«Werden unsere Volumenziele auch ohne Diesel erreichen»

VW-USA-Chef Hinrich Woebcken

«Werden unsere Volumenziele auch ohne Diesel erreichen»
Hinrich Woebcken verantwortet das US-Geschäft von VW. © VW

Volkswagen ist in den USA zurück auf Wachstumskurs. Im Interview mit der Autogazette spricht USA-Chef Hinrich Woebcken über die Aufarbeitung des Dieselskandals, die Absatzerwartung für 2017 und neue Gestaltungsmöglichkeiten.

Der Autobauer Volkswagen befindet sich nach dem Dieselskandal in den USA wieder auf Wachstumskurs und peilt für dieses Jahr mit Modellneuheiten wie dem Midsize-SUV Atlas und dem Tiguan mit langem Radstand ein zweistelliges Absatzplus an. «Nachdem wir ohne neue Modelle bereits den Dieselwegfall nahezu kompensieren konnten, bekommen wir mit den neuen Modellen neues Wachstumspotenzial. Von daher halte ich eine Absatzsteigerung im Bereich von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr in 2017 für durchaus realistisch», sagte VW-USA-Chef Hinrich Woebcken im Interview mit der Autogazette.

Garantieverlängerung als vertrauensbildende Maßnahme

Woebcken ist davon überzeugt, dass man mit Fahrzeugen wie dem Atlas, Tiguan, der neuen Golf-Familie und ab 2018 dem neuen Jetta und Arteon von den Kunden nicht mehr als Nischenanbieter wahrgenommen wird. «Wir werden mit diesen Autos sehr stattliche Volumina erreichen können und wir werden mit einer Preispositionierung unterwegs sein, die das Herz des amerikanischen Marktes trifft.» So wird der Atlas für einen Einstiegspreis von 30.500 US-Dollar angeboten.

Mit Blick auf das Entschädigungsprogramm für die vom Abgasskandal 475.000 betroffenen Fahrzeuge mit Zweiliter-Dieselmotor macht VW unterdessen schnelle Fortschritte. «Wir haben bereits über 237.000 Fahrzeuge des 2.0 Liter TDI zurückgekauft oder einer freigegebenen technischen Umrüstung unterzogen. Das sind nach nur sechs Monaten über 50 Prozent der Fahrzeuge.» Für die daneben noch 80.000 betroffenen Fahrzeuge mit einem 3.0 Liter TDI sei die finale Anhörung für den 11. Mai angesetzt, sagte Woebcken.

«Konnten dieselaffine Kunden bei Marke halten»

VW profitiert von hoher SUV-Nachfrage.
Auch ohne Diesel steigt der Absatz für VW in den USA dpa

Autogazette: Herr Woebcken, Volkswagen hat zum dritten Mal in Folge in diesem Jahr ein leichtes Absatzplus erzielt. Im März lag es bei 2,7 Prozent. Ist das Vertrauen der US-Kunden nach dem Dieselskandal schneller zurückgekehrt als gedacht?

Hinrich Woebcken: Wir weisen nach dem ersten Quartal sogar eine Steigerung von über zehn Prozent auf. Was aber noch wichtiger ist: unsere Verkaufszahlen im Vorjahr konnten wir im Vergleich zum Jahr 2015 relativ stabil halten - und das, obwohl wir keine Diesel-Fahrzeuge anbieten, die bei uns einen Anteil von 25 Prozent am Gesamtabsatz ausgemacht haben. Das zeigt, dass wir dieselaffine Kunden dennoch bei der Marke halten konnten.

Autogazette: Im Vorjahr wies VW mit rund 323.000 Fahrzeugen noch ein Minus von 7,6 Prozent auf. Nun liegt das Wachstum nach dem ersten Quartal mit 76.290 Einheiten wie von Ihnen erwähnt bei 10,6 Prozent. Wie schaut Ihre Absatzprognose für das Restjahr aus, da Volumenbringer wie der Atlas und der Tiguan erst noch eingeführt werden?

Woebcken: Wenn man die Absatzzahlen des Vorjahres nur auf die direkt an Endkunden ausgelieferten Fahrzeuge bezieht, lag der Rückgang sogar bei unter drei Prozent. Das ist umso erstaunlicher, weil wir den Endkunden im vergangenen Jahr keine neuen Produkte anbieten konnten. Einzig der Golf Alltrack ist bei uns zum Jahresende angelaufen. In diesem Jahr kommen wir zunächst mit dem Atlas und später im Jahr mit dem Tiguan mit langem Radstand mit zwei neuen Modellen. Da stimmt uns sehr zuversichtlich. Nachdem wir ohne neue Modelle bereits den Dieselwegfall nahezu kompensieren konnten, bekommen wir mit den neuen Modellen neues Wachstumspotenzial. Von daher halte ich eine Absatzsteigerung im Bereich von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr in 2017 für durchaus realistisch. Bislang konnten wir unseren Kunden ein Produkt wie den hierzulande Midsize-SUV genannten Atlas gar nicht anbieten...

