Nach Piech-Rücktritt: Machtvakuum bei VW

Visionär an der Spitze gesucht

Nach Piech-Rücktritt: Machtvakuum bei VW
Wusste Martin Winterkorn bereits 2015 von der Schummelsoftware? © dpa

Nach dem Rücktritt von Ferdinand Piech dreht sich bei VW alles um die Frage, wer dem einstigen Patriarchen langfristig nachfolgen wird. Gute Chancen hat Konzernchef Martin Winterkorn, der Sieger des zurückliegenden Machtkampfs.

Am Mittwoch will Europas größter Autobauer Volkswagen erklären, wie die Geschäfte in den ersten drei Monaten liefen. Es werden Zahlen sein aus einer anderen Welt. Einer, in der das mächtige Führungs-Duo Piëch/Winterkorn noch als einiger Taktgeber des Konzerns erschien. In der Probleme zwar zu sehen - aber im Vergleich zu horrenden Milliarden-Gewinnen und der fast erreichten Weltmarktführerschaft doch nicht über zu bewerten waren.

Diese Fassade ist nun zerbrochen. Der Blick liegt frei auf drängende Probleme im VW-Reich, das Roulettespiel der möglichen Nachfolger für die Vorstandsspitze ist in vollem Gange und an der Spitze des Aufsichtsrats droht ein Machtvakuum.

Winterkorn Favorit

Die zentrale Personalie: Wer folgt Ferdinand Piëch als Chef des Aufsichtsrats und Wächter über die langfristige Strategie von Deutschlands größtem Industriekonzern? Natürlich will man bei der Suche nach einem Nachfolger nichts überstürzen, wie der kommissarische Oberkontrolleur Berthold Huber noch am Samstag beteuerte, dem Tag des Piëch-Sturzes. Doch wo Machtverhältnisse ungeklärt sind, da greifen viele nach größerem Einfluss.

Als Piëch-Nachfolger galt Martin Winterkorn. Er kennt den Konzern seit Jahrzehnten und war eine unangreifbare Autorität bei VW. Bis sein beruflicher Ziehvater Piëch ihn fallen ließ und der Vorstandschef vor dem Aus stand. Der 67-Jährige gilt mehr als Qualitätsfanatiker, denn als Visionär. "Die Stärke von Winterkorn ist es, auch die letzte Schraube an der Sitzverstellung zu optimieren - und nicht die Strategie des Unternehmens", sagt Branchen-Experte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen.

Setzt Winterkorn trotzdem zum rasanten Durchmarsch an die Spitze des Aufsichtsrats an? Die Rückendeckung der mächtigsten Aufseher hat er als Konzernchef bereits schriftlich. Außerdem könnte ein Sprung in den Aufsichtsrat ihn davor bewahren, zum Vorstandschef mit beschnittenen Kompetenzen zu werden.

Diess übernimmt Kernmarke VW

Denn schon in zwei Monaten muss er die Führung der Hausmarke VW-Pkw an den ehemaligen BMW-Vorstand Herbert Diess abgeben. Dort liegen die größten Probleme: Golf, Passat und Co. fahren zu wenig Gewinn ein gemessen am Umsatz - mit 100 Milliarden Euro die Hälfte der gesamten Konzernerlöse. Winterkorn steckte schon im vergangenen Jahr einen fünf Milliarden Euro schweren Sparkurs bis 2017 ab. Die Produktion in Deutschland ist teuer und VW fertigt Komponenten selber, die viele Konkurrenten günstiger bei Zulieferern einkaufen. Doch an solchen Punkten hart durchzugreifen, könnte gegen den jetzt schier übermächtig erscheinenden Betriebsrat eine Mammut-Aufgabe werden.

Außerdem läuft das USA-Geschäft blamabel, auf dem zweitgrößten Automarkt der Welt verkauft VW Pkw weniger Autos als Subaru. Neue SUV-Modelle in Geländewagen-Optik sollen zwar Abhilfe schaffen, kommen aber frühesten Ende 2016 zu den Händlern. Bis dahin lautete die Devise bislang: Augen zu und durch. Schieflagen wie diese werden auch Winterkorn angekreidet.

Außerdem liegen die wichtigen VW-Märkte Brasilien und Russland wirtschaftlich am Boden, die Verlaufszahlen brechen dramatisch ein. Selbst in China, dem Wachstumstreiber der Autowelt, kommt Marktführer VW in diesem Jahr nicht vom Fleck. Im boomenden Billig-Segment fehlt den qualitätsversessenen Wolfsburgern schlicht das Angebot.

Skoda als Vorbild

Winfried Vahland Skoda

Wie es zumindest in puncto Gewinnkraft besser laufen kann, zeigt die Schwestermarke Skoda: Die fährt Renditen ein, die bald an Oberklasse-Hersteller erinnern. Deswegen fällt der Name von Marken-Chef Winfried Vahland, wenn um Personal für höhere Aufgaben im Konzern spekuliert wird.

Ohnehin könnten bei VW bald neue Strukturen Einzug halten. Der oberste Betriebsrat Bernd Osterloh ist dafür einer der größten Fürsprecher: "So wie die Nutzfahrzeuge eine eigene Sparte bilden müssen, um optimal arbeiten zu können, müssen wir auch andere Potenziale in Sparten bündeln." Branchen-Experte Stefan Bratzel bläst ins gleiche Horn: "Der Konzern muss sich mittelfristig strukturell neu aufstellen und dezentraler organisiert werden", sagt der Fachmann von der FH Bergisch-Gladbach.

Denkbar wäre etwa die Bündelung der Premiummarken rund um Audi, Porsche oder Bentley, sowie die der Massenprodukte von VW Pkw, Skoda und Seat. Für den Oberklasse-Bereich könnte Porsche-Chef Matthias Müller infrage kommen, der in der Branche einen guten Ruf als exzellenter Modellplaner genießt. Er soll auch Piëchs Wunschkandidat für eine Winterkorn-Nachfolge gewesen sein. An Optionen und Baustellen mangelt es dieser Tage zumindest nicht. (dpa)

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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