«Ein klassisches Eigentor der Autolobby«

Interview mit dem Politologen Thomas König zum CO2-Grenzwert

Mit der Aufweichung des CO2-Grenzwertes haben sich die Autobauer keinen Gefallen getan. «Mit der Erzwingung von technischem Wandel hätte die deutsche und europäische Autoindustrie Führerschaft übernehmen können», sagte der Politologe Thomas König der Autogazette.

Die weltweite Finanzkrise hat den Autobauern bei der Durchsetzung eines durch die EU aufgeweichten CO2-Grenzwertes für das Jahr 2012 geholfen. «Die Finanzkrise war den Autoherstellern sicher behilflich bei der Durchsetzung ihrer Interessen, aber sie war nicht entscheidend», sagte der Politologe Prof. Thomas König von der Universität Mannheim im Interview mit der Autogazette.

Arbeitsmarktbilanz wichtiger als Klimabilanz

«Entscheidend war, dass in den Ländern der Autohersteller demnächst Wahlen anstehen und die Regierungen sich durch die Arbeitsmarktbilanz mehr Punkte als durch eine Klimabilanz versprechen», fügte König hinzu, der für die Umweltschutzorganisation Greenpeace ein Gutachten zur Autoindustrie geschrieben hat.

«Finanzkrise war Herstellern behilflich»

Autogazette: Die Autoindustrie muss erst 2015 den strengen CO2-Grenzwert von 120 Gramm pro Kilometer erreichen. Ist die EU in Brüssel vor der mächtigen Autolobby eingeknickt?

Thomas König: In gewisser Weise ja, wobei die EU dabei eigentlich an ihrem eigenen Institutionengefüge eingeknickt ist.

Autogazette: Was heißt das?

König: Die Regierungen von Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien waren in der Lage, im Ministerrat eine Blockadedrohung aufzubauen. Dadurch mussten sich die Kommission und das Parlament auf die Regierungen der Mitgliedstaaten, also die der Autohersteller-Länder, zu bewegen.

Autogazette: Hat der Klimaschutz in Zeiten der Finanzkrise keine Chance gegen industriepolitische Interessen?

König: Die Finanzkrise war den Autoherstellern sicher behilflich bei der Durchsetzung ihrer Interessen, aber sie war nicht entscheidend. Entscheidend war, dass in den Ländern der Autohersteller demnächst Wahlen anstehen und die Regierungen sich durch die Arbeitsmarktbilanz mehr Punkte als durch eine Klimabilanz versprechen.

Autogazette: Warum ist die Autolobby so stark, ausschließlich wegen der vielen Arbeitsplätze in der Branche?

König: Schaut man sich die Prognosen der Autohersteller an, dann wird immer wieder mit den gleichen Argumenten agiert: Arbeitsplatz- und Absatzrückgang und Verlagerung von Produktionsstätten.

«Prognosen nie eingetreten»

Autogazette: Sind das begründete Einwände?

König: Bei der Überprüfung dieser Prognosen fällt auf, dass sie nie eingetreten sind. Als ein Beispiel nenne ich das Thema Katalysator. Als es um die Einführung ging, wurden besagte Argumente angeführt, zutreffend waren sie nicht, wie wir in einem Gutachten für Greenpeace nachgewiesen haben.

Autogazette: Kann sich Politik einem Argument wie Arbeitsplatzverlusten in Schlüsselindustrien überhaupt widersetzen?

König: Wir haben auf der einen Seite das Europäische Parlament, wo die Bevölkerungsinteressen vertreten werden. Dort hat man sich für Klimaschutzregelungen ausgesprochen. Auf der anderen Seite stehen die Regierungen, die sich für die Interessen der Autohersteller entschieden haben. Aufgrund der Struktur der EU konnten sich am Ende die Regierungen durchsetzen, weil man im Ministerrat am Ende mit einem Viertel der Stimmenanteil eine Blockade durchführen kann. Im Europäischen Parlament braucht man dafür 50 Prozent. Es befürworten mehr also 50 Prozent der Bevölkerungen, die durch das Europäische Parlament vertreten werden, den Klimaschutz, während es für den Schutz der Herstellerinteressen ausreicht, dass sich etwa 25 Prozent der Stimmenanteile von Regierungen zusammen finden.

