«Sehe automatisiertes Fahren nicht als den Big Bang»

Bosch-Geschäftsführer Dirk Hoheisel

«Sehe automatisiertes Fahren nicht als den Big Bang»
Dirk Hoheisel verantwortet bei Bosch auch das autonome Fahren. © Bosch

Dirk Hoheisel verantwortet bei Bosch auch das Thema autonomes Fahren. Im Interview mit der Autogazette spricht der Manager über Datenschutz, Sicherheit vor Hackern und Kosten selbstfahrender Autos.

Der Technologiekonzern Bosch rechnet damit, noch in diesem Jahrzehnt die Kosten fürs autonome Fahrzeuge deutlich reduzieren zu können. «Studien zufolge wären Autofahrer bereit, dafür rund 3000 Euro mehr zu bezahlen. Ich denke, dass wir bis um das Jahr 2020 herum die dann aktuelle Technik für diese Summe anbieten können», sagte Bosch-Geschäftsführer Dirk Hoheisel im Interview mit der Autogazette.

Rechtliche Rahmenbedingungen anpassen

Hoheisel, der bei Bosch neben der Vernetzung auch das autonome Fahren verantwortet, mahnte unterdessen die Politik an, die Gesetze fürs autonome Fahren zu schaffen. Derzeit würden die gesetzlichen Rahmenbedingungen noch gut zu den Plänen für die Einführung des automatisierten Fahrens passen. Wichtig sei aber, dass die «Politik mit den technischen Möglichkeiten Schritt» halte. Wenn man wie vorgesehen ab 2020 hochautomatisiert auf der Autobahn fahren wolle, «müssten die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür erst noch angepasst werden. Aber wir sind optimistisch, dass das rechtzeitig gelingt».

«Wir haben eigene Aktivitäten im Silicon Valley»

Autonomes Fahren Bosch
Ein autonom fahrender Tesla mit Bosch-Technologie Bosch

Autogazette: Herr Hoheisel, erstmals war auch Google auf der IAA vertreten. Wie sehr nehmen Sie Firmen wie Google oder auch Apple als Konkurrenz wahr?

Hoheisel: Wir sind ein Zulieferer und betrachten Google als Kunden wie andere Firmen auch. An den Spekulationen um Apple beteiligen wir uns nicht.

Autogazette: Aber insbesondere haben Sie ja klassische Autobauer als Kunden...

Hoheisel: ...natürlich haben wir klassische Autobauer als Kunden, die ein tiefes Wissen in allen Bereichen rund ums Automobil haben. Doch wir gewinnen auch immer mehr neue Kunden hinzu, die aus der IT-Branche kommen. Es ist für ein Unternehmen wie Bosch wichtig, mit unterschiedlichen Firmen zusammenzuarbeiten, weil wir dadurch auch unterschiedliche Inputs bekommen.

Autogazette: Was bekommt Google genau von Ihnen?

Hoheisel: Wir liefern wesentliche Komponenten des elektrischen Antriebsstrangs inklusive der Leistungselektronik. Zudem liefern wir unsere Fernbereichsradarsensoren und die Lenkung.

Autogazette: Gib es etwas, was Sie von Firmen wie Google lernen können?

Hoheisel: Wir haben eigene Aktivitäten im Silicon Valley. Zum Beispiel entwickeln wir das automatisierte Fahren seit 2011 nicht nur in Abstatt, in Baden-Württemberg, sondern auch in Palo Alto. Wenn Sie schauen, woher der wissenschaftliche Input im Silicon Valley kommt, dann landen Sie schnell bei der Stanford University. Wir verwenden ähnliche Basisgedanken wie die Forscher dort, aber mit unterschiedlichen Ausprägungen.

«Wir schaffen volle Transparenz»

Autogazette: Haben IT-Firmen wie Google nicht den Vorteil, Autos komplett neu denken zu können, ohne sich an bestehenden Traditionen orientieren zu müssen?

Hoheisel: Welche Philosophie dahintersteckt, müssen Sie Google fragen. Doch ohne Frage agiert man bei Firmen wie Google oder auch Tesla agiler. Die Geschwindigkeit ist dort sicherlich etwas schneller, als wir es von unseren klassischen Geschäftspartnern kennen. Darauf müssen wir uns einstellen – und das können wir. 2014 sind wir von Tesla für die Zusammenarbeit sogar ausgezeichnet worden.

Autogazette: Für die IT-Unternehmen wird das Auto zum Teil des Internets und damit auch zum Datenerzeuger. Führt diese schöne neue Datenwelt nicht zum gläsernen Autofahrer?

Hoheisel: Wenn sie aus der Vernetzung Nutzen ziehen wollen, müssen sie gewisse Daten preisgeben. Der Standpunkt von Bosch ist hier eindeutig: Wir schaffen volle Transparenz darüber, was mit den Daten geschieht. Der Nutzer muss das Entscheidungsrecht haben, ob er die Daten freigeben will oder nicht.

