ADAC Berlin-Brandenburg fordert gemeinsame Mobilitätspolitik der Länder

«Nicht mehr als Wunschzettel zur Weihnachtszeit»

ADAC Berlin-Brandenburg fordert gemeinsame Mobilitätspolitik der Länder
Stau in Berlin © ADAC

Die Mobilitätspläne der neuen Koalition in Berlin stoßen dem ADAC Berlin-Brandenburg sauer auf. Vor allem fehlen dem Automobilclub praktische Lösungsansätze nicht nur bei der Pendlerproblematik.

Von Thomas Flehmer

Eigentlich liegen die Ansichten der rot-rot-grünen Koalition und des ADAC Berlin-Brandenburg in Mobilitätsfragen bis auf einige Ausnahmen gar nicht so weit auseinander – in der Theorie zumindest. In der praktischen Umsetzung vermisst der Automobilclub jedoch einen gewissen Realitätssinn. „Ich habe nicht den Eindruck, dass bei den Verhandlungen der Mobilitätspläne viel gestritten wurde“, sagt Volker Krane, Vorstand für Verkehr im ADAC Berlin-Brandenburg, „die elf Seiten im Koalitionsvertrag sind nicht mehr als ein Wunschzettel zur Weihnachtszeit.“

Einig sind sich ADAC und Koalition, dass der Verkehr sauberer und leiser von Statten gehen sollte. Die Dekarbonisierung, also die Ablösung von CO2-Emissionen, sei zu befürworten, so Krane weiter. „Damit wird aber nicht unbedingt die Mobilität reduziert.“ Krane bemängelt, dass die Industrie es in den „letzten 30 Jahren versäumt hat“, die Elektromobilität zu fördern, mit der die CO2-Emissionen und Lärmbelastung gemindert worden wäre. „Auch Erdgas wäre eine gute Alternative.“

Sinnvoller Umstieg außerhalb der Stadtgrenze

Vor allem aber erzeugt die Pendlerproblematik Sorgenfalten beim Verkehrsexperten. Rund 277.000 Personen pendeln jeden Tag nach Berlin, 180.000 davon mit dem Auto. „Es steht außer Frage, dass wir die Umweltbelastungen durch den Kfz-Verkehr reduzieren müssen, aber wir brauchen dringend Lösungen für Alternativen, die für die Pendler auch akzeptabel sind", so Krane. Doch allein in Berlin stehen gerade einmal rund 27.000 Pendlerparkplätze zur Verfügung, sollte der Arbeitgeber keinen Parkplatz stellen. „Sinnvoll wäre der Umstieg bereits außerhalb der Stadtgrenzen“, sagt Krane. Das sei allerdings Sache der Kommunen, die ihrerseits kein Interesse zeigen, weitere Parkplätze zur Verfügung zu stellen.

Dabei würden gerade solche Angebote dankbar angenommen werden, sagt Jörg Becker, Fachbereichsleiter für Verkehr und Technik im ADAC Berlin-Brandenburg. Im Panketal sei gerade ein dritter Park and Ride-Parkplatz entstanden, zudem eine neue Buslinie installiert worden, deren Frequentierung sehr stark in Anspruch genommen wird.

Auch S- und Regionalbahn könnten ihren Teil leisten wie zum Beispiel ein Ausbau der Kremmener Bahn. „Es schlummert Entlastungspotenzial, welches nicht genutzt wird“, sagt Becker, „50 Prozent der Pendler könnten den Öffentlichen Personen-Nahverkehr nutzen, wenn das Angebot vorhanden wäre.“ Dem schiebt Peter Buchner einen Riegel vor. Der S-Bahn-Geschäftsführer teilte Anfang November mit, dass Kapazitätserweiterungen im S-Bahn-Netz frühestens 2025 erfolgen könnten. Krane fordert deshalb die Politiker beider Länder auf, ein Gesamtverkehrskonzept zu erstellen, um das Pendlerproblem zu lösen. „Das ist essentiell, um den Innenstadtverkehr zu entlasten.“

Radschnellverbindungen kappen Vorrecht des ÖPNV

ADAC-Verkehrsexperten Volker Krahne (l.), Jörg Becker
ADAC-Verkehrsexperten Volker Krahne (l.), Jörg Becker ADAC

Aber auch die Koalitionspläne innerhalb der Hauptstadt erzeugen bei den Verantwortlichen des Verkehrsclubs keine Adventsstimmung. Dass eine Erweiterung der Fahrradspuren auf 2,5 Meter entlang des Hauptstraßennetzes schon früher beim ADAC in der Kritik standen, ist nichts Neues. Undeutige Aussagen im Koalitionsvertrag, dass „Abschnittsweise eine „physische Trennung“ von Auto- und Fußverkehr erfolgen solle, „beschwören nur einen neuen Zielkonflikt hervor, deren Lösung wir bezweifeln“, so Krane.

Auch ein bevorrechtigtes Fahrradfahren auf Radschnellverbindungen an Knotenpunkten stehe den Vorrecht des ÖPNV entgegen. Was derzeit schon viele Fahrradfahrer sich zunutze machen und damit nicht nur den Personennahverkehr aufhalten und für negative Emotionen sorgen.

Friedrichstraße als Fußgängerzonen-Alternative

Die Straße Unter den Linden soll zur Flaniermeile avancieren
Die Straße Unter den Linden soll zur Flaniermeile avancieren dpa

Bei der Umwandlung der Flaniermeile „Unter den Linden“ zur autofreien Zone sehen Becker und Krane zahlreiche Probleme bei der Umleitung des Verkehrs. Becker würde eine Umwandlung der Friedrichstraße in eine Fußgängerzone eher begrüßen. „Das hat schon mal geklappt, als dort gebaut wurde.“

Überhaupt keinen Konsens finden ADAC und Koalition beim Stop des Ausbaus der A 100 bis zur Frankfurter Allee. Vor allem dann, wenn der BER einmal eröffnen sollte, wären die A 100 sowie die Tangentiale Verbindung Ost (TVO) eine Ent- statt Belastung für den Verkehr. Da im Koalitionsvertrag keine Ausweichstrecken vorgeschlagen werden, befürchtet Becker erhöhte Lärm- und Schadstoffbelastungen in den Stadtteilen, Kreuzberg, Friedrichshain und Mitte.

Krane befürchtet Stauchaos

Protest gegen die A 100
Protest gegen den Ausbau der A100 dpa

Angesichts so manch einer theoretischen Gemeinsamkeit befürchtet Krane aufgrund der gravierenden Unterschiede bei der praktischen Umsetzung für die kommenden fünf Jahre ein Stauchaos sowie eine große Unzufriedenheit bei der Bevölkerung. „Aber lassen wir erst einmal die Frau Senatorin ihre Arbeit aufnehmen.“

Die designierte Verkehrssenatorin Regine Günther gilt als Vordenkerin bei der Klimapolitik und ist auch im engeren Beraterkreis der Bundesregierung. Jörg Becker will deshalb auch die „nächsten zwei, drei Jahre abwarten“, was sich getan zwischen Theorie und Praxis.

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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