Bertone: Stilbildendes Designstudio

Vor 100 Jahren gegründet

Bertone: Stilbildendes Designstudio
Bertone stieg mit dem Alfa Giulietta Sprint zum Serienhersteller auf © Bertone

Vor 100 Jahren gründete Giovanni Bertone eine Reparaturwerkstatt für Kutschen. 100 Jahre später haben die von Bertone designten Kutschen meistens sehr viele PS unter der Haube.

Von Wolfram Nickel

Scharfe Kanten und harte Konturen – das sind die Stilelemente, mit denen Nuccio Bertone das Automobildesign in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts revolutionierte. Der Italiener machte den Supersportwagen zum Keil und das Allerweltsauto zur Haute Couture.

Bedeutendste Designgrößen bei Bertone

Stilgeschichte schrieb Nuccio Bertone stets mit fremden Federn, die jedoch immer von ihm geformt wurden. Ob Franco Scaglione, Giorgetto Giugiaro oder Marcello Gandini, viele der bedeutendsten Designgrößen des 20. Jahrhunderts wurden von ihm entdeckt und engagiert. Mit diesen großen Namen gelang es dem Unternehmer und erfolgreichen Netzwerker Bertone, seine Turiner Carrozzeria sicher durch stürmische Zeiten zu steuern.

Gegründet wurde das Unternehmen im November 1912 von Giovanni Bertone, zunächst als Stellmacherei und Reparaturwerkstatt für Kutschen. Mit Einzelanfertigungen und der Erfüllung von Sonderwünschen für wohlhabende Kunden machte es sich schnell einen Namen. 1920 etablierte Bertone seine Carrozzeria als eines der ersten Designateliers der Automobilindustrie. Nachdem 1933 der 19-jährige Nuccio Bertone eine leitende Position im väterlichen Unternehmen übernommen hatte, begann in einem neuen Werk die Serienproduktion von Karosserien, vor allem für sportliche Fiat und Lancia.

Alfa Giulietta als Grundlage der Zusammenarbeit

Stratos zeichnete den Stratos in Keilform
Bertone zeichnete den Stratos in Keilform Stratos

Nach dem zweiten Weltkrieg stürzte das Unternehmen jedoch wie fast alle Karosseriebauer in eine existenzielle Krise. In dieser Situation zeigte sich zum ersten Mal das Talent des Nuccio Bertone, der zu einem Netzwerker mit Kontakten zu allen wichtigen Automobilherstellern und aufstrebenden Couturiers geworden war. Beste Basis für einen Start in die Wirtschaftswunderjahre mit aufregend gezeichneten und für viele erschwinglichen Sportwagen.

Den dafür notwendigen Designer fand er in Franco Scaglione. Der schneiderte kurz darauf für Alfa Romeo aus der viertürigen Giulietta ein betörend schönes Coupé, das bei Bertone in einer eigens gebauten Fabrik vom Band lief. Aus ursprünglich anvisierten 1000 Giulietta Sprint wurden 40.000 Einheiten und die Grundlage für eine dauerhafte Zusammenarbeit zwischen Alfa und Bertone. Über Nacht war Bertone ein Großserienhersteller geworden, der nun Neuheiten wie am Fließband produzierte. Meist waren es stilbildende Pretiosen wie die stromlinienförmigen Abarth und Alfa Romeo BAT-Coupés oder Einzelstücke für Bentley, Jaguar oder Maserati, aber auch immer mehr Volumenfahrzeuge von Alfa Romeo, NSU und BMW.

Bertone geling Transformation

Nach einem kurzen, obschon erfolgreichen Zwischenspiel von Giorgetto Giugiaro, begann 1965 einen neue Ära unter dem neuen Designdirektor Marcello Gandini. Der machte den Keil zum Kult und Lamborghini zum härtesten Rivalen von Ferrari. Zunächst mit dem Miura als erstem Mittelmotor-V12-Racer (ab 1966), dann mit den viersitzigen V12-Ikonen Marzal (1967) und Espada (1968) und schließlich mit dem Jahrhundert-Donnerkeil Countach (1971). Sogar den Lamborghini Diablo von 1990 brachte Gandini noch in Form, jetzt schon als Freelancer mit eigenem Studio für Bertone.

Für die Auslastung der Produktionskapazitäten bei Bertone sorgten gegen Ende des 20. Jahrhunderts neue Kooperationen mit Volvo (Coupés 262 und 780) und Opel (Kadett E Cabrio sowie Astra Cabrio und Coupé). Spätestens Mitte der 1990er Jahre spürte Nuccio Bertone allerdings, dass sich die Ära der unabhängigen Karossiers ihrem Ende näherte. Die großen Automobilkonzerne bauten Coupés und Cabriolets immer öfter in eigenen Werken und eine Carrozzeria konnte nur überleben als Ideenfabrik und Designstudio. Eine Transformation, die Bertones Unternehmen im Unterschied zu vielen Konkurrenten tatsächlich gelingen sollte. (SP-X)

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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