In acht Stunden um die Welt

BMW

Die Welt zu Gast bei BMW. Im neuen Energie- und umwelttechnischen Versuchszentrum können die Münchner ihre neuen Prototypen vor der Haustür in allen Klimazonen der Welt testen.

Von Thomas Flehmer

Der Beruf des Testfahrers hat etwas Mystisches an sich haften. Um die Welt zu reisen und immer die neuesten Fahrzeuge zu testen, gilt als Traumberuf, der viele Abenteuer verspricht. Vom schwedischen Arjeplog am Polarkreis über Namibia ins amerikanische Death Valley, wer möchte das nicht? Dass dieser Beruf viele Strapazen und Unwegsamkeiten mit sich zieht, wird dabei meistens in den Hintergrund verdrängt. Ganz zu schweigen von der Zeit und dem Geld, das dafür investiert werden muss, um die Wagen wirklich in allen Klimazonen und Bedingungen auf ihre Tauglichkeit zu testen, ehe sie in den Verkauf gehen.

Investitionen über 130 Millionen Euro

Doch nicht immer war der Winter im Norden ein wirklicher Winter und die Bedingungen im Süden Afrikas so, wie sich die Ingenieure und Forscher das wünschen würden. Die Testfahrten mussten verschoben werden und gerade dann zeigte sich, dass Zeit wirklich Geld ist. Denn bisher war Schweden von Ende November bis Ende Februar angesagt, anschließend der Gang in die Wüste - und wenn die klimatischen Bedingungen nicht stimmten, musste weiter gezoegen werden. Mit der Errichtung des rund 130 Millionen Euro teuren Energie- und umwelttechnischen Versuchszentrums (EVZ) im Münchner Norden kann der Autohersteller nun die Klimazonen auf Knopfdruck in einem Gebäude nachstellen. "Dadurch haben wir kürzere Reaktionszeiten und können auf spezielle Anforderungen schneller reagieren", sagt Peter Hoff, Leiter des Versuchszentrums.

In drei thermischen Windkanälen und zwei Kammerprüfständen werden die neuen Fahrzeuge unabhängig von den jeweiligen klimatischen Bedingungen, egal ob Sonne oder Schnee getestet. Zwischen minus 55 und plus 40 Grad prallen nun im Versuchzentrum auf die Prototypen. Sicher gab es auch früher Windkanäle und Prüfstände, doch BMW hat den Entwicklungsprozess jetzt optimiert. Mussten zum Beispiel beim Test der Scheibenenteisung die einzelnen Bereiche manuell an der Frontscheibe eingezeichnet werden, übernimmt nun der Computer die digitale Speicherung der Daten. "Früher dauerten diese Versuche fünf Stunden, bei vollautomatischer Durchführung sind wir heute in 25 bis 30 Minuten fertig", so Hoff.

Kurze Wege

Foto: BMW Kurze Wege zwischen den Klimazonen

Neben den verkürzten Testzeiten ist es ein großer Vorteil, dass im Zentrum jegliche Klimazonen jahreszeitenunabhängig simuliert werden können. Während im Sommer die Testwagenfahrer zwischen Wohnwagenkolonnen die Serpentinen zum Mount Vertoux im waghalsigen Tempo hinaufpreschen mussten, werden nun die klimatischen Bedingungen des besonders durch die Tour de France bekannt gewordenen Berges im Versuchszentrum simuliert - egal, ob im Sommer, Herbst, Frühling oder Winter. "Und wir können immer unter realen Umweltthemen testen", sagt Jürgen Engelmann, der für den Umweltwindkanal zuständig ist, "innerhalb von acht Stunden können nun die Tests durchlaufen werden, was sonst auf der Welt Tage oder Wochen dauern würde."

Durch die Unabhängigkeit von den Jahreszeiten können nun im Versuchszentrum die ersten Testdurchläufe vollzogen werden, um Schwächen an den Fahrzeugen recht schnell zu beheben. "Die Spezialisten können schnell eingreifen, das ist ein ganz großer Vorteil", so Jörg Reissing von der Entwicklung Antriebsstrang. Fehlte mal in Namibia oder in Alaska ein Ersatzteil, so musste darauf tagelang gewartet werden, im Versuchszentrum sind die Wege sehr viel kürzer.

"Ohne Straßenversuche geht nichts"

Foto: BMW Unter das Solarium geht es nur mit Schutzkleidung

Nach den Versuchen in dem Umweltzentrum werden die Prototypen dann in die reale Welt geschickt. Denn "ohne Straßenversuche geht nichts", sagt Reissing. Dort wird dann vor allem die Querdynamik getestet, was in den Windkanälen nicht getestet werden kann. Und die Testfahrer können dann ihrem eigentlichen Job wieder nachgehen - und sich noch mehr spezialisieren.

Allerdings wird dann vor Ort nicht mehr so viel Personal wie früher gebraucht. Zu Entlassungen kam es dabei aber nicht. Die Mitarbeiter wurden umgeschult, um dann innerhalb des Versuchszentrums ihre Kenntnisse umsetzen. Insgesamt 36 Mitarbeiter sind für die fünf Kammern und Kanäle zuständig. Gearbeitet wird seit Jahresanfang im Zweischichtbetrieb, "eine dritte Schicht wird wohl dazukommen", sagt Engelmann. Schon nach einem halben Jahr hat das EVZ eine Auslastung von 100 Prozent erreicht. Denn schließlich müssen sich die 130 Millionen Euro Investitionskosten auch rentieren. Dass sich die Rentabilität durch Einsparungen bei den Erprobungen, Transport, Material und Man-Power einstellen wird, davon gehen alle aus. Und das Mystische am Beruf Testfahrer bleibt trotzdem erhalten - wenn auch jetzt in kleineren Dosen.

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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