Chinas mörderischer Straßenverkehr

Nur so viele Autos wie in Deutschland, aber 90.000 Verkehrstote: Der chinesische Verkehr gilt als der gefährlichste der Welt. Volkswagen forscht jetzt vor Ort nach den Ursachen.

Von Till Fähnders

Nirgendwo im Reich der Mitte lebt es sich so gefährlich wie auf Chinas Straßen. Die Polizei-Statistik verzeichnet 7,5 Prozent der Verkehrstoten weltweit - bei nur drei Prozent aller Autos. Im bevölkerungsreichsten Land der Erde gibt es zwar nur ebenso viele Autos und Lastwagen wie in Deutschland, wie Zahlen zeigen, die Konzernforscher vom deutschen Autobauer Volkswagen zusammengestellt haben. Doch im vergangenen Jahr forderte Chinas Verkehr mit fast 90.000 Toten rund 18 Mal so viele Opfer.

Nachholbedarf bei Verkehrsregeln

Bei VW glaubt man deshalb, dass Sicherheit zunehmend auch in China zum Verkaufsargument werden wird. Gemeinsam mit der Schanghaier Tongji- Universität untersucht VW seit rund zwei Jahren Unfallursachen im Schanghaier Randbezirk Jiading. «Ein Fahrzeughersteller ist natürlich interessiert am Unfallgeschehen, in dem seine Fahrzeuge beteiligt sind», sagt Ernst Glas, Leiter der Abteilung Fahrzeugsicherheit beim Joint Venture Shanghai Volkswagen.

Die Spezialisten haben bisher 200 Zusammenstöße ausgewertet. Mehr als 50 Mal haben sie ein umgebautes Forschungs-Fahrzeug losgejagt, wenn es mal wieder gekracht hatte. «Wir wissen um die Zusammenhänge aus der Forschung in Europa. Jetzt wollen wir sehen, wie es vor Ort aussieht», sagt Glas. Langfristig sollen die Ergebnisse auch in die Produktentwicklung einfließen.

China erlebt seit einigen Jahren einen Auto-Boom. Nach Verkäufen ist das Land bereits die zweitgrößte Autonation nach den USA. Doch Forschung und Verkehrserziehung sind unterentwickelt. Auf den Straßen herrscht oft Chaos. Die Motorisierung des Landes geht so schnell, dass viele sich im wachsenden Verkehr noch nicht zurechtfinden. Autofahrer überholen rechts, kreuzen bei Rot und drängeln vor. Horden aus Moped- und Fahrradfahrern quetschen sich zwischen Seitenspiegeln und Bordsteinen vorbei. Fahrräder fahren grundsätzlich ohne Licht. Fußgänger latschen auf dem Mittelstreifen.

Gurt und Helm könnten helfen

Die geringe Beachtung von Verkehrsregeln und Sicherheit sehen die Forscher als Hauptursache für die Fatalität vieler Unfälle. «Erste Beobachtungen zeigen, dass es eine Menge zu tun hat mit dem Fahrerverhalten», sagt Peter Schulenberg, Manager im Forschungslabor von VW an der Tongji-Universität. Nur 50 Prozent der Autofahrer schnallen sich an. Dabei sei der Gurt das effektivste Mittel, um die Zahl der Toten zu verringern, wie die Erfahrungen aus Europa zeigten.

Die rasant steigende Zahl der PKW ist nur ein Teil des Problems. Das Volk der Fahrradfahrer steigt heute gern auf motorisierte Zweiräder um. 80 Millionen Motorräder, Mopeds, Roller und elektrische Fahrräder sind offiziell gemeldet. Die Zweiradfahrer seien besonders gefährdet. «Ganze Familien teilen sich einen Roller, vorn sitzt der Vater, hinten die Mutter mit dem Baby im Arm - und keiner trägt einen Helm», beschreibt Glas eine typische Szene.

VW setzt neben technischen Lösungen wie akustischen Anschnallsignalen vor allem auf Aufklärung. Die Forscher planen eine Serie zur Verkehrserziehung im Staatsfernsehen. Sie hegen die Hoffnung, dass sich die Lage bereits kurzfristig bessern lässt. Denn noch vor zwei Jahren starben mehr als Hunderttausend auf Chinas Straßen, im vergangenen Jahr waren es immerhin schon fast zehn Prozent weniger. «Es hat eine Sensibilisierung stattgefunden», sagt Glas. Heute herrsche zumindest theoretisch die Anschnallpflicht, es gebe mehr Verkehrspolizisten und Geschwindigkeitskontrollen. (dpa)

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