Zetsche: «In Deutschland hat Chrysler ein Heimspiel»

Zetsche:  «In Deutschlandhat Chrysler ein Heimspiel»
Dieter Zetsche © Foto: dpa

Dieter Zetsche hat für den deutschen Markt eine Modelloffensive angekündigt. «Wir werden mit kleineren Personenwagen auch in Deutschland und Europa mit der Marke Dodge auftreten», sagte der Chrysler-Chef der Netzeitung.

Chrysler sieht den deutschen Markt als Wegbereiter für eine erfolgreiche internationale Strategie. «Wir sind heute mit einem Marktanteil von 0,8 Prozent in Deutschland vertreten. Wir glauben, dass wir in einem Zeitraum von drei bis vier Jahren mit der Einführung der Marke Dodge die Chance haben, unseren Marktanteil zu verdoppeln», sagte der Chef der Chrysler-Gruppe, Dieter Zetsche, im Interview mit der Netzeitung. «Wir werden mit kleineren Personenwagen auch in Deutschland und Europa mit der Marke Dodge auftreten», fügte der 51 Jahre alte Manager hinzu.

Jüngere Autobesitzer als in Europa

Netzeitung: Wie entwickelt sich der amerikanische Automarkt - ist das Auftauchen der vielen SUV ein Indikator für eine bessere Wirtschaftslage oder eher eine Verschiebung?

Dieter Zetsche: Was das Volumen angeht, haben wir im letzten Jahr 16,9 Millionen Fahrzeuge im US-amerikanischen Markt gesehen. Die Experten-Prognose für 2004 ging von einem leichten Plus aus, etwa 300.000 bis 400.000 Autos mehr als letztes Jahr. Was die Struktur des Marktes angeht, haben wir über Jahrzehnte einen Trend weg von den Personenwagen zu verschiedenen Varianten und Aufbauten wie Sport Utility Vehicles, Minivans und Pick-Up. Insbesondere die Nachfrage nach SUV hat stark angezogen. Trotz derzeit sehr hoher Öl- und damit Kraftstoffpreise erkennen wir keine Veränderung dieses Trends.

Netzeitung: Kann man vereinfacht feststellen, dass es die reicheren Leute sind, die die besseren Autos bekommen und die Ärmeren, die länger mit ihren alten Autos herumfahren?

Zetsche: Selbstverständlich hat die persönliche Finanzsituation Einfluss auf den Fahrzeugkauf. Aber das ist in den USA nicht anders als in Europa, mit der einzigen Einschränkung, dass die Menschen in den USA viel abhängiger von dem Besitz eines Autos sind, da die Wege generell weiter sind und es weniger öffentliche Verkehrsmittel gibt. Außerdem gibt es hier viel mehr jüngere Autobesitzer als in Europa.

«Mit den Besten im Markt messen»

Netzeitung: Sie haben mit Chrysler gerade eine spektakuläre Restrukturierung durchgemacht. Ist das Unternehmen jetzt so aufgestellt, dass Sie auf dem Markt richtig reagieren können, oder gibt es noch Bereiche, in denen Sie das Unternehmen verändern wollen?

Zetsche: Wir haben unter der Überschrift «Turnaround» innerhalb von drei Jahren die wesentlichen Maßnahmen vollzogen, die wir uns vorgenommen hatten. Unser Ziel war, wieder profitabel zu werden und eine Basis für die Zukunft zu schaffen. Was wir letztlich erreichen wollen, ist, uns mit den Besten im Markt messen zu können. Dort sind wir noch nicht angelangt. Aber wir haben massiv aufgeholt und uns vorgenommen, im Jahr 2007 mit den Besten gleichgezogen zu haben, um dann wirklich aggressiv in diesem Markt angreifen zu können.

Netzeitung: Sie haben bei Ihrem Transformationsprozess ja nicht nur auf die Kosten geschaut, sondern haben auch versucht, neue kreative Potenziale zu entwickeln. Ist das ein spezifisch amerikanisches Modell, das auch für die europäischen Autobauer in den nächsten Jahren interessant wird?

Zetsche: Grundsätzlich können Sie eine Firma nicht nur auf der Kostenseite sanieren, sondern Sie brauchen Umsatz. Und der wird in unserer Industrie wesentlich durch die Produkte bestimmt. Wenn Sie als neues Management-Team eine solche Aufgabe übernehmen, können die Kosten sehr kurzfristig beeinflusst werden, - wohingegen in unserer Industrie die Zyklen eines neuen Produktes relativ lang sind. Von der Idee bis zur Markteinführung für ein neues Produkt dauert es in der Regel zwei bis drei Jahre, und deshalb haben wir in den drei Jahren des Turnaround-Plans sehr intensiv an unseren neuen Produkten gearbeitet. Wir sind sehr stolz, dass sich der Erfolg, den wir uns gewünscht haben, mit unseren neuen Produkten auch im Markt einzustellen scheint.

