Trost, wenn man den riesigen Kranz dank der elektrohydraulischen Unterstützung buchstäblich mit dem kleinen Finger drehen kann.

Überhaupt ist das Fahren schweißtreibende Schwerarbeit. Zwar kennt der TGS kaum eine Grenze, doch dafür wird man hier am Steuer als Trucker für nur einen Tag schnell selbst zum limitierenden Faktor: Auch wenn es eine Automatik gibt und eine Untersetzung und man den Allrad – genau wie die vielen Sperren – ganz einfach mit einem Drehschalter einlegt, braucht man schon die richtige Taktik für den Triebstrang. Und mit den schweren Sicherheitsschuhen ist das Spiel auf den Pedalen etwa so feinfühlig wie ein Walzer in Skistiefeln.

Hydraulisch zuschaltbare Vorderachse

Im Fahrerhaus geht es durchaus wohnlich zu. Foto: MAN

Gut, dass es für den Koloss neben unterschiedlichen Antriebskonfigurationen bis hin zu einer hydraulisch zuschaltbaren Vorderachse auch elektronische Helfer wie einen Hillholder und eine Bergabfahrhilfe gibt. Denn für einen normalen SUV-Piloten mögen die Steigungshügel hier auf dem sandigen Testgelände im Brandenburger Wald nach einer lächerlich leichten Übung aussehen. Doch für so ein Gebirge aus Stahl ist das eine schwere Prüfung.

Die das Monstrum von MAN aber mit Leichtigkeit nimmt. Er schüttet sich nicht und rüttelt sich nicht, ja er fängt nicht einmal an zu fauchen. Kaum fällt der Fuß aufs Fahrpedal, setzt sich der Koloss in Bewegung. Während der Drehzahlmesser langsam gen 2000 Touren wandert und damit schon kurz vor dem roten Bereich hängt, marschiert der MAN unbeirrt den Brandenburger Berg hinauf wie Hannibals Elefanten die Alpen.

Rahmen aus massiven Stahlträgern

470 PS stehen dem MAN zur Verfügung. Foto: MAN

Nur um dem Fahrer auf der anderen Seite die nächste Runde Respekt abzutrotzen. Denn schon auf dem Weg die Rampe runter stockt einem der Atem, wenn man an die vielen Tonnen denkt, die da von hinten schieben. Und unten wartet ein Sandkasten groß wie ein Fußballfeld mit Furchen, in denen ganze Kleinwagen verschwinden könnten. Doch so irritiert der Mensch dreinschauen mag, so unbeirrt pflügt die Maschine auch durch dieses Terrain. Der Sozius springt auf dem Sessel umher wie der Nachwuchs in der Hüpfburg. Während sich der Fahrer ins riesige Lenkrad krallt, sucht der Nebenmann Halt an einem der vielen Griffe, die an den Türholmen, am Armaturenbrett und – ja – sogar am Dach montiert sind.

Und obwohl der riesige Rahmen aus massiven Stahlträgern von acht Millimetern Dicke gefertigt ist, windet sich der Laster auf dem unebenen Boden, dass die Kabine oft mehr als einen halben Meter über den Kipper hinausragt. Doch mit hüfthohen Reifen auf Felgen groß wie Gullydeckel und Profile wie Briketts zieht der MAN auch dort noch stur seine Spur durch den Sand, wo jeder Geländewagen auf dem Bodenblech schlittern und unweigerlich stecken bleiben würde. Und das mit dem einer Ladung auf dem Rücken, die einem Dutzend VW Golf entspricht.

Nicht schnell, aber durstig

Nichts und niemand kann den Heavy-Metall-MAN stoppen. Foto: MAN

Schnell ist der Gigant im extremen Geländeeinsatz natürlich nicht, aber dafür ziemlich durstig. Denn während das Tempo selten zweistellig wird bei dieser Testfahrt, zeigt der Bordcomputer für den Verbrauch schnell dreistellige Werte. Erst recht, wenn der Fahrer vorsichtshalber mal das Eco-Programm deaktiviert und angesichts des Terrains auf „Performance“ wechselt.

Nur gut, dass schon der kleinste Tank 390 Liter fasst. Doch wer so viel schleppt, der darf auch mal was schlucken. Und wenn der Fahrer ehrlich ist, könnte er nach dem Sandkasten-Abenteuer für die ganz großen Jungs auch mal so langsam eine Erfrischung vertragen. Nur gut, dass es neben digitalen Instrumenten, Klima und Kameras wenigstens auch ein paar Cupholder gibt – und auf Wunsch bestimmt auch einen kleinen Kühlschrank. (SP-X)

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