Energica Eva: Elektrischer Streetfighter

E-Motorrad mit 180 Newtonmetern

Energica Eva: Elektrischer Streetfighter
Die Energica Eva kostet mindestens 30.000 Euro © SP-X

Auch vor den Zweirädern machen die Stärken und Schwächen der Elektromobilität nicht halt. Die Energica Eva fährt den Verbrennern davon, benötigt aber auch viel Ladezeit zu einem extrem hohen Einstiegspreis.

Man kennt die Problematik von den E-Autos: Vergleichsweise hohe Preise stehen überschaubaren Reichweiten, noch zu langen Ladezeiten und vor allem viel zu wenigen Ladesäulen gegenüber. Bei elektrisch angetriebenen Motorrädern ist die von den E-Mobilitäts-Protagonisten ersehnte Quadratur des Kreises – alle Nachteile der E-Mobilität sind durch Vorteile auf allen Gebieten ersetzt – noch ein erhebliches Stück weiter entfernt als beim Auto. Denn beim Zweirad steht den Entwicklern ein weitaus stärker begrenzter Raum für die Unterbringung der nötigen Komponenten, insbesondere der Akkus, zur Verfügung.

Insofern verdient der Ansatz des italienischen Kleinherstellers Energica besondere Beachtung: Die Italo-Stromer sind überdurchschnittlich leistungsfähig und laden zugleich in extrem kurzer Zeit. Wir haben die gut 30.000 Euro teure Energica Eva, ein Nakedbike mit 80 kW Leistung und unglaublichen 180 Nm Drehmoment, über Südtiroler Pässe gescheucht.

Energica Eva bis zu 200 km/h schnell

Die vollelektrische Eva, im norditalienischen Modena erbaut, ist ein Trumm: 280 Kilogramm schwer, aber eben auch 80 kW/109 PS stark und bei Bedarf bis zu 200 km/h schnell. Die Bezeichnung Streetfighter verdient sie im doppelten Wortsinne: Eva ist nicht nur kräftemäßig stark entwickelt, sondern verlangt auch vom Fahrer vollen Einsatz. Vor allem dann, wenn das Geläuf kurvig ist, folgt sie den Anweisungen des Piloten nur, wenn er über den Lenker nachdrücklich Gehorsam einfordert. Eva schnell übers Sellajoch zu scheuchen will erarbeitet sein, ist aber nach einiger Eingewöhnung durchaus möglich. Denn die durch die hohe Vorderradlast und den hohen Schwerpunkt bedingte Unwilligkeit beim Einlenken kann der Fahrer mit Geschick und Kraft zumindest teilkompensieren. Für Ungeübte, das muss man klar sagen, ist Eva weitaus zu dominant.

Natürlich sprintet Eva mit einer Vehemenz von einer Kurve zur nächsten, wie sie nur 180 Newtonmeter Drehmoment „ab Standgas“ möglich machen. Dabei ist das Antriebsgeräusch des kupplungslos arbeitenden Eingang-Getriebes sehr vernehmlich; zusammen mit dem Laufgeräusch der Antriebskette ist Eva unüberhörbar unterwegs. Der Mitarbeiter des Forstamtes Grödnertal, der die mittwochs im August für Verbrennungsfahrzeuge angeordnete Straßensperre überwacht, mokiert sich mit folgenden Worten über die Ausnahmegenehmigung für E-Fahrzeuge: „Die sind auch viel zu laut!“ Und fügt hinzu: „Ich habe Sie schon von weitem den Berg runterfahren hören.“

Stress-Level immer dabei

Die Energica Eva kostet mindestens 30.000 Euro
Im Display der Eva wird auch der Ladestand angezeigt SP-X

Bei aller Dynamik, die starke E-Bikes auszeichnet: Verbrennungs-Motorräder derselben Leistungsklasse – eine mitgebrachte BMW R nineT stemmt 81 kW/110 PS bzw. 116 Nm – sind nicht chancenlos, müssen allerdings rücksichtslos durchbeschleunigt werden, um auf längeren Bergauf-Geraden mit Eva mithalten zu können. In engagiert gefahrenen Kurven schmilzt der Vorsprung stets, vor allem aber muss ihr Dompteur einen beträchtlichen Stress-Level verkraften können.

