Volvo XC90: Malocher der alten Schule

Verzicht auf modischen Schnickschnack

Der Volvo XC90 ist ein rechter Naturbursche. Ausgestattet mit der R-Design-Linie entpuppt sich der große Geländewagen zumindest im Innern als noble Kutsche.

Von Markus Henrichs

Haben Sie schon einmal versucht, einen Elch um die Ecke zu bringen? Das ist gar nicht so einfach, sondern erfordert Ausdauer und Geschick. Was die frühzeitlichen, nordischen Jäger wussten, gilt auch für den modernen Großstadtmenschen. Zumindest wenn er am Steuer eines Volvo XC90 sitzt und sich auf die Jagd nach einem Parkplatz in der City macht. Denn das knapp 2,2 Tonnen schwere, siebensitzige Schweden-SUV ist so etwas wie der skandinavische Großhirsch im immer unüberschaubarer werdenden Tierreich der automobilen Gattungen und Arten. Ein Urvieh von SUV, ein Allradler der alten Schule.

Unverwüstliches Aussehen

Von außen sieht das Volvo-Flaggschiff aus wie aus einem Klotz gehauen: Keine dynamisch abfallende Dachlinie, keine sich verjüngende Fensterpartie oder andere Design-Spielereien, die auf Kosten von Kopf- und Bewegungsfreiheit der Mitfahrer gehen würden. Dafür gibt es viel Ecken und Kanten und einen klobigen Karosserie-Rumpf, der von langen (Feder-)Beinen getragen wird. Statt auf eine stromlinienförmig gestylte Frontpartie schaut der vorausfahrende Rückspiegelgucker auf eine stumpfe hohe Schnauze.

Und so unverwüstlich, souverän und unbeirrbar wie der XC90 dreinblickt, fährt sich der schwere Schwede auch: Elchartig statt elfenhaft dreht er seine Runden durch den Stadtverkehr. Auf Streicheleinheiten mit dem Gasfuß reagiert das 2,4-Liter-Triebwerk ab dem unteren Drehzahlbereich zwar nicht mit temperamentvollem Röhren, dafür aber mit wohligem Brummen. Schon ab 1900 Umdrehungen steht die volle Schubkraft von 420 Nm zur Verfügung, was frühes Hochschalten ermöglicht und auch bei schaltfauler Fahrweise zügiges Vorankommen im XC90 ermöglicht.

Grenzen im Parkhaus

Enge Kurven sind nicht das Metier des Volvo XC90 Volvo

Ihn um enge Ecken zu scheuchen, ist dagegen nicht so einfach. Stattdessen ist Kurbeln und Rangieren angesagt. Fast unverzichtbarer Helfer dabei ist die Rückfahrkamera, zumal die Sicht nach hinten durch das engmaschige Gepäcknetz zusätzlich eingeschränkt wird. Dabei ist Geduld gefragt, denn bis das schräg geneigte Display ausfährt, vergehen gefühlte drei Sekunden. Beim Rangieren im City-Parkhaus und in engen Altstadtgassen stößt das Schweden-SUV aufgrund des langen Radstands und eines Wendekreises von 12,50 Meter schnell an seine Grenzen. Wendig ist anders.

Viel Beweglichkeit wird dafür vom Fahrer verlangt, zumindest beim Halt an roten Ampeln. Dort nämlich führt die hohe Sitzposition bei großgewachsenen Fahrern regelmäßig zu unfreiwilligen Slapstickeinlagen und Verrenkungen, sofern man das Ampellicht im Auge behalten will. Gibt die Signalanlage grünes Licht zur Weiterfahrt, geht es zügig voran. Der Fünfzylinder-Turbodiesel mit 147 kW/200 PS gibt sich im Vergleich zu artverwandten PS-Ungetümen wie Porsche Cayenne, VW Touareg und BMW X5, die in ihrer stärksten Dieselmotorisierung rund 150 PS mehr in die Waagschale werfen, unaufgeregt, beinahe handzahm - aber nicht behäbig. Bockig reagiert der schwere Schwede so gut wie nie, von vereinzelten, leichten Rucklern der Sechsgangautomatik beim Herunterschalten in die nächste Fahrstufe einmal abgesehen.

Andere Qualitäten als Temperament

Der Volvo XC90 ist kein Temperamentsbolzen Volvo

Ein Temperamentsbolzen ist der Schwede dennoch nicht. Dafür hat der Nordmann andere Qualitäten. Hoher Randstein? Kein Problem. Anstandslos und ohne aufzusetzen erklimmen die 19-Zöller des langbeinigen XC90 auch Bordsteinkanten, an denen sich Kompaktklässler gnadenlos die Zähne ausbeißen oder zumindest derbe die Frontschürze verkratzen würden.

Benutzt man beherzt das XXL-Bremspedal, das groß genug für Rentier-Hufe ist, verzögert der XC90 gut und ohne ins Schleudern zu geraten, obwohl bei voller Beladung mit Mensch und Material die Masse im Nacken des Fahrers spürbar schiebt. Fußgänger mit lebensmüder Ader sollten dem schweren Schweden dennoch besser nicht ins Gehege kommen. Denn dem seit fast zehn Jahren im Wesentlichen unverändert gebauten SUV fehlen fast alle innovativen Assistenzsystem, die für die meisten seiner Volvo-Geschwister inzwischen geordert werden können: Fußgängererkennung? Notbremsassistent? Fehlanzeige. Immerhin der "BLIS" genannte Totwinkelwarner ist gegen 620 Euro Aufpreis an Bord.

Teurer skandinavischer Luxus

Beim Volvo XC90 gilt: außen hart, innen ganz zart Volvo

So hemdsärmelig wie sich der Testwagen von außen gibt, so luxuriös, aber unprätentiös präsentiert sich sein in der Ausstattungslinie "R-Design" mit viel Alu-Dekor veredelter Innenraum: Diverse Extras bescheren Reisekomfort fast wie in der Business Class eines Flugzeuges. Ausnahme: Für das Navigieren durch die verschachtelten Untermenüs des bordeigenen Navigationssystems liegt dem Testwagen eine externe Fernbedienung von den Ausmaßen eines Mobiltelefons bei, die man eher auf dem heimischen Fernsehtisch denn als Zubehör eines Automobils vermuten würde. Dafür bieten die lederbezogenen variablen Sitze geradezu Fernsehsessel-Komfort und ausreichend Seitenhalt.

Skandinavischer Luxus, der seinen Preis hat. So schlägt der Testwagen mit diversen Extras wie Multimediapaket mit DVD-Player, Standheizung und digitalem Fernsehempfang mit gut 66.000 Euro zu Buche. Das ist mehr als anderthalb mal so viel Geld wie für den Einstiegsdiesel mit D3-Triebwerk zu bezahlen ist, der knapp 40 000 Euro kostet. An Kfz-Steuer sind 217 Euro fällig. Denn so unzeitgemäß wie sein Auftreten ist leider auch sein Kraftstoffkonsum, der sich im Testbetrieb bei 10,1 Litern Diesel auf 100 Kilometer einpendelte.

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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