«Politik muss sich von der Autoindustrie emanzipieren»

Greenpeace-Verkehrsexperte Tobias Austrup

«Politik muss sich von der Autoindustrie emanzipieren»
Greenpeace-Verkehrsexperte Tobias Austrup © Mike Schmidt/Greenpeace

Greenpeace hat mit einem Schwarzbuch die enge Verzahnung der Autoindustrie mit der Politik angeprangert. Im Interview mit der Autogazette kritisiert Greenpeace-Verkehrsexperte Tobias Austrup die aus seiner Sicht desaströse Rolle von Bundesverkehrsminister Dobrindt bei der Aufklärung des VW-Skandals.

Mit einem Schwarzbuch hat Greenpeace das enge Geflecht zwischen Autoindustrie und Politik angeprangert. Insgesamt 33 Personen stehen auf der Liste des Buches, das Greenpeace am Dienstag veröffentlicht hat. «Das ist sicherlich nicht der ganze Eisberg. Wir haben die plakativsten und wichtigsten Namen herausgesucht und auch einige wieder verworfen, weil wir die Beweisführung nicht vollständig führen konnten», sagte Greenpeace Verkehrsexperte Tobias Austrup der Autogazette.

Auch wenn die meisten Personen bei Daimler und VW unter Vertrag stehen, sind bei allen Herstellern Lobbyisten am Werk. «Alle Autohersteller versuchen, möglichst weit oben in der Regierung vertreten zu sein. Die Kanzlerin und das Kanzleramt sind das Hauptziel.»

Kritik an Dobrindt

Das enge Geflecht führt laut Austrup dazu, dass weniger in zukunftsträchtige Innovationen investiert wird, sodass die deutsche Autoindustrie versucht, anstehende Grenzwerte zu verschieben oder zu verwässern, weil man zum Beispiel bei der Elektromobilität hinterher fahre.

Deshalb kritisiert Austrup besonders die aus seiner Sicht desaströse Rolle, die Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bei der Aufklärung des VW-Skandals spiele. «Das ist Arbeitsverweigerung. Dobrindt setzt sich ganz einseitig für die Autoindustrie ein. Dabei muss sich die Politik von der Autoindustrie emanzipieren.»

Kretschmann in der Kritik

Winfried Kretschmann wird die Nähe zu Daimler angekreidet
Winfried Kretschmann wird die Nähe zu Daimler angekreidet dpa

Autogazette: Ist die Liste mit den 33 Namen von Politikern und Autolobbyisten die Spitze des Eisbergs oder befinden sich noch mehr Zuarbeiter in der Politik?

Tobias Austrup: Das ist sicherlich nicht der ganze Eisberg. Wir haben die plakativsten und wichtigsten Namen herausgesucht und auch einige wieder verworfen, weil wir die Beweisführung nicht vollständig führen konnten.

Autogazette:Überraschend befindet sich mit Winfried Kretschmann ein Politiker der Grünen auf der Liste . . .

Austrup: . . . Herr Kretschmann hatte bei seinem Amtsantritt als Ministerpräsident von Baden-Württemberg die Messlatte sehr hochgelegt mit dem Ausspruch «Weniger Autos sind besser als mehr», mittlerweile hat er seine Aussagen revidiert und fährt nun auch schon den sechsten oder siebten Mercedes als Dienstwagen.

Autogazette:Immerhin einen Hybriden . . .

Austrup: . . . der aber laut Messungen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) auch mehr verbrauchen soll als angegeben.

Autogazette:Die Messungen der Deutschen Umwelthilfe sind aber auch nicht ganz unumstritten . . .

Austrup: Das kann jeder halten wie er will. Wir vertrauen den Messungen.

«Kanzlerin und das Kanzleramt sind das Hauptziel»

Angela Merkel und Alexander Dobrindt stehen in der Kritik
Angela Merkel und Alexander Dobrindt dpa

Autogazette:Es fällt auf, dass in dem Schwarzbuch von Greenpeace hauptsächlich Personen für Daimler und VW unterwegs sind. Sind bei anderen Autoherstellern keine Lobbyisten in diesem Maße auf der Payroll?

Austrup: Durch das VW-Gesetz mit dem Land Niedersachsen als Aktionär zählt VW sicherlich als Sonderfall, bei dem schon durch diese Konstellation eine Verzahnung gegeben ist. Mercedes hat sich mit hochrangigen Leuten eingedeckt. Aber diese Konstellationen ziehen sich durch die gesamte Autoindustrie. Alle Autohersteller versuchen, möglichst weit oben in der Regierung vertreten zu sein. Die Kanzlerin und das Kanzleramt sind das Hauptziel.

Autogazette:Angesichts des freundlichen Kurses der Kanzlerin wären doch gar keine zusätzlichen Leute nötig?

Austrup: Es scheint aber doch lukrativ zu sein, mehr Leute einzukaufen.

Autogazette:Gibt es denn eine Möglichkeit, dieses Geflecht zu entzerren?

Austrup: Das wäre für alle zu wünschen. Der Politik kann diese Form nicht recht sein. Und die Autoindustrie investiert in Lobbyarbeit anstatt in Innovationen. Den Anschluss bei der Elektromobilität hat man schon verloren und es wird weiterhin auf große und schwere Autos gesetzt. Auch früher bei der Einführung der Katalysatoren zum Beispiel hat die Autoindustrie eine schlechte Rolle gespielt.

Autogazette:Die deutsche Autoindustrie ist zwar häufig später eingestiegen, hat dafür aber die anderen quasi rechts überholt . . .

Austrup: Ich bin skeptisch, ob die Autoindustrie auf die rechte Spur findet.

Arbeitsverweigerung von Dobrindt

Alexander Dobrindt, Andreas Rentschler und Joachim Drees (v.r.n.l.) neu Aufmacher dpa
Alexander Dobrindt, VW-Vorstand Andreas Rentschler und MAN-Vorstand Joachim Drees (v.r.n.l.) dpa

Autogazette:Was muss passieren, damit die Autoindustrie auf die rechte Spur findet?

Austrup: Als erstes muss der VW-Skandal aufgeklärt werden. Die Rolle, die Verkehrsminister Alexander Dobrindt dabei spielt, ist desaströs. Das ist Arbeitsverweigerung.

Autogazette:Inwiefern?

Austrup: Dobrindt setzt sich ganz einseitig für die Autoindustrie ein. Dabei muss sich die Politik von der Autoindustrie emanzipieren.

Autogazette:Nun wird aber der VW-Skandal nicht allein am möglichen Niedergang der Autoindustrie verantwortlich sein?

Austrup: Der Skandal ist ein schwerer Schlag für die deutsche Autoindustrie, indem VW die umweltpolitischen Auflagen unterwandert hat. Die Folgen sind absehbar: Verluste beim Absatz, die auch Verluste bei der Gewerbesteuer oder später auch bei den Arbeitsplätzen nach sich ziehen können. VW gefährdet den eigenen Konzern. Und es ist kein reiner VW-Skandal, auch bei anderen Herstellern sind schon erhöhte Werte gemessen worden.

Autogazette:Irgendwann wird das Kraftfahrt-Bundesamt ihre Messergebnisse veröffentlichen. Werden Sie den Ergebnissen trauen oder eher hinterfragen?

Austrup: Ich kann das noch nicht einschätzen. Bei Rohdaten ohne einen prosaischen Begleittext, werde ich den Daten sicher Glauben schenken. Bei einem blumigen Text werde ich skeptisch. Es steht und fällt mit der Art des Berichtes.

Das Interview mit Tobias Austrup führte Thomas Flehmer

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