Tücken auf dem Weg zum unfallfreien Fahren

Tagung des VDI

Tücken auf dem Weg zum unfallfreien Fahren
Reduzierung der Unfallzahlen durch Car-to-X. © Daimler

Die Fahrsicherheits-Systeme haben in den letzten Jahren ein hohes Level erreicht. Doch eine Vielzahl der Assistenten vermittelt zum Teil eine trügerische Sicherheit. Auf dem Weg zum unfallfreien Fahren muss deshalb behutsam vorgegangen werden.

Von Thomas Flehmer

Daimler-Chef Dieter Zetsche glaubt an ein weitgehend unfallfreies Fahren in zehn Jahren – und auch die Europäische Union verfolgt in ihrem Weißbuch im Rahmen der "Aktion Zero" eine Halbierung der Todesfälle im Straßenverkehr bis zum Jahr 2020. Aktuell werden allein auf deutschen Straßen knapp 4000 Menschen pro Jahr getötet. "Die Technik der Sicherheit entwickelt sich rasant", sagt Volker Schindler, Leiter des Fachgebiets Kraftfahrzeuge an der Technischen Universität Berlin, am Rande der Tagung "Verkehrssicherheit" des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) in Berlin. Die Frage stelle sich aber dabei: Wie viele passive Sicherheit brauchen wir in Zukunft noch?

30 Prozent der Verkehrstoten nicht angeschnallt

ABS, Airbags und ESP sind seit langen Jahren etabliert. In den letzten Jahren hoben Sensor- und Videotechnik die Fahrassistenzsysteme auf einen noch höheren Level. Abstandstempomat, Verkehrszeichenerkennung, Notbremsassistent haben mittlerweile den Gang von der Oberklasse, in der die zuerst sehr teuren Systeme Einzug finden, in die Kompaktklasse angetreten.

Doch die Vielzahl der Assistenten birgt auch seine Schwierigkeit. "Noch heute sind 30 Prozent der Getöteten nicht angegurtet", sagt Thomas Herpich vom Autozulieferer TRW Automotive Systems, "sie fühlen sich aufgrund der passiven Sicherheitselemente sicher."

Vier Prioritäten für die Sicherheit

Auf der Tagung wollen die Ingenieure deshalb die verschiedenen Systeme priorisieren, die sinnvoll helfen, Unfälle zu vermeiden. Dafür soll die vor zwei Jahren abgegebene "Berliner Erklärung zur Fahrzeugsicherheit" des VDI aktualisiert werden. Vier Punkte genießen dabei laut Rodolfo Schöneburg, Direktor Sicherheit bei der Daimler AG und Vorsitzender der veranstaltenden VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik, höchste Priorität.

Neben der Unfallvermeidung sollen die ungeschützten Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger oder Radfahrer besser geschützt werden. Die Elektromobilität wirft neue Konflikte der Sicherheit auf. Und die passive Sicherheit der Motorradfahrer müsse verbessert werden.

Stark gefährdete Motorradfahrer

Vor der ersten Ausfahrt sollte auf dem Bike wieder geübt werden IFZ

"Speziell bei den Motorradfahrern ist der Anteil der Getöteten sehr hoch", so Schöneburg. Neben technischen Systemen spielen bei den Bikern aber auch klimatische Verhältnisse und Selbstdisziplin eine Rolle. "Nach einem langen Winter geht es ohne Übung wieder auf das Motorrad", sagt Schöneburg. Unfälle sind dann schon fast vorprogrammiert.

Bei den Elektroautos wird sehr viel Wert auf das Gewicht gelegt, das die Reichweite beeinflusst. "So kommt es bei den zumeist kleinen Elektrofahrzeugen zu technischen Komplikationen", sagt Schindler, "es gibt Differenzen mit der passiven Sicherheit, da diese Systeme ein gewisses Gewicht von vornherein mitbringen. Doch kleine Fahrzeuge müssen auch sicher sein."

