Eine Rekordfahrt und die Folgen

Nach dem Coup des lekkermobil

Die Überraschungsfahrt des „lekker mobil“ getauften Elektroautos, das diese Woche 600 Kilometer von München nach Berlin unterwegs war, hat für Furore gesorgt. Überraschend ist auch, dass in der Branche Reichweite nun nicht mehr alles sei.

Von Martin Woldt

Haltung und Distanz umschreiben vielleicht am ehesten, wie die Automobilindustrie auf die Fahrt eines Berliner Elektroautos reagierte. Offensichtlich hat der 600-Kilometer-Coup Mitte der Woche einige überrascht. Leider nur ein Gerücht ist die Reaktion von VW-Chef Martin Winterkorn. Er soll den einen oder anderen Vertreter seiner Ingolstädter Konzernmarke zusammengefaltet haben, weil er, bedingt durch die Hauptrolle eines A2, Audi hinter dem Spektakel vermutete. Für Offizielles hingegen musste der Präsident des Automobilverbandes ins kalte Wasser springen.

Kein Interesse

Der Branchendialog Automobil ist ein regelmäßiges Treffen der Autobauer in Berlin. Wie letzten Mittwoch auch tauschen sich Konzernstrategen mit dem Bundeswirtschaftsminister Brüderle über dies und das aus, was den deutschen Autobauern im Magen drückt. Als VDA-Chef Matthias Wissmann dort anschließend von der Presse nach einem gelb-lila Elektroauto gefragt wird, das am Vortag - nicht ohne erhebliches Zutun des Ministers (275.000 Euro Förderung) - einen triumphalen Empfang in der Stadt hatte, reagiert er ausweichend. Der oberste Autolobbyist wirkt angespannt: "Das hat uns hier nicht interessiert." Rainer Brüderle wusste es wohl besser, sagte aber nix. Die Szene sprach auch so für sich.

Feine Unterschiede

Ungebauter Audi A2 Foto: DBM Energy

Beide blickten auf den Innenhof des Ministeriums, wo gerade etliche Ministerielle – ein Reporter wollte auch einen leitenden Daimler-Forschungsmitarbeiter erkannt haben – begeistert um einen gelb-lila Audi A2 standen. Sie fragten den Piloten des "lekker mobils", Mirko Hannemann, Löcher in den Bauch. Und ließen sich nicht lange bitten, mit ihm ein paar Runden auf dem Innenhof zu kurven.

Bei so viel offensichtlichem "Desinteresse" hob Wissmann den Finger für den dringenden Hinweis. Es sei doch ein großer Unterschied, ein einzelnes Versuchsfahrzeug oder ein serienreifes, zyklentaugliches Elektroauto auf die Beine zu stellen. Da war ihm wohl auch die "Bild" vom Tage nicht entgangen. Sie hatte neben den Bericht über Hannemanns 600-Kilometer-Coup von München nach Berlin aktuelle E-Mobile gestellt: den Mitsubishi i-MieV - Testreichweite 100,5 Kilometer, den Smart ED Coupe – 136,8 Kilometer, den Mini E – 154,4 Kilometer. Deutliche Unterschiede, für wahr.

Gefahr für die Planungssicherheit

Presserummel bei der Ankunft in Berlin Foto: DBM Energy

Die Automobilindustrie tut sich mal wieder schwer mit einer Steilvorlage, die sie nicht selbst ins Spiel gebracht hat. Das hat Gründe. Einer ist, dass sie noch lange Geld mit Dieseln und Benzinern verdienen wollen und müssen, aber jeder Hype um das Elektroauto ihre Planungssicherheit aufs Spiel setzt.

Thierry Koskas, Elektropapst bei Renault, auf das "lekker-mobil" angesprochen, sagte dieser Tage, man sei bereits auf zehn Jahre finanziell und technologisch gebunden. Bei den Deutschen dürfte es grundsätzlich nicht anders aussehen. Obwohl sie es besser wissen könnten.

