Weniger kann manchmal mehr sein

Triumph Bonnevielle Street Twin

Weniger kann manchmal mehr sein
Die Triumph Bonnevielle Street Twin, © Triumph

Triumph hat die Bonneville Street Twin überarbeitet. Der Preis ist zwar gleich geblieben, die Technik verbessert worden, aber die Leistung reduziert worden. Kann so etwas gut gehen?

Sie hatten Sorge bei Triumph. Wenn die Motorrad-Journalisten schon vor Fahrtantritt wüssten, dass die neue Bonneville Street Twin nur 40 kW/55 PS hat – würden sie den Nachfolger der ausgelaufenen 865-ccm-Bonneville, die 67 PS leistete, dann noch akzeptieren? 12 PS weniger Spitzenleistung als beim Vormodell, aber den Preis (ab 8.900 Euro) beibehalten – das ist delikat, selbst wenn man die Technik verbessert.

Also hielten die Triumph-Mannen die Daten von Leistung und Gewicht des neuen Motorrads zunächst geheim. Die Tester sollten erfühlen, ob das Einstiegsmodell in die komplett neu entwickelte Modern-Classic-Baureihe ihre Leistungserwartungen erfüllte.

Deutlich weniger Verbrauch

Ergebnis: Nur einer der Kollegen tippte richtig, alle anderen lagen mit ihren Schätzungen um zumeist 10 bis 15 PS zu hoch – die Triumph-Mannen konnten triumphieren. Der neue 900-Kubik-Motor hatte seine Feuerprobe mit Bravour bestanden. Tatsächlich ist die verfügbare Leistung des neuen, jetzt wassergekühlten Zweizylindermotors im meistgenutzten Drehzahlbereich bis 5.700 Umdrehungen sogar höher als die des Vorgängermotors, und zwar um bis zu 22 Prozent. Das liegt an der extrem drehmomentorientierten Auslegung des Reihentwin, dessen Bestwert 80 Newtonmeter bei bescheidenen 3.230 Touren beträgt.

Genug der Leistungs-Erörterung, Power ist also genug da. Sehr erfreulich ist zusätzlich ein zweiter Entwicklungsfortschritt: 36 Prozent Minderverbrauch meldet Triumph. 3,72 Liter/100 Kilometer nennen die Homologationsunterlagen auf Basis der neuen Emissionsverordnung EU 4. Der erste Praxistest in Valencia im Stadtverkehr, auf Schnellstraße, Autobahn und kurvenreicher Bergstraße bei durchweg zügiger, fahrzeugtypischer Fahrt ergab laut Bordcomputer immer noch gute 4,3 Liter je 100 Kilometer.

Zurück zu den Wurzeln

Besonders wichtig war es den Entwicklern, die neue Street Twin optisch dichter an den Bonneville-Erstling von 1956 heranzubringen. Das ist gelungen, wofür wir uns als Beleg an dieser Stelle auf zwei Details beschränken: Der schmale, dünne Wasserkühler ist überaus dezent platziert, stört optisch überhaupt nicht. Und die sehr edle Zweirohr-Auspuffanlage aus gebürstetem Edelstahl wirkt auf den ersten Blick tatsächlich wie von gestern, nämlich kat- und lambdasondenlos; man muss schon sehr genau hinsehen, um die angesichts von EU 4 natürlich unerlässliche Technik zu lokalisieren. Dank des geringen Verbrauchs genügt auch der dezente 12 Liter-Tank für angemessene 250 Kilometer Distanz.

Gut gelungen ist zudem die Bedienung: Schalter, Hebel und das runde Zentralinstrument (ohne Drehzahlmesser, aber mit Ganganzeige) erfüllen ihren Zweck bestens (es fehlt freilich eine Blinker-Rückstellautomatik), die Sitzhöhe ist mit 75 Zentimetern erfreulich niedrig. Dennoch sitzen sogar Zweimeter-Männer gut, weil die Bewegungsfreiheit ausreichend groß ist.

Ebenfalls ausreichend bemessen ist die Schräglagenfreiheit, so dass die Fahrwerksqualitäten der Street Twin bei zügiger Kurvenfahrt prima nutzbar sind. Auch sonst gefällt das Fahrwerk, denn Stabilität und Agilität der 217 Kilogramm fahrfertig wiegenden Triumph stehen in einem ausgewogenen Verhältnis. Die Telegabel, von stilechten Gummifaltenbälgen verziert, könnte freilich einen Tick geschmeidiger ansprechen. Ganz und gar von gestern ist leider der Verstellmechanismus für die Vorspannung der hinteren Federbeine: Zwei Mann müssen sich mühen, um mittels Inbusschlüssel das Heck etwas höher zu kriegen. Uns scheint das zu viel des Oldtimee-Feelings.

Gutes Ansprechverhalten

Triumph Bonnevielle Street Twin
Die neue Bonneville orienntiert sich am Erstling Triumph

Ganz up to date ist man dagegen bei der Motorsteuerung: Das Ansprechverhalten des Triebwerks ist feinfühlig, der Drehzahlbegrenzer greift ab 6.900 Touren erst sanft, ab 7.000 U/min dann bestimmt ein. Auch eine Traktionskontrolle ist an Bord; ihre Wirksamkeit konnten wir auf den bei Trockenheit mit viel Grip gesegneten spanischen Straßen allerdings nicht wirklich beurteilen. Die sehr leichtgängige Kupplung, zusätzlich mit Antihopping-Effekt ausgerüstet, gefällt ebenso gut wie das knackig zu schaltende Fünfganggetriebe oder das fein regelnde ABS. Die Verzögerungswerte der Single-Frontbremsscheibe reichen aus, um die Gabel tief in die Federn zu zwingen.

Fünf Farbvarianten hat Triumph für die Street Twin entwickelt; drei Metallic-Töne (rot, silber, schwarz) sowie ein mattes Schwarz. Diese vier Farben kosten jeweils 150 Euro mehr als das in Jet-Black lackierte Basismodell. Reichlich Zusatzgeld nimmt man für drei Ausstattungspakete, in bestem Marketing-Deutsch als „Inspiration-Kits“ bezeichnet. Die Inspirationen verändern die klassisch-klare Street Twin in einen milden Scrambler (2390 Euro), einen dezent sportiven „Brat Tracker“ (1730 Euro) oder ein urbanes Lifestyle-Gefährt mit ledernen Satteltaschen (1550 Euro). Insgesamt haben die englischen Zubehörspezialisten nahezu 150 Positionen im Angebot. Mit deren Hilfe ist es keine Kunst, die Einstiegsversion in die Bonneville-Baureihe auf das Preisniveau der neuen Bonneville T 120 (1200 ccm) zu hieven. Diese wird zum Frühjahr ab 11.900 Euro erhältlich sein. Die Street Twin gibt es schon ab Januar. (SP-X)

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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