Autogazette: Was unternehmen Sie, damit die Daten sicher bleiben und Autos nicht gehackt werden?

Hoheisel: Seit Bosch an der Fahrzeugvernetzung arbeitet, ist auch deren Absicherung ein zentrales Anliegen. Wir haben in unserem Hause ein mehrstufiges Sicherheitskonzept erstellt, das den Umgang mit Daten so sicher wie möglich macht. Ich vergleiche das immer mit einer Ritterburg, bei der es nicht nur einen Schutzwall gibt, sondern mehrere solcher Wälle. Entscheidend ist, dass man in der Umsetzung dieser Mechanismen den Stand der Technik realisiert. Doch der entwickelt sich weiter, deshalb sollte man nicht in der irrigen Annahme leben, dass es 100-prozentige Sicherheit gäbe.

«Es ist wichtig, dass die Technik verfeinert wird»

Ohne exaktes Kartenmaterial geht autononomes Fahren nicht.
Alle Fahrmanöver werden genau analysiert Bosch

Autogazette: Ist das Thema Cyber-Sicherheit durch den Hack eines Jeep Cherokee jetzt noch einmal stärker in den Fokus gerückt?

Hoheisel: Nicht bei uns. Wir haben bereits sehr früh damit angefangen, bei den von uns verwendeten Chipsätzen entsprechende Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Und wir trennen unser Infotainmentsystem, das mit dem Smartphone oder dem Internet verbunden ist, strikt von fahrrelevanten Domänen. Doch es ist wichtig, dass die Technik immer weiter verfeinert wird.

Autogazette: Schaut man sich das jüngste Car-Hacking an: bleibt Sicherheit dann eine Illusion?

Hoheisel: Wie gesagt: 100-prozentige Sicherheit kann niemand gewährleisten, aber man kann hohe Sicherheitsstandards schaffen. Die Industrie täte gut daran, auch bei der Datensicherheit einen gemeinsamen Standard zu definieren – ähnlich der ISO 26262 für die funktionale Sicherheit.

Autogazette: Begrüßen Sie die Forderung von Bundesverkehrsminister Dobrindt, Automobilhersteller, Zulieferer und Dienstleister zu einer sicheren Datenverschlüsselung zu verpflichten und sie von einer externen Stelle prüfen zu lassen?

Hoheisel: Ich kenne die Pläne nicht im Detail. Aber grundsätzlich ist es positiv, das Thema der Datensicherheit zu forcieren. In der Industrie ein gemeinsames Bewusstsein und Verständnis dafür zu schaffen, begrüßen wir. Ob das dann von einem externen Institut überprüft wird, ist eine andere Frage. Mich stört bei dieser ganzen Diskussion immer, dass man den Nutzen der Vernetzung außer Acht lässt. Wir machen das ja nicht aus Jux und Dollerei, sondern wir wollen das Fahren sicherer machen.

«Noch passen gesetzlichen Rahmenbedingungen»

Deutschland liegt mit den USA an der Spitze beim autonomen Fahren.
Seit 2013 testet Bosch autonomes Fahren auch in USA Bosch

Autogazette: Lassen Sie uns übers autonome Fahren sprechen: Sehen Sie hier ein ethisches Dilemma?

Hoheisel: Automatisiert fahrende Autos halten sich genau an alle Verkehrsregeln und sind sehr defensiv unterwegs. Fahrzeuge, die wir auf dieser Technik aufsetzen, werden sicherer Fahren, als es ein Mensch je könnte. Unsere Testfahrzeuge beispielsweise, mit denen wir das automatisierte Fahren seit Anfang 2013 im öffentlichen Straßenverkehr erproben, sind darauf ausgelegt, nicht zu kollidieren und Unfälle zu vermeiden. Uns geht es darum, erst gar nicht in eine Dilemma-Situation zu kommen.

Autogazette: Sind Sie enttäuscht, dass die Modifikation der Wiener Konvention noch nicht in die nationale Gesetzgebung eingegangen ist?

Hoheisel: Noch passen die derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen gut zu unserem Plan, das automatisierte Fahren schrittweise einzuführen. Die ersten teilautomatisierten Fahrfunktionen sind bereits in Serie. Den nächsten technologischen Schritt sehen wir beim Parken. Noch in dieser Dekade werden Sie Ihr Auto im Einfahrtsbereich eines Parkhauses abstellen können und es sucht sich dann automatisch einen freien Stellplatz. Genauso kommt es auch wieder vorgefahren, wenn Sie zurückkommen. Wir nennen das Automated Valet Parking. Wichtig ist, dass die Politik mit den technischen Möglichkeiten Schritt hält. Wenn wir ab 2020 hochautomatisiert auf der Autobahn fahren wollen, müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür erst noch angepasst werden. Aber wir sind optimistisch, dass das rechtzeitig gelingt.

