«Kein Grundrecht auf Entfernungspauschale»

Verhandlung vor Bundesverfassungsgericht

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat die Streichung der Pendlerpauschale verteidigt. Das Bundesverfassungsgericht prüft derzeit die Vereinbarkeit der Neuregelung mit dem Grundgesetz.

Im Grundsatzverfahren über die steuerliche Absetzbarkeit von Fahrtkosten zum Arbeitsplatz wird das Bundesverfassungsgericht nicht die Rückkehr zur früheren Pendlerpauschale beschließen. «Wir entscheiden nicht, ob die alte Pendlerpauschale wieder eingeführt werden muss oder soll», stellte Andreas Voßkuhle, Vizepräsident des Gerichts, am Mittwoch in Karlsruhe klar.

Der Zweite Senat entscheide allein über die Vereinbarkeit der neuen Regelung mit dem Grundgesetz. Sollte das seit Anfang 2007 geltende Regelwerk verfassungswidrig sein, müsste der Gesetzgeber zunächst über ein neues Gesetz nachdenken, sagte der Senatsvorsitzende zum Auftakt der Anhörung.

Steinbrück verteidigt Abschaffung

Mit Nachdruck verteidigte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) die weitgehende Abschaffung der früheren Pendlerpauschale. «Wir haben uns bei der Neuregelung exakt an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehalten.» Danach liege die Grundentscheidung, ob Fahrtkosten zum Arbeitsplatz steuerlich absetzbar sind, beim Gesetzgeber; es gebe kein «Grundrecht auf eine Entfernungspauschale». Die Neuregelung war mit der Einführung des «Werkstorprinzips» gerechtfertigt worden, wonach die Arbeit am «Werkstor» beginnt.

Nach den Worten des Ministers ist die Mehrheit der Pendler ohnehin nie in den Genuss der Pendlerpauschale gekommen, weil bei kleinen und mittleren Einkommen die Kosten häufig bereits durch den Arbeitnehmerpauschbetrag von 920 Euro abgedeckt seien. Steinbrück erinnerte an die Finanznöte des Bundes: «Die neue Bundesregierung stand vor der Situation eines verfassungswidrigen Haushalts.» Zudem sei Deutschland angemahnt worden, «sich endlich europakonform zu verhalten» und die Defizitkriterien einzuhalten.

Einsparungen 2,5 Milliarden Euro

Die Karlsruher Richter sind vom Bundesfinanzhof sowie von den Finanzgerichten Niedersachsens und des Saarlands angerufen worden. Sie halten die neue Regelung für verfassungswidrig. Union und SPD hatten die Pendlerpauschale zum 1. Januar 2007 grundsätzlich abgeschafft, allerdings eine Härtefallregel für Fernpendler eingeführt: Vom 21. Entfernungskilometer an sind 30 Cent pro Kilometer weiterhin steuerlich absetzbar. Der Staat spart so 2,5 Milliarden Euro. Nach Angaben eines Vertreters des Münchner Fraunhofer Instituts wohnen rund drei Viertel der Arbeitnehmer maximal 20 Kilometer vom Arbeitsplatz entfernt. Ein Urteil des Zweiten Senats wird bis zum Ende des Jahres erwartet.

Die Anwälte der Kläger pochten auf steuerliche Absetzbarkeit der Kosten. Fahrten zum Arbeitsplatz seien ein «zwangsläufiger beruflicher Aufwand», insistierte der Bonner Rechtsanwalt Reiner Odenthal. Deshalb sei es bereits von der Verfassung her geboten, solche Aufwendungen vom besteuerbaren Einkommen abzuziehen. Vor allem bei berufstätigen Ehegatten sei klar, dass zumindest einer oftmals längere Wege zum Arbeitsplatz hinnehmen müsse. Ehepaare könnten in einen unlösbaren Konflikt geraten: «Dann wird die ganze Familie durch das Werkstorprinzip auseinandergebracht.»

Skepsis gegenüber Neuregelung

Im Zentrum des Verfahrens stand die Frage, ob Fahrtkosten zum Job allein beruflich veranlasst sind oder ob es sich nicht doch um «gemischte Aufwendungen» handelt, weil für die Entfernung zum Arbeitsplatz auch ein privates Motiv, nämlich die Wahl des Wohnorts eine Rolle spielt. Die Fragen von der Richterbank ließen zunächst kein einheitliches Meinungsbild erkennen. Lerke Osterloh, als «Berichterstatterin» federführend in dem Verfahren, zeigte sich skeptisch gegenüber der Neuregelung. Die Frage sei, ob Fahrtkosten zumindest dem Grunde nach typischerweise beruflich veranlasst seien, jedoch bei der Höhe Abzüge von den tatsächlichen Aufwendungen erlaubt sein könnten. «Niemand kann am Werkstor wohnen», sagte die Richterin. (dpa)

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