Fahrzeug-Vernetzung als Mittel der Unfallvermeidung

Ein Feldversuch mit vernetzten Autos soll die mobile Zukunft einleiten.
Vernetzte Autos können Unfälle im Vorfeld vermeiden Sim-TD

Hand in Hand laufen die Punkte der Unfallvermeidung und dem Schutz der Fußgänger und Radfahrer. Hier sieht Schöneburg ein Verbesserungspotenzial von bis zu 60 Prozent in den kommenden Jahren. "50 bis 70 Prozent der Fußgänger auf der Straße sind bereits erfassbar", sagt Klaus Kompass von der BMW AG. Weitere Maßnahmen werden diese Zahl in den kommenden Jahren erhöhen – und es so erst gar nicht zum Unfall kommen lassen.

Die Zauberworte nicht nur für diesen Bereich heißen Car-to-Car oder Car-to-X, also die Vernetzung der Autos untereinander oder zwischen Fahrzeugen und anderen Verkehrsteilnehmern. Damit könnte ein Auto quasi um die Ecke schauen und sich auf eine mögliche Gefahrensituation einstellen und im besten Fall dann den Unfall vermeiden.

Notbremsassistent schneller als der Airbag

Der Abstandswarner hält das Fahrzeug auf Distanz Volvo

Allerdings schlägt den Systemen, die nicht nur bei Premiumherstellern mit hoher Schlagzahl getestet werden, aber auch noch ein gewisses Maß an Skepsis entgegen, wie es ESP, ABS oder Airbag in deren Anfangszeiten auch ertragen mussten. "Der Ausnahmefall, bei dem das System nicht funktioniert hat, darüber spricht man", sagt Kompass, "das wirft dann ein schlechtes Licht auf eine gute Technologie." Funktioniert hingegen das System, wird darüber nicht gesprochen, vielleicht merkt es der Fahrer gar nicht, in welcher Gefahrensituation er sich befunden hat. Das ESP ist dafür ein Beispiel. Die Lampe des Schleuderblockers nimmt der Fahrer vielleicht zur Kenntnis und fährt dann munter weiter, ohne bemerkt zu haben, dass er sich gerade in einer kritischen Situation befand.

Doch die Technologie hat auch noch andere Schwachstellen. Wie bei allen neu eingeführten Systemen, liegen die Kosten zuerst sehr hoch. "Car-to-Car funktioniert aber nur dann, wenn viele Autos damit ausgestattet sind", so Kompass. Da werden noch einige Jahre vergehen, ehe die Technik den Gang von der Ober- in die Mittel- oder Kompakt- geschweige denn Kleinwagenklasse antreten wird.

Schneller dagegen wird ein anderer Helfer seinen Siegeszug antreten. "Der halbautomatische Bremsassistent wird sich schneller durchsetzen als damals der Airbag", ist sich Herpich sicher. Das System ist bereits in der Kompaktklasse angekommen.

Bessere Kommunikation zwischen Verkehrsteilnehmern und Kommunen

Damit die bereits vorhandenen und in Zukunft entwickelten Systeme auch wirklich allen Autofahrern Leben retten können und in allen Autos zu Regel werden, setzt Kompass auf so genannte Verbraucherschutz-Ratings, da etwaige Gesetzesvorlagen und Gesetze "der Technik hinterher laufen." Dagegen haben Wertungen wie beim Euro-NCAP einen gewissen "Beschleunigungscharakter" bei Herstellern wie bei Autokäufern, die Wichtigkeit der Sicherheit zu erkennen.

Doch neben den technischen Helferlein fordert Herpich auch Mithilfe der Verkehrsteilnehmer und Kommunen. "Die Kommunikation muss verbessert werden, um Unfallschwerpunkte zu identifizieren. Wenn den Kommunen von den Verkehrsteilnehmern Hinweise zu Problemzonen gegeben werden, können auch auf diese Weise Unfälle vermieden werden." Und die technischen Voraussetzungen zur Kommunikation besitzt fast jeder Autofahrer: Telefon oder Internet.

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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