«Mit so einem Auto gestalten wir Märkte»

Christian Senger, Leiter Elektromobilität VW

«Mit so einem Auto gestalten wir Märkte»
VW-Elektrochef Christian Senger © Niepaul/VW

Auf der IAA haben sich die Hersteller mit Ankündigungen zur Elektromobilität fast überschlagen. «Ich kann nicht für andere sprechen, aber was wir ankündigen, halten wir auch», sagte Christian Senger von VW im Interview mit der Autogazette.

Christian Senger hat die von VW-Chef Matthias Müller auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt/Main verkündete Elektro-Offensive als «Neubeginn» für die Marke bezeichnet. «Das, was wird gerade erleben, ist im übertragenen Sinne der Umstieg von einem VW Käfer auf einen Golf. Es ist dafür genau der richtige Zeitpunkt», sagte der Leiter Elektromobilität von Volkswagen im Interview mit der Autogazette.

«Es ist ein perfektes Timing»

Wie Senger sagte, werde sich die Elektromobilität im Jahr 2020 an einem Punkt befinden, «in dem sie wachsen wird. Wir werden dann das Problem eines zu hohen Preises und einer zu geringen Reichweite hinter uns lassen. Es ist von daher ein perfektes Timing». VW hat angekündigt, bis zum Jahr 2025 insgesamt 50 Elektroautos und 30 Fahrzeuge mit Plug-in-Hybrid auf den Markt zu bringen. Senger warnte vor dem Hintergrund der Diskussion um Dieselfahrverbote davor, die Verbrenner- und die Elektrowelt gegeneinander auszuspielen. «Wir bei VW leben von der Dualität.»

«Für die Marke VW ist es ein Neubeginn»

Die I.D.-Familie von VW mit dem I.D., Buzz und Crozz.
Die I.D.-Familie mit I.D., Buzz und Crozz (v.l.) VW

Autogazette: Herr Senger, VW-Chef Matthias Müller hat auf der IAA einen Aufbruch in die Elektromobilität verkündet Bis 2025 sollen 50 E-Autos auf den Markt kommen. Erfindet sich die Marke gerade neu?

Christian Senger: Für die Marke VW ist es ein Neubeginn. Das, was wird gerade erleben, ist im übertragenen Sinne der Umstieg von einem VW Käfer auf einen Golf. Es ist dafür genau der richtige Zeitpunkt.

Autogazette: Ist der Zeitpunkt deshalb so gut, weil Sie von allen Seiten Kritik wegen des Dieselskandals bekommen und damit versuchen zum Befreiungsschlag anzusetzen?

Senger: Die Elektromobilität wird sich im Jahr 2020 an einem Punkt befinden, in dem sie wachsen wird. Wir werden dann das Problem eines zu hohen Preises und einer zu geringen Reichweite hinter uns lassen. Es ist von daher ein perfektes Timing.

Autogazette: Wäre ein solch radikaler Wandel – der bisher indes nur aus Ankündigungen besteht - ohne den Dieselskandal vorstellbar gewesen?

Senger: Das ist eine hypothetische Frage. Was klar ist, ist, dass sich das Management-Team verändert hat. Es ist ein neues Team mit neuen Ideen. Die aktuelle Krise ist ein Katalysator für Veränderungen. Wir nutzen diese Gelegenheit konsequent.

«Jeder OEM, der diese Entwicklung verschläft, hat Nachteile»

Autogazette: Können Sie mit dieser Konsequenz denn auch Schritt halten mit der Geschwindigkeit in anderen Ländern wie beispielsweise China?

Senger: Ohne Frage entwickelt sich die Elektromobilität in China mit einer Geschwindigkeit, bei der Europa nicht mithalten kann. Doch es ist viel zu kurz gedacht, dass sich unser Handeln nur an der Dieselthematik orientiert. Jeder OEM, der diese Entwicklung verschläft, hat Nachteile.

Autogazette: Warum ist China schneller als Europa? Sind es die Vorgaben der Regierung?

Senger: Allein der Umstand, dass die Zahl der Zulassungen für Verbrenner beschränkt ist, fördert den Weg in die Elektromobilität enorm. Auch die per Gesetz gegebenen Volumenvorgaben für Elektroautos tun ihr Übriges. Es geht dort längst nicht mehr um das Ob, sondern darum, wie man Elektromobilität am besten auf die Straße bringt. So gibt es allein bis 2020 das Regierungsziel von 4,8 Millionen neuen Ladestellen. Das sind Dimensionen, die wir uns kaum vorstellen können. In Deutschland haben wir rund 9000 Tankstellen.

