«Feilschen wie auf einem türkischen Basar»

EU verhandelt über CO2-Grenzwerte

«Feilschen wie auf einem türkischen Basar»
Greenpeace protestiert vor dem Elektrogipfel in Berlin. © dpa

Die Verhandlungen zu Supercredits und CO2-Grenzwerten befinden sich bei der EU in der heißen Phase. Nun versucht jedes Mitgliedsland das Maximum für sich und seine Autohersteller herauszuholen.

Von Frank Mertens

Deutschlands Autobauer leiden in diesen Monaten nicht nur unter der Absatzkrise in Europa. Ihnen setzt auch die EU mit ihren ambitionierten Klimaschutzzielen zu. So müssen die Autobauer nicht nur bis zum Jahr 2020 ihren Flottenverbrauch auf einen CO2-Wert von 95 g/km reduzieren, sondern sie müssen sich womöglich auf noch härtere Vorgaben einstellen.

Denn der EU-Umweltausschuss fordert bis zum Jahr 2025 eine CO2-Obergrenze, die sich in einem Zielkorridor von 68 bis 78 g/km bewegt. Bislang ist das nur ein Vorschlag, der noch das EU-Parlament mit seinen 28 Mitgliedsstaaten passieren muss. Aber es ist ein Votum, das insbesondere bei den deutschen Premiumherstellern BMW, Audi und Mercedes für Unruhe sorgt. Kein Wunder, dass beispielsweise BMW-Chef Norbert Reithofer einem solchen Vorschlag eine klare Absage erteilte. „Das ist politisches Wunschkonzert. Mit technischer Analyse oder Machbarkeit hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun.“ Herbert Kohler, bei Daimler Leiter Konzernforschung und Nachhaltigkeit, zeigte sich von den Werten dieses Zielkorridors „schockiert“, wie er gerade vor Journalisten in Stuttgart sagte.

Daimler peilt 125 g/km bis 2016 an

Natürlich werde Daimler sich den CO2-Anforderungen stellen, so, wie man es bereits in der Vergangenheit getan habe. So haben die Schwaben den CO2-Ausstoß ihrer Flotte von 1995 mit 230 g/km um 40 Prozent auf heute 140 g/km gesenkt. Bereits jetzt verfüge man über 48 Modelle, die weniger als 120 g/km emittieren. Bis 2016 hat Daimler zudem ein Ziel von 125 g/km definiert. Doch die von der EU definierten strengen CO2-Vorgaben seien allein durch weitere Effizienzsteigerungen des Verbrennungsmotors nicht zu realisieren, so Kohler. Dafür bedürfe es einer Elektrifizierung des Antriebstranges, denn das Potenzial bei der Effizienzsteigerung des Verbrennungsmotors sei langsam am Ende, hier böte sich nur noch ein Einsparpotenzial von 15 Prozent. Doch Elekftrifizierung kostet Geld, viel Geld und die Kunden sind derzeit nicht bereit, dafür zu zahlen, wie der hömopathische Absatz von Elektroautos belegt.

VDA-Präsident Matthias Wissmann dpa

Dass die Brüsseler Vorgaben in der Branche auf Entsetzen stoßen, verwundert nicht. Deshalb hatte im Mai auch Matthias Wissmann als Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) in einem Bettelbrief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) um deren Hilfe bei der Vermeidung zu rigoroser Vorgaben aus Brüssel gebeten. Wissmann hatte in seinem Brief an die „Liebe Angela“ davor gewarnt, dass das deutsche Premiumsegment, das fast 60 Prozent der Arbeitsplätze der Autobauer in Deutschland ausmache, nicht über willkürlich gesetzte Grenzwerte kaputt reguliert werden dürfe.

Unterstützung aus Berlin

Wissmann fand Gehör: Ende Mai auf dem Elektrogipfel in Berlin sagte Merkel die erbetene Hilfe zu – und sprach sich dabei zur Freude der Autolobby zugleich auch für Supercredits aus. Hinter diesen Supercredits verbirgt sich ein Bonussystem, mit dem sich die Hersteller Elektro- oder Hybridautos auf ihren Flottenverbrauch anrechnen lassen können. „Supercredits sind ein Turbo für die Elektrifizierung“, sagte Kohler.

Daimler-Chef Dieter Zetsche und Angela Merkel.
Daimler-Chef Dieter Zetsche und Angela Merkel dpa

Mit welchem Faktor diese Supercredits letztlich in die Berechnung einfließen werden, steht derzeit noch nicht fest. Geht es nach dem EU-Umweltausschuss, können sich die Autobauer zwischen 2016 und 2023 CO2-Emissionen unter 50 Gramm pro Kilometer mit dem Faktor 1,5 anrechnen lassen. Der VDA fordert einen Faktor von 2,5. Wie viel es am Ende wird, steht noch in den Sternen. Darüber wird in Brüssel in den damit befassten Ausschüssen (Umwelt, Industrie, Transport) und unter den 28 Mitgliedsstaaten mit ihren unterschiedlichen Interessen „wie auf einem türkischen Basar gefeilscht“, wie eine mit den Verhandlungen betraute Person aus dem Umfeld der Autoindustrie sagte.