Massiver Verdrängungswettberwerb

Netzeitung: Wie weit spielt die Preisschlacht, die Rabattschlacht, in Ihrer Strategie eine Rolle? Diese verändert ja die ganze Herangehensweise, gerade im oberen Segment...

Zetsche: Es ist keine Frage, dass es einen massiven Verdrängungswettbewerb in diesem Markt gibt. Gerade die Importeure in den USA versuchen mit erheblichem Druck, ihr Stück vom Kuchen noch weiter zu vergrößern. Logischerweise wollen die Amerikaner dies verhindern. Das wirkt sich massiv auf die Preise aus. Wir können uns dieser Entwicklung nicht vollkommen entziehen. Ich bin aber der Überzeugung, dass sie von Anfang an wettbewerbsfähige Preise haben müssen. Und deshalb ist es entscheidend, sich auf der Angebotsseite über attraktive Produkte zu unterscheiden. Wir wollen unsere Automobile nicht zu einer Commodity verkommen lassen, und mit unseren neuen Produkten können wir das auch zunehmend beweisen. Wir geben deutlich weniger für Incentives aus als unsere Wettbewerber Ford und GM.

Netzeitung: Wo sehen Sie Chrysler eigentlich im internationalen Markt aufgestellt?

Zetsche: Wir sind heute nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in Kanada und Mexiko, also im gesamten Nafta-Raum, mit etwa 13 Prozent Marktanteil sehr stark positioniert und verkaufen 92 Prozent unserer gesamten Produktion in Nordamerika. Umgekehrt bedeutet das, dass wir im Rest der Welt vergleichsweise schwach aufgestellt sind. Ich sehe das ganz eindeutig als eine Chance. Wir versuchen nicht, wie teilweise unsere Wettbewerber, in Europa als Europäer aufzutreten. Sondern wir wollen ganz bewusst unseren amerikanischen Charakter als Verkaufsargument herausstellen. Dabei gehen wir natürlich in allen internationalen Märkten auch auf die Kundenwünsche ein. Das heißt, dass wir zum Beispiel viel stärker als in der Vergangenheit auch Dieselmotoren anbieten werden. Wir haben natürlich auch rechtsgelenkte Modelle im Programm und andere Produktmerkmale, die den amerikanischen Markencharakter von Chrysler belegen. Und wir sind davon überzeugt, dass uns dies eine gewisse Alleinstellung gibt und damit auch die Chance zu Wachstum.

Netzeitung: Welche Rolle spielt Deutschland da in Ihrer Strategie?

Zetsche: Es ist klar, dass erstens Deutschland grundsätzlich einer der größten Automärkte ist und dass wir zweitens wir natürlich als Teil von DaimlerChrysler bis zu einem gewissen Grade ein Heimspiel haben. Deshalb sehen wir den deutschen Markt als Wegbereiter für eine erfolgreiche internationale Strategie.

Marktanteil verdoppeln

Netzeitung: Was ist umsatzmäßig Ihr Ziel in Deutschland?

Zetsche: Wir sind heute mit einem Marktanteil von 0,8 Prozent in Deutschland vertreten. Wir glauben, dass wir in einem Zeitraum von drei bis vier Jahren mit der Einführung neuer Produkte und der Einführung der Marke Dodge die Chance haben, unseren Marktanteil zu verdoppeln. Wir werden mit kleineren Personenwagen auch in Deutschland und Europa mit der Marke Dodge auftreten. Der Sportwagen Viper ist eine herausragende Ikone für das Potenzial von Dodge.

Netzeitung: Wie muss sich denn das von Ihnen angesprochene Heimspiel mit Daimler vorstellen? Wo kann Daimler Sie unterstützen auf dem deutschen Markt?