«Wir bei VW leben von der Dualität»

VW-Markenchef Diess mit dem I.D. Crozz.
VW-Markenchef Herbert Diess neben dem I.D. Crozz VW

Autogazette: Gehen Sie davon aus, dass die Diskussion um Dieselfahrverbote der Elektromobilität in Deutschland einen Schub verleihen wird?

Senger: Natürlich wird so etwas diskutiert. Doch wir bei VW leben von der Dualität. Vom Verbrennungsmotor auf der einen und vom Elektromotor auf der anderen Seite. Es gibt eine gute Verbrenner- und es gibt eine gute Elektrowelt. Man kann nicht das eine gegen das andere ausspielen. Wir sollten aufhören mit der Diskussion um Verbote. Sie verunsichert die Kunden.

Autogazette: Auf der IAA haben die Hersteller mit Ankündigungen zur E-Mobilität versucht, sich gegenseitig zu übertreffen. Doch Serienmodelle vermisst man...

Senger: ...jeder versucht gerade, möglichst viele Modelle anzukündigen. Doch die muss man erst auch einmal auf die Straße bringen. Ich kann nicht für andere sprechen, aber was wir ankündigen, halten wir auch. Sie müssen ja sehen, dass man erst einmal die Voraussetzungen für die E-Mobilität an Produktionsketten schaffen muss. Ich nenne nur die ausreichende Zahl an Lithium-Ionen-Batterien. Doch der Druck, die CO2-Grenzwerte einzuhalten, führt dazu, dass wir alle bestrebt sind, emissionsfreie Autos auf die Straße zu bringen.

«Die Prämie ist die letzte Meile»

Autogazette: Insgesamt liegen gerade einmal 30.000 Anträge für die Kaufprämie vor. Warum sind die Menschen in Deutschland immer noch nicht bereit für die E-Mobilität?

Senger: Die Diskussion zeigt, dass die Prämie hilft, aber es auch nicht allein bewirken kann, einen Push auszulösen. Selbst mit dieser Prämie von 4000 Euro ist das Fahrzeug für unsere Kunden immer noch zu teuer. Die Prämie ist die letzte Meile. Doch für einen Push haben wir noch ein, zwei Meilen zuvor hinter uns zu bringen. So fehlt es nach wie vor an der Infrastruktur.

Autogazette: Was ist in diesem Zusammenhang aus der Initiative der verschiedenen Autobauer geworden, ein europäisches Schnellladenetz zu schaffen? Eigentlich sollten bereits in diesem Jahr Hunderte Ladestationen gebaut werden.

Senger: Jedes Projekt hat seine Phasen. Infrastruktur braucht Landzugang. Es müssen Installationsbereiche gesichert werden. Während gerade die richtigen Spots gesucht werden, wird die Ladesäulentechnik industrialisiert. Wir werden zeitnah Fortschritte zu vermelden haben. Es sollen zunächst 400 Ladestellen in Europa installiert werden.

«I.D. soll sich im Preisbereich eines Diesel bewegen»

Autogazette: Welche Nachfrage erleben Sie bezüglich der von VW ausgelobten Umwelt- und Zukunftsprämie? Bei Rückgabe eines alten Diesels der Abgasnorm 1 bis 4 gibt es beim Kauf eines E-Golf fast 12.000 Euro.

Senger: Die Nachfrage nach der Umtauschprämie ist so hoch, dass der E-Golf quasi ausverkauft ist. Das Fahrzeug kann schlichtweg nicht beliebig skaliert werden, deshalb produzieren wir jetzt auch in Dresden. Doch auch dort sind wir voll ausgelastet.

Autogazette: Wieviele E-Golf können Sie denn pro Monat produzieren?

Senger: Die Zahl habe ich in dieser Sekunde nicht im Kopf – allerdings ist der Anteil des e-Golfs an den Golf Verkäufen im Zuge der ausgelobten Umwelt- und Zukunftsprämien deutlich gestiegen. Der Anteil aller unserer elektrifizierten Modelle ist dadurch von zwei Prozent auf zehn Prozent gestiegen, besonders hat davon der e-Golf profitiert.

Autogazette: Bestätigt Sie diese Nachfrage darin, dass der Kunde seine Entscheidung für den Kauf eines E-Autos von einem attraktiven Preis abhängig macht?