Autogazette: ...ein Modell, das extra für die Bedürfnisse der US-Kunden entwickelt wurde...

Woebcken: ...genau. Wir konnten in der Vergangenheit Familien mit großem Raumbedarf leider kein entsprechendes Angebot machen. Nun haben wir den Atlas, der Platz für bis zu sieben Personen bietet. Und es kommt der Tiguan als Langversion, der als 5-plus-2-Sitzer auch sehr vielseitig ist. Daneben bringen wir auch noch die erneuerte Golf-Familie in die USA. Und in 2018 wird erst der neue Jetta eingeführt, bevor der Arteon kommen wird. Damit können wir unseren Kunden ein Angebot machen, das die Marke in seiner bisherigen Geschichte in den USA noch nicht gesehen hat. Das ist das stärkste Signal, um Kunden und Händler nach der Dieselthematik zu überzeugen.

«Werden mit diesen Autos stattliche Volumina erreichen»

Der Atlas sorgt in den USA für gute Zahlen für VW
Der Atlas wird für 30.500 US-Dollar angeboten AG/Mertens

Autogazette: Volumenwachstum ist das eine, die Relevanz einer Marke das andere. Ab
wann rechnen Sie damit, dass VW in den USA nicht mehr als Nischenanbieter gesehen wird?


Woebcken: Mit den genannten Modellen wird es uns gelingen, nicht mehr als Nischenanbieter wahrgenommen zu werden. Wir werden mit diesen Autos sehr stattliche Volumina erreichen können und wir werden mit einer Preispositionierung unterwegs sein, die das Herz des amerikanischen Marktes trifft.

Autogazette: Die US-Kunden sind besonders preisbewusst. Ist das auch der Grund dafür, weshalb Sie den Atlas zum Kampfpreis von 30.500 US-Dollar anbieten?

Woebcken: Der Preis orientiert sich an den Wettbewerbern. Aber wir setzen nicht nur auf den Preis, sondern auf vertrauensbildende Maßnahmen wie unsere Garantie-Verlängerung.

Autogazette: Das heißt was?

Woebcken: Wir verdoppeln für den Atlas und den neuen, langen Tiguan unsere Garantie von drei auf sechs Jahre und bieten dem Kunden damit neben der guten Preispositionierung ein Angebot, was uns mittelfristig aus der Nische herausholen wird.

«Keine Planungen, den Diesel wieder zurückzubringen»

Autogazette: Wie lange wollen Sie am Verkaufsstopp für den Diesel festhalten?

Woebcken: Der Diesel hat nach wie vor eine starke Bedeutung für die Marke weltweit. Doch das muss natürlich von Markt zu Markt gesehen werden. Hier in den USA gibt es für die Marke Volkswagen keine Planungen, den Diesel wieder zurückzubringen. Wir bieten den Atlas mit einem sehr dynamischen Zweiliter Turbobenziner und einem 3,6 Liter-Sauger in Kombination mit einer Achtgangautomatik an und decken damit die Kundenbedürfnisse ab. Wir werden unsere Volumenziele auch ohne Diesel erreichen.

Autogazette: In den USA waren von der Abgasmanipulation bis zu 475.000 Fahrzeuge betroffen. Können Sie sagen, wie viele Kunden sich für einen Rückkauf beziehungsweise eine Umrüstung entschieden haben?

Woebcken: Wir haben bereits über 237.000 Fahrzeuge des 2.0 L TDI zurückgekauft oder einer freigegebenen technischen Umrüstung unterzogen. Das sind nach nur sechs Monaten über 50 Prozent der Fahrzeuge.

Autogazette: Was geschieht mit den zurückgegebenen Fahrzeugen?

Woebcken: Sie werden zwischengelagert und gepflegt. Wenn die technischen Lösungen von den Behörden freigegeben werden, werden Sie über unsere Händler nach ihrer Umrüstung wieder in den Gebrauchtwagenmarkt gebracht.

«Finale Anhörung für 3.0 TDI für 11. Mai angesetzt»

VW-Markenchef Herbert Diess und Hinrich Woebcken neben dem Tiguan XL AG/Mertens

Autogazette: Wie lange wird es dauern, bis VW die juristische Aufarbeitung des Dieselskandals beendet haben wird? Derzeit steht ja auch noch die richterliche Genehmigung für die 80.000 Fahrzeuge mit größeren Diesel-Motoren aus.

Woebcken: Die finale Anhörung für den 3.0 TDI ist für den 11. Mai angesetzt. Wichtige Meilensteine wie das Vergleichsprogramm für den 2.0 L TDI oder die Einigung mit unseren Händlern sind genehmigt. Jetzt geht es für uns primär um eine für den Kunden reibungslose Umsetzung.

