Mercedes-Silberpfeile freischwebend im Windkanal

Aerodynamik-Test vor knapp 80 Jahren

Mercedes-Silberpfeile freischwebend im Windkanal
Mercedes-Silberpfeil von 1936 © Daimler

Die Silberpfeile gehören zum Mythos der Daimler-Geschichte. Wiederentdeckte Testprotokolle von 1936 zeigen die Akribie, mit der die Entwickler damals an der Aerodynamik der Rennwagen feilten.

Von Martin Woldt

In der langen Automobilgeschichte von Mercedes-Benz haben unterschiedlichste Modelle aerodynamische Maßstäbe gesetzt. Zweifellos aber spielt die Rennwagen-Ära der legendären Silberpfeile in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts (1934-1939) eine besondere Rolle. Neu entdeckte historische Dokumente aus dem Jahre 1936 belegen die Akribie der Mercedes-Ingenieure, mit denen sie etwa im Windkanal die Feinheiten einer möglichst luftwiderstandsarmen Karosserie ermittelten.

"Die Versuche fanden in Friedrichshafen in der Werft der damaligen Luftschiffbau Zepplin GmbH statt", erklärt Gerhard Heidbrink, Mitarbeiter der Mercedes-Benz Classic Archive der Autogazette, "denn in Stuttgart gab es zu diesem Zeitpunkt keinen Windkanal, der groß genug gewesen wäre."

Praktische Entwicklerarbeit

Dem Protokoll von 1936 ist zu entnehmen, dass zum einen der Auftrieb an der Vorderachse gemessen wurde. Zum anderen wurde der Luftwiderstand mit verkleideten und unverkleideten Vorder- und Hinterrädern untersucht. Außerdem wurden verschiedene Fahrerabschirmungen ausprobiert, nachdem frühere Rekordfahrten unter anderem mit geschlossener Kanzel erfolgt waren. "Das war ziemlich pragmatische aerodynamische Entwicklerarbeit mit dem Ziel, die bestmögliche Form herauszubekommen", schätzt Heidbrink die Versuche ein. Hintergrund war der harte Wettbewerb, den sich Daimler seinerzeit mit der Auto Union um den Geschwindigkeitsweltrekord für solche Fahrzeuge lieferte.

Das in Friedrichshafen vermessene Fahrzeug fuhr im November 1936 auf der Autobahn Frankfurt-Darmstadt mit Rudolf Caracciola am Steuer. Es erzielte dabei eine Höchstgeschwindigkeit von 370 km/h.

Im Zeppelin-Windkanal

Silberpfeil im Windkanal Friedrichshafen Daimler

Um eine möglichst realitätsnahe Umströmung des Silberpfeils von 1936 zu erreichen, wurde das Fahrzeug "an vier Stahldrähten freischwebend über einer horizontalen Bodenfläche derart aufgehängt, dass der größte Querschnitt möglichst in Strahlmitte zu liegen kam", verrät das Testprotokoll. Die dabei ermittelten cW-Werte in verschiedenen Konfigurationen lagen zwischen 0,23 und 0,25. Das Protokoll vom 2. Oktober 1936 gibt Hinweise auf eine künftig zu verbessernde Gestaltung der Kanzel, da man bei der getesteten Silberpfeilversion starke Wirbelbildungen in diesem Bereich verzeichnete.

"Ein Abtasten des Wagens mit der Windfahne zeigte, dass der Ausschnitt im Führersitz noch etwas mehr eingezogen wurde, dass ein besserer Übergang zum Windschutz geschaffen werden sollte", heißt es in den Empfehlungen. Verkleidete oder unverkleidete Vorderräder hatten hingegen keinen besonderen Einfluss auf die Messungen.

Kühler mit Eis

Original-Testprotokoll vom 2.10. 1936 Daimler

"Bei den Versuchen im Friedrichshafener Windkanal handelt es sich um den Beginn systematischer Verfeinerungen, die in dem Rekordwagen von 1938 münden", sagt Gerhard Heidbrink. Mit jenem Fahrzeug habe Rudolf Caracciola auf einem Autobahnabschnitt bei Darmstadt schließlich den damaligen Geschwindigkeitsweltrekord von 432,7 km/h aufgestellt – die bis heute höchste je erzielte Geschwindigkeit auf einer öffentlichen Straße. Der mehrfache Grand-Prix-Europameister absolvierte die Ein-Kilometer-Distanz mit fliegendem Start. Im Vergleich zum Silberpfeil von 1936 war die Karosserie des Fahrzeugs noch einmal gründlich überarbeitet und der cW-Wert auf 0,157 gesenkt worden. Das gelang unter anderem durch eine Reduzierung der Lufteintrittsöffnungen am Bug.

Im Gegensatz zum Fahrzeug im Friedrichshafener Windkanal besaß das Rekordfahrzeug von 1938 keinen konventionellen Kühler mehr. Der Motor wurde mit Eis vor dem Überhitzen geschützt.

Echte Querschnittsdisziplin

"Das alles hatte damals mit der Serienentwicklung vergleichsweise wenig zu tun", sagt Gerhard Heidbrink. Es sei um Hochgeschwindigkeitsrennwagen gegangen. Aber die Rolle der Aerodynamik lasse sich an dem Beispiel gut erkennen. Wie bei vielen späteren herausragenden Autos zeigte sich die Aerodynamik als echte Querschnittsdisziplin in der Entwicklung, mit deren Hilfe sich zusätzliche Potenziale erschließen ließen. "Aus historischer Sicht wird klar, dass in der Serienentwicklung bei Mercedes-Benz der Erfolgsschlüssel schon immer in der ganzheitlichen Betrachtung der Fahrzeuge steckte, im Zusammenspiel aller Komponenten", sagt Heidbrink. Die Bedeutung der Aerodynamik in der Geschichte von Mercedes-Benz veranschaulichen zahlreiche Fahrzeuge, die mit ihrem niedrigen cW-Wert Meilensteine setzten.

Das Originalprotokoll von 1936 wurde bei Recherchen für ein Filmprojekt in den Archiven von Mercedes-Benz Classic wiederentdeckt. Für die Filmserie über die legendären Silberpfeile haben die Aerodynamik-Entwickler des Unternehmens den Rekordwagen von 1936 erneut vermessen. Im Daimler-Windkanal in Untertürkheim konnten sie mit dem historischen Originalfahrzeug, das in der Fahrzeugsammlung von Mercedes-Benz erhalten ist, die Friedrichshafener Ergebnisse bestätigen.

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