Auf den Spuren von Sir Stirling Moss

Mille Miglia 2009

Die Mille Miglia ist weltweit das schillerndste Rennen der Oldtimerszene. Drei Tage tauchen knapp 400 Fahrzeuge in die Tiefen des italienischen Stiefels ein und begeistern das Publikum.

Von Stefan Grundhoff

Kinder bekommen schulfrei, Geschäfte öffnen bis weit in die Nacht und an Abgasen, Falschparkern oder Motorenlärm stört sich auf einmal niemand mehr. Die Polizisten winken zurückhaltend mit ihren Kellen, wenn man mit Höchstgeschwindigkeit an ihnen vorbeirast und die Mechaniker bekommen drei Tage keinen Schlaf. Was sind schon Massenevents wie die Rallye Monte Carlo, der Giro d'Italia oder gar die Tour de France? Jedes Jahr versetzt die Mille Miglia halb Italien in den Ausnahmezustand. Als Stirling Moss im Jahre 1955 in der Fabelzeit von knapp mehr als zehn Stunden die Mille Miglia als Sieger beendete, war das kaum anders. Auch da standen jung und alt an der Strecke, jubelten den Rennfahrern zu, die damals noch echte Helden waren und nicht selten mit dem Leben spielten.

Neues Duell Coulthard gegen Häkkinen

Rund 50 Jahre nach dem letzten echten Rennen ist die Mille Miglia das bekannteste und imageträchtigste Oldtimerrennen der Welt. Es geht im nördlichen Teil Italiens weniger um echte Bestzeiten, sondern mehr darum anzukommen, den eigenen Oldtimer ins rechte Licht zu rücken und die unvergleichliche Atmosphäre in sich aufzusaugen. Wie einst geht die Strecke von Brescia nach Rom und zurück. 1.600 atemberaubende Kilometer durch die schönsten Regionen Italiens: Vorbei an Ferrara, Ravenna, San Marino, Rom, Pienza, Siena und Florenz. Was Rekordfahrer Stirling Moss im Jahre 1955 in kaum mehr als zehn Stunden erledigte, schaffen die Rennfahrer heute in zweieinhalb Tagen - noble Übernachtungen und genussreiche Verköstigungen eingeschlossen.

Die Autos von heute sind jedoch die gleichen wie damals. Nachdem das Reglement der Oldtimerveranstaltung in den letzten Jahren fester gezurrt wurde, sind nur noch Rennwagen im Originalzustand der Jahre 1927 bis 1957 erlaubt. Und jene müssen in dieser Zeit bereits Rennen gefahren sein. Trotzdem gibt es jedes Jahr weit mehr Anmeldungen als freie Plätze. Bei der Auflage des Jahres 2009 wird das Teilnehmerfeld von zwei spektakulären Piloten angeführt. Publikumsliebling Ex-Formel-Fahrer David Coulthard geht im Siegerwagen von Stirling Moss an den Start. Der 310 PS starke und 300 km/h schnelle Mercedes 300 SLR ist einer der exklusivsten Rennwagen der Welt. Im Gespann des Historien-SLR mit der Startnummer 289, der die Strecke 1955 eben in jenen zehn Stunden absolvierte, fährt Formel-1-Weltmeister Mika Häkkinen. Sein Gefährt ist im Vergleich zum 300 SLR geradezu futuristisch. Der Ur-Ur-Enkel mit Namen Mercedes SLR Stirling Moss verzichtet ebenfalls auf Windschutzscheibe und schmückendes Beiwerk, ist 650 PS stark und 350 km/h schnell.

Zitternde Hände

Während der Fahrt genießen Foto: Mille Miglia 2009

Doch die anderen knapp 400 Oldtimer brauchen sich in Sachen Exklusivität und Rennzustand ebenfalls nicht zu verstecken. BMW geht mit einer ganzen Armada Rennern an den Start. Die schnellen 328er gehören zu den Stars jeder Mille Miglia. Diesmal ebenfalls im Gepäck der geschlossene Tourenwagen BMW 328, der 1940 die Mille Miglia gewann. Ferrari, Maserati, Aston Martin, Alfa Romeo, Fiat, Triumph oder Porsche. Nicht nur Oldtimerfans fallen bei den engen Ortsdurchfahrten schier die Augen aus dem Kopf. Staunen, anfassen, kurz einsteigen während die Rennwagen aufgetankt werden oder die Insassen sich einen kurzen Snack in der Bar holen. «So etwas gibt es nur hier in Italien», lacht David Coulthard.