Autogazette: In der Vergangenheit musste sich VW in den USA stark nach den Wünschen aus Wolfsburg richten, nun besitzen sie mehr Autonomie. Was können Sie jetzt machen, was Sie früher nicht konnten?

Woebcken: Wir haben jetzt mehr Gestaltungsmöglichkeiten, tragen aber auch die Verantwortung für unser Geschäft. So haben wir beispielsweise das Engineering, den Vertrieb, die Einkaufsverantwortung und die Produktion unter die Verantwortung der Nordamerika-Region gestellt. Dieser Trend und Wille zur Regionalisierung betrifft übrigens nicht nur Nordamerika, sondern auch andere Regionen wie Südamerika und China. Häufiger als vorher heißt es jetzt aus Wolfsburg: Das ist Eure Angelegenheit. So stammt der Name Atlas von uns, weil wir der Auffassung waren, dass wir für diesen SUV einen Namen benötigen, der sich hier leicht aussprechen lässt und gut in den amerikanischen Kontext des bequemen Reisens passt.

«2018 wird zum Jahr der Limousinen»

Autogazette: Allein in diesem Jahr legen sie zwei neue SUVs auf. Wird VW zu einer SUV-Marke?

Woebcken: Nein, keineswegs, Familienfreundlichkeit und Allrad spielen allerdings eine größere Rolle. Uns geht es schlicht darum, in den relevanten Segmenten unseren Kunden Angebote machen zu können, in denen wir bisher nicht vertreten waren. In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt neben dem erneuerten Golf auf den SUVs. 2018 wird zum Jahr der Limousinen, mit der Vorstellung des neuen Jetta und des Arteon. 2019 folgt der neue Passat. Aber es stimmt: die SUVs spielen auf dem US-Markt eine wichtige Rolle und wir waren hier in der Vergangenheit unterrepräsentiert. Jetzt ziehen wir nach, werden aber die großen A- und B-Segmente bei den Limousinen nicht vernachlässigen.

Autogazette: VW bringt in diesen Tagen in Europa den neuen e-Golf und den Golf GTE auf den Markt. Welche Rolle spielt die E-Mobilität für Ihr Wachstum?

Woebcken: Eine sehr große. Wir arbeiten zusammen mit Wolfsburg an der Markteinführung von vollelektrischen Fahrzeugen auf Basis des Modularen Elektrifizierungs-Baukastens MEB. Der I.D. markiert dabei die untere Größe dessen, was Volkswagen anbieten kann. Der I.D. Buzz, den wir in Detroit vorgestellt haben, ist eine Hommage an die Ikone Bus aus den 60er und 70er Jahren. Er markiert das obere Ende der Skala. Zwischen diesen beiden Fahrzeugen kann sich die Marke Volkswagen in den USA spannende Architekturen vorstellen. Von Limousinen über Crossover zu SUVs. Es ist fester Bestandteil der Planung, dass die USA in der ersten Welle unserer Elektrifizierungsoffensive mit dabei sein wird.

«Werden e-Golf nicht nur in den ZEV-Staaten anbieten»

Der neue e-Golf VW

Autogazette: Das dann aber erst ab 2020. Welche Rolle spielt denn der bereits jetzt erhältliche e-Golf?

Woebcken: Der e-Golf ist ein Fahrzeug, das uns die Phase bis 2020 überbrücken hilft, bis wir die ersten Fahrzeuge aus unserem MEB hier anbieten werden. So werden wir den e-Golf nicht nur in den ZEV-Staaten wie Kalifornien anbieten, sondern Zug um Zug in den gesamten USA ausrollen.

Autogazette: Bis 2025 will VW 15 bis 25 Prozent vom Gesamtabsatz mit E-Autos bestreiten. Wie viele E-Autos wollen Sie bis dahin absetzen?

Woebcken: Abhängig vom Modellangebot glauben wir, dass für Volkswagen bis 2025 bei der E-Mobilität in den USA ein Volumenanteil von 15 Prozent möglich ist.

Autogazette: Warum setzen Sie vor dem Hintergrund des Dieselskandals nicht stärker auf die Karte E-Mobilität, um so die Marke in Verbindung mit einem sauberen Image zu bringen? Stattdessen setzen sie auf SUVs.

Woebcken: Wir investieren gerade stark in ein Technologiezentrum in Kalifornien, wo wir uns um die Zukunftstechnologien kümmern. Dort geht es nicht nur um E-Mobilität, sondern um neue Geschäftsmodelle rund um die Mobilität wie Digitalisierung und autonomes Fahren. Darüber hinaus investieren wir als Teil unseres Vergleichsprogramm mit den Behörden zwei Milliarden US-Dollar in den Ausbau der Ladeinfrastruktur im Land und in Aufklärung. Damit wollen wir die Wahrnehmung der E-Mobilität im Land weiter unterstützen. Das zeigt: Wir sind bereits einer der großen Wegbegleiter für Elektromobilität im Land.

Das Interview mit Hinrich Woebcken führte Frank Mertens

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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