Kritik der Umweltverbände

Umweltverbände wie beispielsweise der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), Greenpeace oder dem Verkehrsclub für Deutschland (VCD) lehnen diese Supercredits kategorisch ab. Für sie sind Supercredits nichts anderes als Rechentricks, mit denen sich die Hersteller ihre Umweltbilanzen schönrechnen können. „Supercredits dürfen nicht zum Werkzeuge für den Absatz von E-Autos werden“, sagte Greenpeace-Verkehrsexperte Wolfgang Lohbeck der Autogazette. Dass dieses Bonussystem in anderen Ländern wie beispielsweise USA, China oder Korea bereits besteht, teils mit einem Anrechnungsfaktor 5, bleibt dabei unerwähnt. Die Autokonzerne weisen entsprechend auf eine Wettbewerbsverzerrung hin.

Doch es gibt nicht nur Schelte für die Autobranche. So lobt Lohbeck den VW-Konzern dafür, dass der sich als erster Hersteller zum Erreichen des CO2-Ziels von 95 g/km verpflichtet hat. „Wir gehen davon aus, dass VW dieses Ziel natürlich ohne Supercredits erreicht, auch wenn man sagt, dass die Kunden dafür die alternativen Antriebe des Konzerns annehmen müssen.“ Da die Verhandlungen in Brüssel sich in die Endphase befinden, wird Greenpeace den VW-Konzern in den kommenden Tagen deshalb auffordern, sich klar dagegen auszusprechen, wie Lohbeck ankündigte.

Dilemma der Autobauer

Dass gerade Premiumhersteller es aufgrund ihrer Fahrzeugflotte ungleich schwerer haben als Volumenhersteller, ambitionierte CO2-Grenzen zu erreichen, ist natürlich auch Greenpeace bewusst. Ebenso das Dilemma, dass die Nachfrage der Kunden nach spritschluckenden SUVs wächst und wächst. „Wir fordern die Kunden immer wieder auf, derartige Modelle nicht zu kaufen.“ Ohne Wirkung.

Da schon die Hersteller nicht auf den Bau solcher Modelle verzichten, „mit denen sie hohe Margen erzielen“, müsse die Politik regulierend eingreifen, forderte Lohbeck. „Wir haben in der Vergangenheit schon einmal gefordert, SUVs mit einem grünen Kennzeichen als landwirtschaftliches Fahrzeug zu kennzeichnen.“ Dadurch könnte eine höhere Kfz-Steuer für diese Modelle verlangt werden, was sie beim Käufer weniger attraktiv machen würde.

Ringen um eine Lösung

Der neue Elektro-Smart kommt im Spätsommer auf den Markt.
Unterwegs mit dem Elektro-Smart dpa

Was am Ende in Brüssel als Ergebnis mit Blick auf CO2-Obergrenzen und Supercredits herauskommt, bleibt spannend. Denn in der Endphase der Verhandlungen wird von den Mitgliedsstaaten mächtig darum gerungen, dass Beste für ihr Land herauszuholen. Beispielsweise auch bei der Einführung des Bankings, also der Anrechnung der Supercredits vor dem Jahr 2020. Sie waren bislang vom Tisch, weshalb die Autoindustrie mit Vehemenz fordert, die Lücke bis dahin zu schließen.

Auch hier fand die Branche Gehör bei der Politik. Deutschland hat am 31. Mai einen entsprechenden Entwurf (er liegt der Autogazette vor) in Brüssel in die Diskussion eingebracht. Darin steht, dass das Anrechnen der Supercredits der einzige Weg sei, den Marktstart von effizienten Fahrzeugen voranzubringen. Deshalb fordert man für die Zeitspanne von 2017 bis 2019 ein Banking. Angerechnet werden sollen die Supercredits dann in den Jahren 2020 bis 2023. Bei Greenpeace hält man von diesem Banking nichts. Es soll nur dazu beitragen, dass Ziel der Bundesregierung von einer Million Elektroautos bis zum Jahr 2020 überhaupt ansatzweise erreichen zu können. "Derzeit steht Deutschland hier doch noch recht nackt dar", so Lohbeck.

Festhalten an unrealistischem Ziel

Es wird um jedes Gramm CO2 gerungen dpa

Das Ziel von einer Million Fahrzeuge, das die Bundesregierung zuletzt beim Elektrogipfel erneuerte, erscheint vielen Experten ohnehin nicht mehr erreichbar zu sein.

Herbert Kohler beispielsweise hat dieses Ziel schon immer in Frage gestellt. Mittlerweile wird es selbst von der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) nicht mehr als realistisch angesehen. Hier geht man im Idealfall nur noch von 600.000 Fahrzeugen aus. Und, ist diese Zahl zu erreichen? Auch das bleibe ambitioniert, so Kohler. „Doch mit dem Anreiz von Supercredits könnte es erreicht werden.“

Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber hatte bereits im März mit Blick auf die Notwendigkeit von Supercredits im Interview mit der Autogazette klare Worte gefunden. „In Deutschland haben wir die Chancen nicht genutzt, durch Marktanreize den neuen Technologien zum Durchbruch zu verhelfen. Wenn man jetzt auch noch Supercredits ablehnt, dann sehe ich die Gefahr, dass die Elektromobilität zum Rohrkrepierer wird.“ Das hat auch die Bundesregierung erkannt und versucht mit Nachdruck, die Positionen der deutschen Autolobby in Brüssel durchzusetzen, wie aktuell der Vorstoß beim Banking zeigt.

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