Evas weitere motorradtypischen Eigenschaften sind angenehm unauffällig: Sie federt und dämpft auch mit der Fahrwerks-Basisausstattung von Marzocchi bzw. Bitubo recht gut und verzögert mit den radialen Brembos sogar ausgezeichnet. Dazu passt die gute Abstimmung des bei Bedarf abschaltbaren Bosch-ABS. Evas Ergonomie gefällt ebenso, nichts zwickt und zwackt beim Ritt auf ihr dank sinnvoll montierter Fußrasten, des gut geformten Lenkers und des ordentlich gepolsterten Sitzes. Eine prima Sache ist der Parkassistent, der vorwärts wie auch rückwärts funktioniert und sehr einfach bedienbar ist. Selbst das klitzekleine Flyscreen vor dem übersichtlich gestalteten TFT-Display kann sich positiv in Szene setzen; das Zubehör-Windschild ist zwar weit wirkungsvoller, optisch aber eine Geschmacksfrage.

Energica Eva mit langer Aufpreisliste

Die Energica Eva kostet mindestens 30.000 Euro
280 Kilo bringt die Energica Eva auf die Waage SP-X

Womit wir beim Zubehör angekommen sind. Trotz der noch minikleinen Produktionszahlen leistet sich Energica einen umfänglichen Internet-Konfigurator, der eine Vielzahl von Ausstattungs-Finessen aufzeigt. Sie reichen von diversen Karbonteilen über leichtere und zugleich schönere Schmiede- und sogar Speichenräder und hochpreisige Öhlins-Fahrwerkskomponenten bis hin zu farbig eloxierten Schrauben-Sets für Verkleidungsteile. Unbedingt leisten sollte man sich den 1428 Euro teuren 20 kW-Schnelllader: Mit seiner Hilfe lässt sich der Akku an CCS-Ladestationen in rund 30 Minuten bis zum 85 Prozent-Level füllen; das Serien-Lagegerät, immerhin 3 kW stark, braucht dafür etwa drei Stunden. Ins Display integriert ist dank Serien-GPS die Anzeige der nächsten CCS-Ladesäule, sofern das Fahrer-Smartphone die Energica-App aufweist und sich verlinkt hat. Pfiffig. In der Praxis negativ empfunden haben wir das Fehlen einer Feststellbremse.

Wer den Energica-Konfigurator heiß laufen lässt, endet für eine schicke Eva in der 40.000 Euro-Region. Natürlich entzieht sich die Italienerin damit einer kühlen Preis-Leistungs-Betrachtung. Sie ist ein verdammt exklusives Geschöpf, das, abgesehen von seiner gewöhnungsbedürftigen Beharrlichkeit beim Einlenken in Kurven, funktional deutlich mehr bietet als der vollelektrische Wettbewerb. Auch deshalb, weil sie optisch trotz des nicht vorhandenen Schalldämpfers als „echtes Motorrad“ wirkt. Energica geht es derzeit ähnlich wie Tesla vor einigen Jahren: Das Produkt ist für einen Erstling beeindruckend gut geraten, aber nicht nur des Preises wegen noch wenig gefragt; heuer dürften in Modena gerade mal 500 Elektro-Bikes produziert werden. Vornehmlich gehen sie nach Kalifornien, Skandinavien und in die Niederlande. Bis 2020 will Energica die Produktion auf 2000 Einheiten steigern und damit in die schwarzen Zahlen kommen. Man darf gespannt sein. Auch auf die Serienversion der im angedeuteten Scrambler-Stil gehaltenen „Esse Esse“, die noch zu sehen sein wird. (SP-X)

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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