Senger: Das ist genau der Punkt. Derzeit kostet der e-Golf rund 36.000 Euro. Zieht man davon diese fast 12.000 Euro ab, dann sind wir bei 24.000 Euro. Offensichtlich scheint das e-Auto an diesem Punkt für unsere Kunden interessant zu werden. Der I.D. soll sich im Preisbereich eines Diesels bewegen.

«Ladevorbereitung in die Bauvorschrift bringen»

Der Elektro-Golf von VW VW

Autogazette: Mit Blick auf den Preisverfall der Batteriepreise: Ist es vorstellbar, dass Sie bis zum Marktstart des I.D. sogar einen Preis um die 20.000 Euro hinzubekommen?

Senger: Bis zum Jahr 2020 wird kein Hersteller in der Lage sein, profitabel Elektroautos zu bauen. Auch nicht, wenn die Batteriepreise weiter sinken. Das müssen wir uns für die kommende Generation von Elektroautos aufheben. Unser Anspruch ist es, den I.D. mit einer Reichweite von 400 Kilometern und zum Preis eines Diesels auf den Markt zu bringen.

Autogazette: Das ist dann auch profitabel?

Senger: Schaffen wir es mit unseren E-Autos vom ersten Tag an, so profitabel zu arbeiten wie ein gut laufendes Unternehmen mit Verbrennungsmotoren? Nein, das schaffen wir nicht. Schaffen wir es, mit unseren Autos einen Deckungsbeitrag zu erzielen? Ja, das schaffen wir.

Autogazette: Sie sprechen sich dafür aus, dass bei Neubauten zugleich eine Ladeinfrastruktur für E-Autos vorgeschrieben wird. Doch dazu kann sich die EU scheinbar nicht durchringen.

Senger: Die EU lehnt dies ab, weil dadurch die Gebäude zu teuer werden. Doch was kostet eine intelligente Ladeinfrastruktur? Sie bekommen sie für unter 1000 Euro. Der Anspruch muss doch sein, die Ladevorbereitung zumindest in die Bauvorschrift zu bekommen. Das muss der Anspruch sein. Wir können doch nicht erwarten, dass die Menschen einen Sprung in die E-Mobilität wagen, wenn sie ihr Auto zu Hause nicht laden können.

«Populismus ist hier nicht förderlich»

Christian Senger neben dem I.D. Buzz.
Christian Senger neben dem I.D. Buzz Niepaul/VW

Autogazette: Für das Tesla Model 3 liegen mehr als 400.000 Bestellungen vor. Doch die Reichweite dieses Modells liegt auch nur bei 350 beziehungsweise 500 Kilometern. Warum gelingt es Tesla, eine Nachfrage zu generieren, VW aber nicht?

Senger: Tesla ist ohne Frage Pionier – und extrem konsequent. Doch seine Fahrzeuge sind zugeschnitten auf spezielle Bedürfnisse. Damit kann nicht jede Kundengruppe bedient werden. Wir werden das mit unserem Angebot tun.

Autogazette: VW hat unlängst die Entscheidung getroffen, dass der I.D. Buzz gebaut und 2022 auf den Markt kommen wird. Kommt dem Go für den Elektro-Bulli für die weitere Entwicklung der Elektromobilität bei VW eine besondere Bedeutung zu?

Senger: Mit so einem Auto gestalten wir Märkte. Der I.D. Buzz hat so viel Potenzial, dass wir mit ihm ganz viele Kunden gewinnen werden. Wir sprechen damit beispielsweise Kunden an, die heute einen Sharan fahren oder einen SUV. Der Buzz bietet ein Raumgefühl, eine Coolness, die sonst keiner bietet. Das ist eine Riesen-Chance für Volkswagen.

Autogazette: Auf der IAA steht auch der I.D. Crozz. Wann wird er auf den Markt kommen?

Senger: Er wird nach dem I.D. ebenfalls in 2020 kommen.

Autogazette: Frankreich und Großbritannien wollen ab 2040 aus dem Verbrennungsmotor aussteigen, nun wird auch in China darüber diskutiert. Nur Deutschland mag sich nicht festlegen. Doch braucht es für eine Mobilitätswende nicht derartiger Zielvorgaben?

Senger: Der Verbrennungsmotor hat noch eine lange Zukunft. Wir sollten uns nicht über das Verbieten unterhalten, sondern über das Fördern. Das ist nachhaltiger. Ansonsten verunsichern wir nur die Konsumenten. Niemand wird eine solche Ansage einhalten können. Populismus ist hier nicht förderlich.

Das Interview mit Christian Senger führte Frank Mertens

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