Englischer Jet Set im Geschwindigkeitsrausch

Das «Kanonenball»-Rennen ist ein Event für überwiegend britische Autofreaks. Die High-Society hält sich bei der Tour durch Europa jedoch kaum an Tempo-Limits. Die Polizei zog einige Sportwagen auch in diesem Jahr aus dem Verkehr.

Von Elena Senft

«Oh mein Gott! Was für eine Erfahrung!» So bringt ein Brite seinen jüngsten Geschwindigkeitsrausch auf europäischen Autobahnen auf den Punkt. Er war in der ersten Juli-Hälfte mit von der Partie, beim traditionellen «Cannonball-Europe-Rennen». Das inoffizielle Autorennen quer durch Europa hat auch die französischen Polizisten wieder beschäftigt, ging es doch diesmal von London bis nach Rom. Und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein - das nächste «Kanonenkugel»-Rennen ist schon in Planung, weiß auch die Polizei.

Britische Autofreaks

Mehrmals im Jahr treffen sich die «Cannonballers», jene reichen, meist aus Großbritannien stammenden Autofreaks. In einer mehrtägigen Rallye stellen sie ihre luxuriösen Sportwagen zur Schau und wollen den begehrten Pokal holen, den der Gewinner beim nächsten Rennen verteidigt.

Für die deutsche Polizei kein unbekanntes Phänomen, denn die Rallye führt auch oft durch Deutschland. Erst vor einem Jahr sperrte die schleswig-holsteinische Polizei die Autobahnen A 1 und A 24 und zog in Bargteheide 60 Sportwagen auf dem Weg nach Berlin aus dem Verkehr.

Die Idee der Rallye ist nicht neu. Eric «Cannonball» Baker, Langstreckenrekordhalter in den USA der 30er Jahre, inspirierte in den 70er Jahren die Organisatoren der ersten «Cannonball-Rennen». Später wurde das Kultrennen im Kino-Hit «Auf dem Highway ist die Hölle los» verfilmt. Tim Porter, einem britischen Geschäftsmann, gelang es schließlich 2002, das Rennen auch in Europa zum Kult zu machen. Er arbeitet momentan an einer Neuauflage in den USA, die Organisation der europäischen Rennen haben andere übernommen.

6000 Euro Teilnahmegebühr

Das Prinzip: Die Fahrer kennen den Startpunkt und erfahren dann täglich erst kurz vor der Weiterfahrt das Tagesziel. Die letzte Tour war die Route London-Rimini-Rom und dann über Lyon nach Brüssel. Die «Rennfahrer» schlafen in feinen Hotels, feiern, werden von «Checkpoint-Girls» wie Stars empfangen. Und das hat seinen Preis. 6600 Euro kosten Teilnahme, Unterbringung und Verpflegung. Bußgelder wegen zu schnellen Fahrens zahlen die Fahrer selbst. Doch das schreckt niemanden ab, denn Geld spielt für die Fahrer keine Rolle. Oft haben sie bündelweise Bargeld dabei, um sofort zu zahlen und schnell weiterzufahren.

Allerdings, erklärt Jan Deschamps vom Race-Organisationsteam, gehe es eigentlich doch nicht um den Geschwindigkeitsrausch, sondern darum, möglichst nah an der Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 Meilen, also 97 Kilometern pro Stunde, zu fahren. Nicht umsonst, erklärte Deschamps der Zeitung «Le Journal du Dimanche», führe ein Volvo momentan die Siegertabelle vor Ferraris und Lamborghinis an.

Dieses Ziel kennen scheinbar nicht alle. Beim letzten Rennen stieg Costa, ein 31 Jahre alter Zahnarzt, nach einem Etappenziel als erster aus «der Frau seines Lebens», seinem schwarzen Schlitten. «Ich habe das Auto vor kurzem gekauft. Vorher hatte ich drei Porsche, aber neben diesem Lamborghini sind die nichts wert.» Ab Tempo 210 erreiche er ein Hochgefühl.

Hohe Geldbußen

Und er ist nicht der einzige. Während des Juli-Rennens wurde eine Engländerin in der Schweiz mit 144 Stundenkilometern statt der erlaubten 80 geblitzt. Zwei britische Immobilienmakler wurden wegen Rasens zu drei Monaten Gefängnis auf Bewährung und 1000 Euro Strafe verurteilt, ihre Autos im Wert von zusammen mehr als 300.000 Euro beschlagnahmt. Sie waren im nordfranzösischen Béthune mit Tempo 190 und 244 geblitzt worden. Auch zwei weitere Porschefahrer tappten in die Radarfallen.

Die Polizei in Nordfrankreich kennt das Rennen nur zu gut. «Zwei bis drei Mal im Jahr müssen wir uns mit diesen reichen Leuten auseinander setzen, die Geschwindigkeitsbegrenzungen problemlos ignorieren, weil sie die Gerichte bei uns für milder halten», sagt Louis Wallon, Staatsanwalt von Béthune. Inzwischen versuche man sich in Internetforen über die Routen zu informieren.

Im Winter führen die Rennen meist zu luxuriösen Skiorten, im Sommer an die Strände Italiens oder zu Veranstaltungen wie dem Filmfestival von Cannes. Für das nächste Rennen im September wirbt die Internetseite bereits: «Erleben Sie den Nervenkitzel!» Der Startpunkt ist Belgien, die Route ansonsten wie immer streng geheim. (dpa)

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