Zetsche: Was die Produkte angeht, haben wir natürlich einen riesigen Vorteil gegenüber unseren amerikanischen Wettbewerbern - wir haben Zugang zum herausragenden Technologie-Angebot von DaimlerChrysler. So konnten wir beispielsweise den Chrysler 300C als heckangetriebenes Fahrzeug mit dem Know-How unserer Kollegen aus Stuttgart entwickeln. In dem Fahrzeug sind relativ wenig gemeinsame Teile enthalten, aber es ist ein exzellentes Fahrzeug, weil wir eben auf diese Expertise zurückgreifen konnten. Entwickelt in Auburn Hills, von unseren Chrysler-Ingenieuren, aber mit Zugang zu dem Know-How des Gesamtkonzerns. Fahrzeuge dieser Qualität herstellen zu können, ist sicherlich eine Grundvoraussetzung, um auch in Europa und in Deutschland im Markt erfolgreich sein zu können. Darüber hinaus haben wir eine gemeinsame Vertriebsorganisation DaimlerChrysler in Deutschland, die sowohl für Mercedes-Benz und smart als auch für die Nutzfahrzeuge und auch für Chrysler verantwortlich ist. Das heißt, da gibt es einigen Nutzen, in erster Linie über das Verständnis des Marktes.

Unterschiedliche Emotionen

Netzeitung: Die Gefahr, dass es Eifersüchteleien gibt, sehen Sie nicht, oder dass die deutschen Vertriebsleute dann sagen: «Was sollen wir jetzt mit den amerikanischen Autos?»

Zetsche: Natürlich gibt es da auch unterschiedliche Emotionen von Zeit zu Zeit. Das hat uns aber allenfalls in der Anfangsphase des Unternehmens beeinflusst. Heute ist uns klar, dass DaimlerChrysler nur erfolgreich sein kann, wenn alle Marken erfolgreich sind.

Netzeitung: Das heißt, das Kapitel Mitsubishi bleibt sozusagen ein Randkapitel, das jetzt auch endgültig Geschichte ist. Kann man Ähnliches zwischen den anderen beiden Marken ausschließen?

Zetsche: Das lässt sich nicht miteinander vergleichen. Bei Mitsubishi geht es um eine Investition in ein unabhängiges Unternehmen. Die Entscheidung, bei einer Kapitalerhöhung nicht mitzumachen, bedeutet nicht, dass das Kapitel Mitsubishi abgeschlossen wäre, denn wir arbeiten in vielen Projekten weiter zusammen. Das ist eine Partnerschaft, die nicht vergleichbar ist mit der Zusammenarbeit zwischen Mercedes-Benz und Chrysler innerhalb eines gemeinsamen Unternehmens.

Netzeitung: Glauben Sie, dass Mitsubishi finanziell wieder auf die Beine kommt?

Zetsche: Wir hoffen das sicherlich und werden im Rahmen der gemeinsamen Projekte versuchen, dazu beizutragen.

Klare Entscheidung getroffen

Netzeitung: Aber Sie gehen davon aus, dass es auch in Zukunft keine finanziellen Unterstützungen mehr geben wird seitens DaimlerChrysler. Das ist das letzte Wort, auch wenn es ganz hart auf hart kommt?

Zetsche: Wir haben eine sehr klare Entscheidung getroffen, und damit ist eine Richtung vorgegeben.

Netzeitung: Nun hat im Zuge dieser ganzen Mitsubishi-Geschichte ja auch die deutsche Öffentlichkeit jedenfalls sehr stark beschäftigt: Was ist los im Vorstand? Warum einigt man sich nicht auf der Linie, ist es jetzt überwunden?

Zetsche: Wir arbeiten im Vorstand als Team eng zusammen und diskutieren auch kontrovers. Aber wenn eine Sachentscheidung getroffen worden ist, wird sie umgesetzt und von allen mitgetragen.

Netzeitung: Ist dieses Modell des integrierten Konzerns mit der Kombination Daimler/Mercedes Chrysler abgeschlossen oder sehen Sie noch andere mögliche Teile, die man mit dazunehmen kann?

Zetsche: Wir wollen unverändert versuchen, in der Automobilindustrie unsere Position weltweit zu stärken. Dies ist in erster Linie aus eigener Kraft zu tun, dabei kann aber durchaus in einzelnen Feldern die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen dieser Industrie eine Rolle spielen. Eine solche Zusammenarbeit muss aber nicht zwingend über ein finanzielles Engagement in der Kapitalstruktur erfolgen.

Netzeitung: Also Akquisitionen eher nicht im Moment.

Zetsche: Ich sehe derzeit dort keine Aktivitäten.

Vorreiterrolle nicht ausgebaut

Netzeitung: Welche Rolle spielt der asiatische Markt für Chrysler?

