Die Nacht der langen Messer

Die Zuschauer bei der Monte erkannten ihn schon von weitem an dem wilden Gebrüll. Jahrelang dominierte der Lancia Delta Integrale die Rallye-Szene. Im Sommer kommt der neue Delta. Grund genug zurückzuschauen.

Von Stefan Grundhoff

Als Henri Toivonen der Rallye Monte Carlo im Januar 1986 mit einem eindrucksvollen Gesamtsieg seinen Stempel aufdrückte, bekam die Motorsportwelt den Mund nicht mehr zu. Der Lancia Delta S4 hatte es der bärenstarken Konkurrenz gezeigt. Bis zum Jahre 1992 dominierte der Lancia Delta Integrale die Monte und genauso lang die Rallye-Weltmeisterschaft. Die Konkurrenz verkam zum Statisten-Rudel und Piloten wie Mini Biasion, Bruno Saby oder Carlos Sainz kamen zu Weltruhm.

Legende dank Rallye-Erfolge

Wenn der neue Lancia Delta auf dem Genfer Salon Anfang März seine offizielle Weltpremiere feiert, wird außer dem Namen nichts an den potenten Alleskönner aus den späten 80er und frühen 90er Jahre erinnern. Der alte Delta Integrale ist eine Autolegende. Quadratisch, kantig und geradezu unbesiegbar meißelte er seine Initialen in der Nacht der langen Messer in den Col de Turini. Hier versetzte der nicht einmal vier Meter lange Rennwagen tausende von Motorsportfans in schiere Begeisterungsstürme. Die Straßenversion war europaweit gesehen dagegen alles andere als ein Massenmodell. In Italien lief der Golf-Konkurrent ordentlich. Doch anfällige Motoren, Elektrikprobleme und eine ihm naturgegebene Rostanfälligkeit hielten die Kunden außerhalb des Stiefels in überschaubaren Dimensionen. Ändert jedoch nichts daran, dass einen Delta Integrale jeder Autofan kennt. Viele beten ihn noch heute an.

Durch seine Rallye-Erfolge brannte er sich bei jung und alt unauslöschlich ins Gehirn. Sicher ein Vorteil, wenn der Nachfolger nach langem hin und her dieses Jahr endlich auf den Markt kommen wird. Mit seinem puristisch-kantigen Vorgänger wird der neue Delta kaum etwas gemein haben. Denn der alte Delta Integrale war auch als Straßenmodell eine Rakete. Mit Allradantrieb und Leistungen von zum Teil bis an die 300 PS war er das sportlichste Kompakt-Modell Anfang der 90er. Selbst ein Audi Ur-Quattro hatte wegen des effizienten Allradantriebs mit offenem Vorderdifferential und einem zentralen Verteilergetriebe mit Viskokupplung kaum eine Chance gegen den Delta. 53 Prozent der Motorleistung gingen an die alles andere als leise Hinterachse und brennen die Dynamik in Asphalt oder Schotter.

Aggressive Straßenversion

Die Straßenversion wirkte nicht minder spritzig Foto: press-inform

Wenn die Straße rutschig, die Abhänge tiefer und die Kurvenradien enger werden, ist der Delta Integrale in seinem Element. An die direkte und allzu schwergängige Lenkung muss man sich erst einmal gewöhnen. Doch sie ist angesichts enger Schalensitze, bissiger 210 PS und einem unansehnlichen Plastikinterieur nur Nebensache. Selbst die Straßenversion beißt wie eine Rennsemmel, eine solche mit der man nicht unbedingt in die City will. Zum Posen gibt es andere Autos. Stattdessen freut man sich auf die nächste Ausfahrt am Samstagnachmittag in die Chiemgauer Alpen, vielleicht auch herüber nach Tirol wo noch Schnee auf den Nebenstraßen liegt und die müden Scheinwerferkegel nach Sonnenuntergang Felswände erhellen.

Sein alles andere als stromlinienförmiges Design ist charakteristisch - für die Automobilära Ende der 80er und den Delta sowieso. Das Platzangebot im 3,90 Meter langen Serienmodell ist dabei überschaubar. Bereits vorne wird es für Scheitel, Schulter und Knie eng; von der zweiten Reihe und dem durch das verlegte Ersatzrad zerklüfteten Kleinkofferraum einmal gar nicht zu reden. Die letzte Generation des Lancia Delta Integrale bot dem Betrachter zudem diese phantastisch dicken Backen, die so unvergleichlich für Sportlichkeit standen, ehe sie von Designern seit dem Jahrtausendwechsel in langweiligste Normalo-Modelle projiziert werden. Das Heck des Delta bietet Tristesse pur, die Front Kühleinlässe über Kühleinlässe. Der 154 kW / 210 PS starke Zweiliter-Turbo braucht schließlich Luft zum atmen und kühlen.

45.000 Allradler produziert

Spärlicher Innenraum Foto: press-inform

Als Lancia Mitte der 80er Jahre den ersten Delta 4WD präsentierte, war die Unsicherheit groß. Innerhalb von zehn Jahren wurden rund 45.000 4x4-Versionen produziert. Der zwei Liter große Fiat-Vierzylinder des Delta leistete 121 kW / 165 PS und bis zu 280 Nm Drehmoment, galt jedoch als anfällig. Kaum ein anderes Auto in Europa bekam in den nächsten Jahren derart viele Anpassungen und Überarbeitungen.

Als bester Delta aller Zeiten gilt bis heute der ab 1993 gebaute Integrale HF 16V mit einer Leistung von 154 kW / 210 PS und über 300 Nm Drehmoment. Die neue Kolbenbodenkühlung sorgte für Standfestigkeit; die acht zusätzlichen Ventile für eine entsprechende Leistungsspritze. Die Fahrleistungen des Delta Integrale waren dabei auch nach Einführung des Katalysators in eindrucksvoll. Fans schimpften jedoch wie ein Rohrspatz und monierten eine wenig stimmige Kastration des hungrigen Turbos.

Trotzdem: 0 auf 100 km/h in 5,7 Sekunden und ein mächtiger Durchzug im mittleren Drehzahlbereich machten selbst vielen Sportwagenfahrern Angst. Wer seine Ohren nicht schont und die fünf Gänge ausdreht, ringt dem Delta auf der Autobahn nahezu 230 km/h Sitze ab. Der Durchschnittsverbrauch ist mit 11 bis 13 Litern allemal noch annehmbar.

Begehrte Sammlermodelle

Alcantara-Sitze waren leider nicht serienmäßig Foto: press-inform

Heute sind die Lancia Delta Integrale 16V der letzten Serie begehrte Sammlermodelle - zumindest wenn sie sich in einem unverbastelten Zustand befinden. Hierfür werden zwischen 15.000 und 40.000 Euro geboten. Besonders luxuriöse Modelle sind mit Alcantara-Sitzen, Klimaanlage und Schiebedach ausgestattet. Renntaugliche Modelle verzichten um Gewicht zu sparen auf den raren Komfort und überflüssige Verkleidungen an Türen und Dachhimmel. Allen Modellen gemein ist das unsehnliche Innere mit billigen Plastikschalter, Lenkstockhebeln und einer nahezu unüberschaubaren Batterie an Analoguhren. Auch hier wird der neue Delta Neuland betreten - zum Glück.

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