Das Für und Wider um die Reichweite

Elektroauto

Gemessen an der durchschnittlichen Mobilität der Deutschen wäre das Elektroauto schon heute eine Alternative. Allerdings vernachlässigt der Durchschnitt viele Wechselfälle des Alltags.

Von Martin Woldt

Kosten, Ladezeiten und vor allem die Reichweite gelten heute als die wesentlichen "Killerargumente", die dem Zeitalter des Elektroautos den Weg versperren. Aber auch wenn man damit großzügig umgeht, klafft zwischen Zukunft und Gegenwart ein gewaltiger Abgrund. So stehen den 1400 Kilometern, die man heute (theoretisch) mit einem Golf BlueMotion weit fahren kann, kümmerliche 150 Kilometer, die sein Elektro-Ableger der Golf blue-e-motion verheißt, gegenüber. Ist der optimierte Diesel für 21.650 Euro zu haben, müsste man, wenn man den E-Golf denn kaufen könnte, mit deutlich mehr als dem Doppelten kalkulieren. Und wollte man dem elektrifizierten Wolfsburger gar die Reichweite des Spar-Diesels abverlangen, beanspruchte die Batterie wohl den gesamten Innenraum bei vermutlich mehr als drei Tonnen Fahrzeuggewicht. Von einem Golf könnte man kaum mehr sprechen.

Drei bis vier Wege pro Tag

Dieser etwas absurde Vergleich soll den Fokus auf die Herausforderung lenken. Denn offensichtlich hat das E-Auto erst eine Chance, wenn sich nicht nur das Fahrzeug, sondern auch die Erwartungen seines potenziellen Halters gründlich ändern. Das betrifft insbesondere die Reichweite. Zieht man die Statistik zurate, wirkt das Elektromobil "schon jetzt eigentlich sehr vernünftig". Wolfgang Steichele, ADAC-Experte für Verkehrsstatistik beruft sich bei dieser Einschätzung auf die umfassende, im Auftrag des Verkehrsministeriums erarbeite Studie "Mobilität 2008". Demnach legt der durchschnittliche mobile Deutsche täglich drei bis vier Wege zurück, die ihn nicht über 44 Kilometer weit führen.

Selbst die aktivste Gruppe, die 30 bis 50 Jährigen, die im Schnitt 51 Kilometer unterwegs sind, würden sich darin aufgehoben finden. Allerdings: Viele Autofahrer betrachten es mittlerweile als Wert an sich, ihren Tankwart höchstens, wie im Spardiesel-Golf möglich, ein- oder zweimal im Monat aufzusuchen. Im E-Golf müssten sie ihn nach derzeitiger Lage dreimal in der Woche treffen. Gewiss schweren Herzens. Wer vertraut schon darauf, mit dem Zuständigkeitswechsel an der Zapfsäule - von der Mineralölindustrie zu den Stromversorgern - nicht vom Regen in die Traufe zu kommen? Zu einprägsam wirken all die fadenscheinig begründeten Preisveränderungen der Vergangenheit, gegen die kein Kraut gewachsen scheint.

Das Freiheitsproblem

Um die Skepsis gegenüber der elektrisch bestimmten Reichweite besser zu verstehen, ist auch ein Blick auf den Zweck der täglich absolvierten Wege hilfreich. Längst dominieren die in der Freizeit, zum Einkauf oder für private Erledigungen zurückgelegten Strecken das Tagesgeschäft. Nur ein Fünftel hat noch dienstlichen Charakter oder kann als Arbeitsweg gelten, fanden die Verkehrsforscher heraus.

Sie stellten dabei fest, dass beinahe 80 Prozent der täglich in Deutschland von allen zurückgelegten 3,2 Milliarden Kilometer als Fahrer oder Mitfahrer im Pkw absolviert werden. Diese Bedeutung des Autos für die privaten Wege legt die Vermutung nahe: Selbst wenn die meisten Fahrziele elektrisch anstandslos erreichbar wären, würde jede enge Reichweitenbegrenzung als Einschnitt in die persönlichen Entscheidungsspielräume empfunden. So ein E-Auto auch noch teurer zu bezahlen, dürfte sich ohne überzeugende Vorteile an anderer Stelle kaum vermitteln lassen.

Das Zweitwagen-Problem

Weil die Reichweite des E-Autos bis auf Weiteres ein Problem darstellt, soll es zunächst den klassischen Zweitwagenbesitzern schmackhaft gemacht werden. Ein knappes Drittel aller Haushalte in Deutschland besitzt zwei oder mehr Fahrzeuge. In der Regel sind es Familien mit Kindern. Tatsächlich erstreckt sich der durchschnittliche Aktionsradius berufstätiger Mütter auf lediglich 40 Kilometer, die es allerdings in sich haben. Die Anzahl ihrer täglichen Wege ist höher als die aller anderen Vergleichsgruppen.

Die durchschnittliche Zeit von 82 Minuten, die sie jeden Tag unterwegs sind, zählt zum Spitzenfeld. Es dürfte keineswegs einfach sein, dieses stressgeplagte Klientel auch noch mit einem komplizierten Lademanagement eines Elektroautos zu beglücken. Und ganz ohne berufstätigen Vater, die Gruppe mit dem zweitgrößten Tagespensum, kommt auch der Zweitwagen nicht ins Haus. Zwar legen sie nicht ganz so viele Wege wie ihre Partnerinnen zurück, dafür sind ihre Tagesstrecken mit durchschnittlich 65 Kilometern deutlich länger. Als Spielzeug hat das E-Auto auch im Zweitwagensegment nur geringe Chancen.

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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