Autos der Zukunft bremsen elektronisch

Die Bremsscheibe wird wohl auch in den kommenden Jahren nicht aus dem Auto verschwinden. Rund um sie herum soll aber eine Fülle von Assistenten das Bremsen noch sicherer machen.

Von Heiko Haupt

Bremsen ist eigentlich eine einfache Sache: Soll der Wagen anhalten, stemmt der Fahrer mehr oder weniger vehement den Fuß auf das entsprechende Pedal, und irgendwann herrscht Stillstand. Damit das wirklich klappt, ist jedoch eine Menge an Technik notwendig. Und in Zukunft wird sich hinter dem Tritt aufs Pedal noch mehr verbergen als heute gewohnt. Bisher haben zwar Systeme wie ABS und ESP dem Bremsen und auch den Kurvenfahrten ihre frühere Gefährlichkeit genommen, doch das ist längst nicht das Ende dessen, was sich die Ingenieure und Entwickler vorgenommen haben.

Das Prinzip beim Bremsen ist seit Jahrzehnten gleich: Der Tritt aufs Pedal bewirkt in einem Leitungssystem Druck auf eine Hydraulikflüssigkeit, die am Ende des Systems die Bremsklötze verstärkt auf die drehende Bremsscheibe presst. Die wird auf diese Weise eingeklemmt, was zu Verzögerung führt. Am Grundprinzip der eingeklemmten Scheibe wird sich vorerst auch wenig ändern.

Notbremsung automatisch auslösen

«Die Scheibenbremse wird bis auf weiteres im Auto der Standard bleiben», meint Helmut Klein, Bremsenexperte im ADAC-Technikzentrum in Landsberg (Bayern). «Das System hat sich extrem bewährt, da sind keine kurz- oder mittelfristigen Veränderungen zu erwarten.» Auch bei den eingesetzten Materialien dürfte Neues vorerst nur hochpreisigen Fahrzeugen vorbehalten bleiben - wie zum Beispiel
Keramik-Bremsscheiben statt der üblichen Stahlausführungen.

Diese Bremsscheiben gelten insgesamt als haltbarer und haben eine höhere thermische Belastbarkeit: Bei mehrmaligem intensiven Bremsen kommt es also nicht so schnell zum so genannten Fading, dem Nachlassen der Bremsleistung. Für die Großserie haben sie jedoch den entscheidenden Nachteil, dass sie noch zu teuer sind.

Deutliches Zeichen: Immer mehr Elektronik ünterstützt in modernen Fahrzeugen den Fahrer Foto: dpa

Die Neuerungen, die es in absehbarer Zeit geben wird, richten sich daher auch auf das Umfeld der bewährten Scheibenbremse. Dabei geht es um eine noch stärkere Einbindung in die Vielzahl der so genannten Assistenzsysteme. Jüngstes Beispiel ist die von DaimlerChrysler in Stuttgart eingeführte «autonome Teilbremsung». Hier erkennt die Elektronik über ein integriertes Radar, dass der Wagen auf ein Hindernis zurollt, warnt den Fahrer und löst zur Not eine Teilbremsung aus, um die Aufprallgeschwindigkeit zumindest etwas zu reduzieren, wenn der Fahrer nicht reagiert.

Die Bremsenbauer wollen aber noch mehr: «In Zukunft soll auch eine Notbremsung durchgeführt werden können», sagt Stephan Kraus vom Zulieferer Bosch in Stuttgart. In einer gefährlichen Situation wird der Wagen nach dem Willen der Entwickler die Lage erkennen und schnellstmöglich einen starken Stoppvorgang einleiten. So eine Anlage lässt sich jedoch nicht von jetzt auf gleich umsetzen.

Scheibenbremse noch nicht ausgereizt

«Die Sensoren und die Software dafür müssen wirklich durchdacht sein», so Kraus. Es geht nicht nur darum, die Aufprallgeschwindigkeit möglichst stark zu verringern. Der Wagen soll eine solche Aktion nicht durchführen, wenn wegen der plötzlichen Vollbremsung hinten gleich einige überraschte Autofahrer mit ihren Wagen ins Heck rauschen. Es gibt aber noch weitere Zusatzfunktionen, die sich in die Bremse der nahen Zukunft einbauen lassen - und sei es auch nur im Sinne des Komforts. «Das gilt zum Beispiel für ein nicht mehr zu merkendes Pulsieren beim Einsetzen des ABS.»

Diese Fortschritte sind auch ein Hinweis darauf, worum es den Entwicklern geht: Die Möglichkeiten der Scheibenbremse wirklich zu nutzen. «Das Potenzial ist noch nicht ausgenutzt», bestätigt Helmut Klein. «Das Problem ist weniger die Bremse, als der Fahrer.» Dem will man mit diesen Mitteln helfen, wirklich die Verzögerungen zu erreichen, die möglich sind - und eben auch, ihm den Schreck vor dem pulsierenden Bremspedal zu nehmen.

Abschied von der Hydraulik

Neben solchen Evolutionen wird es aller Wahrscheinlichkeit nach auch noch eine Revolution geben - die jedoch erst im nächsten Jahrzehnt nach und nach ihren Weg in «normale» Fahrzeuge finden dürfte. Bei Siemens VDO in Schwalbach im Taunus arbeitet man an der Electronic Wedge Brake (EWB): «Bei dieser Bremse verzichten wir völlig auf Hydraulik, vom Bremspedal bis zur Bremse kommt nur Elektrik und Elektronik zum Einsatz», erklärt Sprecher Enno Pflug. So wird der Bremsklotz mit Hilfe von Elektromotoren und einer so genannten Keillagerung an die Bremsscheibe gedrückt.

Wesentlich teurer als ein herkömmliches System soll EWB laut Pflug nicht sein. «So etwas kann man nur auf den Markt bringen, wenn es preislich interessant ist.» Laut Pflug wird ein erstes Serienfahrzeug bis zum Ende des Jahrzehnts mit diesem System, auf die Straße kommen.

Bei Continental-Tewes in Frankfurt/Main will man dagegen nicht so weit gehen. Hier baut man in naher Zukunft auf einen Technologie-Mix. Laut James Remfrey, Leiter der Abteilung Technology Placement, wird an einem System gearbeitet, das vorne auf die bekannte hydraulische Technik vertraut. Hinten bremst man dagegen «by wire», also elektronisch. Gerade an der Hinterachse kann so auf eine zusätzliche Feststellbremse verzichtet werden - die Elektronik übernimmt Betriebs- und Parkbremse. Remfrey schätzt jedoch, dass auch Autos wie ein VW Golf der übernächsten Generation noch hydraulisch bremsen.

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