Großer Einfluss deutscher Hersteller

Autogazette: Spielen die Lobbyisten der deutschen Hersteller in Brüssel eine besondere Rolle?

König: Sie spielen eine entscheidende Rolle, weil die deutschen Hersteller aufgrund ihrer Modellpolitik der zurückliegenden Jahre durch die Einhaltung der Grenzwerte und die angedrohten Bußgelder massiv getroffen worden wären. Mit VW, Daimler, BMW und Porsche besitzt Deutschland die stärksten Hersteller. Im Europäischen Hersteller-Verband ACEA sprechen diese Hersteller ein entscheidendes Wort mit.

Autogazette: VDA-Präsident Wissmann hat die Höhe der Strafzahlungen beim Überschreiten des CO2-Grenzwertes als Ungleichbehandlung der Autoindustrie bezeichnet. Wird die Autoindustrie mehr als andere Branchen in die Pflicht genommen?

König: Das ist eine nette Behauptung, doch das Gegenteil ist der Fall. Wir wissen heute, dass durch die CO2-Emissionen aus dem mobilen Transport die größte Bedrohung für den Klimaschutz erwächst. Dennoch werden Ausnahmeregelungen für die Autoindustrie geschaffen.

Umweltregulierung schafft Arbeitsplätze

Autogazette: Der Bundesumweltminister hat den Kompromiss begrüßt und gesagt, das es dem Weltklima egal sei, ob der CO2-Grenzwert erst 2012 oder 2015 erreicht werde. Ist Herr Gabriel, sonst ein kompromissloser Umweltschützer, der Autolobby aufgesessen?

König: Herr Gabriel kommt aus Niedersachsen und diese Einschätzung dürfte eher regionale Ursprünge als globale Geltung haben. Es ist schon erstaunlich, wie sehr sich Regierungsvertreter auf europäischen Gipfeln zu globalen Klimaschützern erklären, aber dann, wenn es um die Umsetzung in ihren Heimatländern geht, einen Rückzieher machen.

Autogazette: Unter Barack Obama zeichnet sich in den USA ein Wandel in der Klimapolitik ab. Muss Europa aufpassen, seine Vorreiterrolle beim Klimaschutz nicht zu verlieren?

König: Es ist kein Geheimnis, dass durch die Umweltregulierung der Vergangenheit technologischer Fortschritt erzwungen wurde. Was dazu geführt hat, dass Arbeitsplätze in Hochlohnländern wie Deutschland erhalten wurden, vor allem in der Automobilindustrie.

Autogazette: Haben die Lobbyisten in Brüssel der Autoindustrie mit der jetzigen Regelung doch nicht genutzt?

König: Mit der Erzwingung von technischem Wandel hätte die deutsche und europäische Autoindustrie Führerschaft übernehmen können. Darüber hinaus wüsste der Verbraucher, dass die Regelung mit Sicherheit bald kommt und hätte sich wohl eher für die Anschaffung eines neuen Autos entschieden. Der Verbraucher gewinnt jetzt den Eindruck, dass er sich doch Zeit lassen kann. Ein klassisches Eigentor also - die Autolobby hat letztendlich nicht die Herstellerinteressen gewahrt.

«Ausnahmeregelung auch für neuen Grenzwert

Autogazette: Das Langfristziel sieht für Europa bis 2020 einen CO2-Grenzwert von 95 Gramm vor. Rechnen Sie damit, dass dieser Wert in zwölf Jahren auch bindend kommt?

König: Der beste Hinweis für die Zukunft sind die Erfahrungen aus der Vergangenheit. Wenn man sich anschaut, dass die freiwillige Selbstverpflichtung von 140 Gramm für 2008 von den Autoherstellern nicht eingehalten wurde, dann liegt die Vermutung nahe, dass es auch für diesen Wert gegebenenfalls wieder Ausnahmeregelungen geschaffen werden.

Das Interview mit Thomas König führte Frank Mertens

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