Ein eingelöstes Versprechen

Der Kohlibri steht Pate für den DBM-Akku Foto: DBM Energy

Als DBM Energy im Frühjahr den "Innovationspreis der Vernunft" des Burdaverlages erhielt, gab Hannemann bei der Gelegenheit ein Versprechen. Er werde in diesem Jahr 500 Kilometer in einem Elektroauto mit nur einer Batterieladung zurücklegen. Fortan klopften auch deutsche Autobauer an die Tür des Start-ups aus dem Berliner Süden. Aber.

"Die Gespräche liefen am Ende meist darauf hinaus, dass wir unsere Technologie aus den Händen gegeben hätten." Ein durchaus üblicher Umgang mit Zulieferern in der Branche. Man kann es naiv nennen, aber Hannemann lehnte ab. Wer ihm da die Pistole auf die Brust setze, mag er nicht sagen. Noch hat er die Hoffnung, dass sich nach seiner Fahrt die Lage ändert.

David und Goliath

Uneingeschränkter Kofferraum Foto: DBM-Energy

Die Öffentlichkeit fragt sich unterdessen, wie einer jungen Firma mit wenigen Mitarbeitern und knappem Kapital gelingen kann, woran sich Tausende Entwicklungsingenieure in der Autoindustrie scheinbar die Zähne ausbeißen? Hannemann sagt: "Sie setzen an der falschen Stelle an." Tatsächlich gibt es einen auffälligen Unterschied zwischen den Speicherspezialisten und der Autobranche. Eine Hochleistungsbatterie besteht aus Zellen, daraus zusammengesetzten Modulen und einer Steuerungssoftware. Während die Autoindustrie fast ausnahmslos die Zellen bei Partnern einkauft, sie zu Modulen zusammenbaut und mit einer Steuerung versieht, geschieht das bei DBM Energy in einer Hand. "Sie vergeben sich so sehr viel Optimierungspotenzial", weiß Hannemann.

Und das hat Folgen. Wie Hannemann selbst erfahren musste, kommt es auf das Zusammenwirken der gesamten Kette an. Als er sich vor einigen Monaten bei einem Testlauf vorschnell auf die Daten eines Zuliefererbauteils verließ, kam es in der Ladeelektronik zur Rauchentwicklung. Das Teil musste gegen eine Eigenentwicklung ausgetauscht werden. Seither sind die Akkus beim Industrieparnter Pap Star in der Eifel, der eine große Gabelstaplerflotte betreibt, im stabilen 24-Stunden-Dauereinsatz.

Reichweite und Kapazität

Neben der Sicherheit beeinflusst Hannemanns Sichtweise aber vor allem auch die Reichweite und die zugrundeliegende Energiespeichermenge. Ein Vergleich: Reichweitenstärkstes Serien-Elektroauto ist aktuell der Tesla Roadster. Mit seiner Batteriekapazität von 53 kWh kommt man etwa 330 Kilometer weit. Das Batteriegewicht von 450 Kilogramm macht den Roadster zum engen Zweisitzer.

Hannemanns Lithium-Metall-Polymer-Akku im umgebauten Audi A2 wiegt gut die Hälfte. Er birgt 100 kWh Energie und hatte trotz Dauereinsatz von Heizung und Licht, trotz Servolenkung, ABS und ESP nach der Nachtfahrt in Berlin noch achtzehn Prozent Reserveleistung. Der Akku sitzt an der Stelle der ausgebauten Starterbatterie und verschwindet komplett im Fahrzeugboden unter den Rücksitzen des A2. Der Speicher muss weder gekühlt noch erwärmt werden. Es gibt keine Platzeinschränkungen. Von den Umständen konnten sich neben 50 anderen Teilnehmern auch Autobild auf der Hintour nach München und die ADAC-Motorwelt zurück ein Bild machen.

Die Einen und die anderen

Ob es bei der Haltung der Autoindustrie bleibt, Reichweite sei nicht alles, wie beispielsweise auch Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber zu den Berliner Ereignissen sagte, wird sich weisen. Die PR-Leute des Tour-Sponsors lekker Energy wollen am Tag nach der Fahrt weltweit hunderttausende Meldungen im Internet und den Medien zum Thema registriert haben. Der extra eingerichtete Presseserver brach unter der Flut von Anfragen hoffnungslos zusammen.

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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