Zetsche: Es ist keine Frage, dass Asien ein Markt mit großem Wachstumspotenzial ist - selbstverständlich geprägt durch die Entwicklung in China. Natürlich wollen wir an diesen Marktchancen partizipieren. De facto war Chrysler der erste westliche Automobilhersteller, der in China ein Joint Venture mit einem chinesischen Autobauer in Peking eingegangen ist. Wir hatten diese Vorreiterrolle über die Jahre leider nicht ausgebaut. Innerhalb der letzten drei Jahre haben wir unsere gemeinsame Firma in Peking restrukturiert und wieder auf gesunde Füße gestellt. Auf dieser Plattform beziehen wir jetzt auch Mercedes ein und hoffen bald die nötige Lizenz zu erhalten, um für unsere Marken Wachstum mit neuen Produkten zu schaffen. Wir sind auf dem besten Weg und ich sehe dort große Chancen für uns.

Netzeitung: Welches Produkt ist für Sie die Nummer eins im asiatischen Markt?

Zetsche: Heute sind wir speziell in China in erster Linie mit Jeep-Produkten aktiv. In Asien hängt der Produkterfolg von den jeweiligen Marktgegebenheiten ab. Es gibt dort Märkte, in denen wir mit Geländewagen - eben primär Jeep - unseren Haupterfolg haben. Es gibt andere Märkte, wie beispielsweise Australien, in denen der Pick-Up eine wichtige Rolle spielt und damit potenziell dann auch die Marke Dodge. Sich hier richtig zu positionieren, ist entscheidend für den Erfolg.

Netzeitung: Was das Umweltbewusstsein anlangt, könnte die amerikanische Industrie vermutlich von Ihnen als Deutschem profitieren. Glauben Sie, dass Chrysler auf dem Umweltsektor noch mehr machen kann oder gibt es irgendwelche Initiativen?

Zetsche: Zum einen, glaube ich, macht man Fehler, wenn man die USA als einen Monolith betrachten würde, als eine homogene Konstruktion. Sie finden in Kalifornien beispielsweise viele Initiativen und Auflagen, die sehr viel strikter sind als die in Deutschland. So ist zum Beispiel der Katalysator nicht in Deutschland zuerst eingeführt worden, sondern in dieser Region. Es ist also nicht so, dass dieses Land insgesamt kein Umweltbewusstsein kennt. Umweltbewusstsein ist anders ausgeprägt, es hat einen anderen Fokus und die große Verbreitung von SUV bedeutet nicht, dass Amerikanern die Umwelt egal ist, sondern liegt eher an den anderen Gegebenheiten und den größeren Distanzen in den USA. Insgesamt brauchen wir innerhalb der US-Autoindustrie kontinuierliche Fortschritte bei Verbrauchseffizienz, Emissionen und Sicherheit. Hier kann Chrysler natürlich von der Technologie profitieren, die bei unserer Schwestermarke Mercedes entwickelt wird. Wir versuchen als einer der ersten, sicherlich als Pionier, den Diesel in den USA populärer zu machen und können dabei auf die Erfahrung und die weltweite Führerschaft von Mercedes-Benz in diesem Markt zurückgreifen.

Netzeitung: Gibt es irgendwelche konkreten Schritte, was den Diesel betrifft?

Zetsche: Wir sind derzeit dabei, den Jeep Liberty, der in Deutschland Cherokee heißt, mit Dieselmotor hier in den Markt einzuführen. Es ist der erste Midsize-SUV mit Dieselmotor in den USA und wird nicht das letzte Modell sein, das wir mit einem derartigen Antrieb ausstatten werden.

Verbrennungsmotor bestimmendes Aggregat

Netzeitung: Welche sonstigen technologischen Revolutionen kommen auf die Automobilindustrie insgesamt zu? Wie wird das Auto in 15 bis 20 Jahren aussehen?

Zetsche: Ich glaube, dass auch dann der Verbrennungsmotor das dominierende Antriebsaggregat sein wird, auch wenn alternative Antriebe wie Hybride oder Brennstoffzellen ihren Platz gefunden haben werden. Wir werden auch noch stärkeren Einfluss der Möglichkeiten aus der Elektronik im Fahrzeug erleben und so mehr Sicherheitsnetze um den Fahrer spannen können. Der Fahrer sollte zwar weiterhin die Kontrolle über sein Fahrzeugs behalten, aber noch einige Assistenzsysteme mehr haben, die in kritischen Situationen einen Unfall verhindern oder zumindest abmildern koennen. In dieser Richtung werden wesentliche Fortschritte zu sehen sein. Ansonsten werden unsere Autos noch komfortabler werden, noch mehr Unterhaltung der Passagiere ermöglichen und damit zu einer noch sichereren Zelle des individuellen Lebens bei der Überwindung von Distanzen für den Menschen werden.

Das Interview mit Dieter Zetsche führte Michael Maier

Lesen Sie morgen in der Netzeitung: Dieter Zetsche über Hartz IV, Managergehälter und über die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Arbeitsmarkt.

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