Wenn die Mille Miglia läuft, ist die Hälfte Italiens drei Tage aus dem Häuschen. Für Verkehrsregeln interessiert sich in diesen Tagen niemand und die Polizei lässt sich lieber Verkehrskellen signieren als Strafzettel zu verteilen. Dabei ist das Rennen fernab davon, eine reine Touristenrundfahrt zu sein. Fahrer und Copiloten sind Wind, Wetter, Geschwindigkeit und den vorausfahrenden Fahrzeugen ausgesetzt. So sehen sie nach mehr als 12 Stunden im Auto auch aus. «Als ich gestern Abend im Bett lag, haben meine Hände von der Lenkung noch gezittert», erzählt David Coulthard nach seinem ersten Start bei der Mille Miglia, «kaum zu glauben, was Stirling Moss damals bei seiner Rekordfahrt mit diesem SLR geleistet hat. Tausend Meilen in kaum mehr als zehn Stunden - unfassbar.»

Rasen und genießen

Für Späße bleibt viel Zeit Foto: Mille Miglia 2009

Uwe Karrer fährt in einem Begleitfahrzeug immer mit. Er ist der Chefmechaniker des 300 SLR und kennt den Rennwagen mit der Produktionsnummer S 10 wie kein anderer. Allmorgendlich bringt er den 310 PS starken Motor auf Touren. «Einfach starten und losfahren ist nicht», erklärt Uwe Karrer, «Motor und Öl müssen gleichmäßig warm werden.» Das Getöse des 300 SLR ist jedoch nicht nur beim Start gewaltig. Die Doppelrohre an der rechten Fahrzeugseite spucken Flammen und lassen die Fahrt im 300 SLR nicht selten zur Tortur werden. Der Fußraum des offenen Zweisitzers hat über 60 Grad Celsius. Dafür fehlen Dach, Türen und eine echte Windschutzscheibe.

Die 1.600 Kilometer lange Strecke der Mille Miglia 2009 selbst ist reich an Höhepunkten. Das können die Rennfahrer an drei Tagen trotz schneller Geschwindigkeiten durchaus genießen. Die einen lieben stundenlangen Fahrten durch die hügelige Toskana, andere lassen sich von den Orts- und Stadtdurchfahrten begeistern. Pienza, San Marino, Florenz oder Siena sind ebenso im Ausnahmezustand wie Ferrara oder der Passo della Futa, die wohl schönste Stelle jeder Mille Miglia. 50 Kilometer nördlich von Florenz geht es hinauf bis auf 903 Meter. Ein dunkler VW Käfer von 1954 keucht den kurvigen Höhen hinauf, während ein Ferrari 250 GT im leichten Drift den Hang hinauf prügelt. Ein alter Triumph hat es noch nicht geschafft. Mit offener Motorhaube suchen mittlerweile Köpfe nach einer Lösung des Problems.

Motorenlärm gegen jubelnde Massen

Jubel nicht nur an jeder Kurve Foto: Mille Miglia 2009

Der Lärm von alten Boliden wie dem Aston Martin DB3, Ferrari 250 GT, einem Alfa Romeo 8C oder eben dem Mercedes 300 SLR lassen die alten Gemäuer in ihren Grundfesten erschüttern. Die meisten Italiener lassen Patriotismus Patriotismus sein und jubeln was das Zeug hält, egal ob der alte Renner jemals eine heimische Produktionsanlage verlassen hat oder nicht. Nach dem Rennen haben dann wieder die Mechaniker das Sagen. Die Fahrer liegen im Bett oder gönnen sich erschöpft lokale Köstlichkeiten.

Mechaniker Uwe Karrer ist zufrieden mit seinem Mercedes 300 SLR: «Der Wagen läuft einwandfrei. Ich musste nicht einmal Öl oder Wasser nachfüllen. David Coulthard sitzt zum ersten Mal auf dem Wagen und fährt wirklich gut - und sehr schonend.» Auf schnellen Teilstücken zeigt das Rennfahrerduo Coulthard / Häkkinen der Konkurrenz dann auch wo der Formel-1-Hammer hängt. Der Schotte treibt den silbernen Renner schon einmal über die 200 km/h. Uwe Karrer: «Für mich geht die Arbeit hinterher erst richtig los. Der 300 SLR bekommt eine Durchsicht. Und allein das Putzen dauert eine knappe Woche.»

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