Autogazette:Sehen Sie nicht die Gefahr, dass ohne solche gesetzlichen Rahmenbedingungen die Technik in Deutschland ausgebremst wird?

Hoheisel: Wir müssen in der Tat aufpassen, dass wir in Deutschland nicht eine einmalige Chance verpassen. Dass diese Technik kommen wird, steht außer Frage. Es wäre schade, wenn sich Deutschland hier nicht an vorderster Front bewegen würde.

«Wir wollen nicht nur einen Showcase zeigen»

Autogazette: Mit Blick auf das Valet-Parking arbeiten sie ja mit Daimler zusammen. Ab wann wird es denn so weit sein?

Hoheisel: Wir haben zusammen mit Daimler vereinbart, hier keine konkreten Angaben zu machen. Aber gehen Sie mal davon aus, dass Sie das noch vor Ende des Jahrzehnts erleben werden.

Autogazette: BMW hat einen i3 im Januar bereits am Rande der CES in ein Parkhaus autonom fahren lassen. Wo liegt denn da noch Ihre Innovationsleistung?

Hoheisel: Wir bieten eine vernünftige Balance zwischen dem, was man im Parkhaus und dem, was man im Auto tun muss. Wir haben einen guten Kompromiss gefunden, wie wir Automated Valet Parking ohne große Veränderungen im Auto und der Infrastruktur realisieren können. Wir wollen nicht nur einen Showcase zeigen. Wir wollen das in Serie sehen.

Autogazette: Welcher Parkhausbetreiber sollte freiwillig eine solche Investition in die Infrastruktur tätigen?

Hoheisel: Parkhausbetreiber werden knallhart kalkulieren, deshalb werden wir die Kosten auch nicht so hoch werden lassen. Es gibt bereits Interesse von Parkhausbetreibern, aber auch von Städten und Gemeinden. 30 Prozent des innerstädtischen Verkehrs gehen aufs Parken zurück. Durch das Automated Valet-Parking kann auch der innerstädtische Verkehr entlastet werden. Zugleich arbeiten wir am Community-based Parking. So fahren bereits heute in unseren Autos Sensoren spazieren, die nach freien Parkplätzen Ausschau halten. Diese Infos braucht man nur noch in die Cloud zu spielen und damit eine Karte zu erstellen, auf der freie Parkplätze zu sehen sind.

«Automatisiertes Fahren nicht von heute auf morgen»

Autonomes Fahren Bosch
Die Teilschritte zum vollautonomen Fahren Bosch

Autogazette: Wie teuer dürfen die Systeme für autonomes Fahren sein, damit es auf eine breite Akzeptanz stößt?

Hoheisel: Studien zufolge wären Autofahrer bereit, dafür rund 3000 Euro mehr zu bezahlen. Ich denke, dass wir bis um das Jahr 2020 herum die dann aktuelle Technik für diese Summe anbieten können.

Autogazette: Ihr Kooperationspartner bei den Karten ist TomTom, der gerade bekannt gegeben hat, das deutsche Autobahnnetz digitalisiert zu haben. Ist das ein entscheidender Schritt?

Hoheisel: Es hört sich nicht spannend an, aber es ist so: Automatisiertes Fahren kommt nicht von heute auf morgen, wir nähern uns dem Schritt für Schritt an. Dazu gehören auch die hochauflösenden Karten. Das hat TomTom für die Autobahn jetzt hinbekommen.

Autogazette: Welches Wachstum an Fahrassistenzsystemen erwartet Bosch für die kommenden Jahre in diesem Bereich?

Hoheisel: Der Umsatz von Bosch legt hier aktuell jährlich um ein Drittel zu. 2016 planen wir die Umsatzschwelle von einer Milliarde Euro zu erreichen. Unser Vorteil ist, dass wir das automatisierte Fahren von der einzelnen Komponente bis zum Gesamtsystem bedienen können. 2014 haben wir mehr als 50 Millionen Umfeldsensoren für die Fahrerassistenz ausgeliefert. Dieses Jahr wird sich wie schon 2014 unser Absatz von Radar- und Videosensoren erneut verdoppeln. Voraussichtlich 2016 fertigen wir den 10-millionsten Radarsensor mit 77-Gigahertz-Technologie. Und Mitte Juli ist bei Bosch in Schwäbisch Gmünd zudem die 50-millionste elektrische Servolenkung vom Band gelaufen.

Autogazette: Wird autonomes Fahren perspektivisch mit zum wichtigsten Geschäftsfeld von Bosch?

Hoheisel: Bosch hat viele wichtige Geschäftsfelder wie unseren Powertrain- oder Chassisbereich. Ich würde das automatisierte Fahren nicht als den ‚Big Bang‘ sehen, für mich ist es eine stetige Weiterentwicklung der Assistenzfunktionen. So kommen wir Schritt für Schritt zum vollautomatisierten Fahren.

Das Interview mit Dirk Hoheisel führte Frank Mertens

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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