Nutzfahrzeuge mehr als nur flexible Transporter

Vor der IAA in Hannover

Nutzfahrzeuge mehr als nur flexible Transporter
VW hat den Crafter in Eigenregie neu gestaltet © VW

Die Nutzfahrzeugbranche fährt in die Zukunft. Auf der IAA in Hannover zeigen die Hersteller ihre vernetzten und mit Assistenzsystemen ausgestatteten Neuerungen – um einen „alten“ Antrieb kämpfen dabei alle an einem Strang.

Transporter waren bisher vor allem eines: nützlich. Mittlerweile müssen sie aber mehr können, als möglichst viel und möglichst flexibel Werkzeug, Material, Pakete oder Menschen zu transportieren. Auf der IAA Nutzfahrzeuge (22.-29. September) zeigen verschiedene Hersteller, dass neue Assistenzsysteme und Konnektivitätsfunktionen vor den Nutzfahrzeugen nicht Halt machen.

Exemplarisch dafür, wie immer mehr Pkw-Technologie Einzug in das Nutzfahrzeug-Segment hält, steht die neue Modellgeneration des VW Crafter. ESP mit Gespannstabilisierung, die automatische Distanzregelung ACC, die Multikollisionsbremse, ein Seitenwindassistent und Anhängerrangierassistent sind serienmäßig oder optional an Bord; die technische Voraussetzung für all diese Systeme liefert die in dieser Fahrzeugklasse erstmals eingesetzte elektromechanische Lenkung. Hinzu kommen weitere Komfort- und Sicherheitsextras wie Rückfahrkamera, Ausparkassistent (Rear Traffic Alert), LED-Scheinwerfer, Abbiegelicht und Fernlichtassistent.

Mehr Luxus für den Lastesel

Traditionelle Vorteile wie eine große Auswahl von Längen, Höhen, Aufbauten und Antrieben bleiben im VW-Transporter natürlich erhalten. Die Neuauflage markiert aber auch aus anderem Grund eine Zeitenwende: Lief die erste Generation noch zusammen mit dem Sprinter bei Mercedes vom Band, fertigt VW den Transporter künftig am polnischen Standort in Eigenregie. Parallel legt der Sprinter natürlich nach, Mercedes bringt neue Varianten als 16-Sitzer mit Hochdach sowie als 5,5-Tonner mit nach Hannover.

Dem Trend „Mehr Luxus für die Lastesel“ folgen auch die neuen Drillinge Peugeot Expert, Citroen Jumpy und Toyota Proace, die bei PSA in Frankreich vom Band laufen und bei deren Entwicklung – im Unterschied zum Vorgänger-Trio – die Japaner diesmal deutlich stärker einbezogen waren. Beispiele für den Komfortzuwachs sind etwa die seitlichen Schiebetüren, die sich per Fußbewegung unterhalb des hinteren Stoßfängers automatisch öffnen und schließen lassen. Im Cockpit gibt es optional einen 7-Zoll-Farb-Touchscreen mit Mirror-Link-Funktion zur Smartphone-Integration sowie ein 3D-Navigationssystem mit Online-Verbindung und Echtzeit-Verkehrsdaten. Insbesondere die Kombivarianten mit bis zu neun Sitzplätzen lassen sich inzwischen ziemlich schick ausstaffieren, während Müdigkeitswarner, Verkehrszeichenerkennung und ein automatisches Notbremssystem das Sicherheitsniveau anheben. Bleibt nur die Frage, ob im Fuhrparkbudget genug Geld für die teuren Luxus-Extras übrig ist.

Kampf um den Dieselantrieb

Mercedes erleichtert den städtischen Lieferverkehr der Zukunft
Mercedes stellt den Vision Van vor Mercedes

Beim Antrieb bleiben die großen Neuerungen zunächst aus. Immerhin zeigen Studien wie der Vision Van von Mercedes, dass mittelfristig mit Elektro-Transportern zu rechnen ist – zumal die Luft für den Lieferverkehr in von Abgas- und Lärmemissionen geplagten Innenstädten immer dünner wird. Der E-Motor des Konzeptfahrzeugs leistet 75 kW/102 PS, bei einer Durchzugskraft von bis zu 270 Newtonmetern. Die Reichweite pro Batterieladung von je nach Version zwischen 80 und 270 Kilometern soll für den Lieferverkehr ausreichen. Für dieses Einsatzgebiet sind auch die Drohnen auf dem Dach des Autos gedacht, die Frachtaufgaben bis zu einer Entfernung von 10 Kilometern übernehmen.

Aus der Zukunft zurück zum Antrieb der Gegenwart: In der Crafter-Baureihe dürfte den Dieselvarianten nach dem Vorbild des Caddy TGI eine Erdgasversion zur Seite gestellt werden. Dennoch führt auf absehbare Zeit im Transportgewerbe am Diesel kein Weg vorbei. Um den Selbstzünder sauberer zu bekommen und fit für die Euro-6-Norm zu machen, haben die Hersteller ihr Motorenprogramm inzwischen auf SCR-Abgasreinigung und AdBlue-Einspritzung umgestellt.

Vielseitiger Hyundai H350

So auch das deutsch-französische Duo aus Opel Vivaro und Renault Trafic, das in diesem Herbst mit dem neuen Nissan NV300 wieder zu einem Trio wird. Oder genauer: zu einem Quartett, denn der neue Fiat Talento als Nachfolger des noch bei PSA gebauten Scudo ist ebenfalls mit von der Partie. Die Transporter in der Gewichtsklasse bis 3 Tonnen haben in der Länge um rund 20 Zentimeter zugelegt und werden als Kastenwagen, Doppelkabine, Combi oder als Fahrgestell mit Auf- und Umbau-Optionen angeboten. Das Leistungsspektrum der Dieselmotoren reicht von 66 kW/90 PS bis 103 kW/140 PS. Praktische Details wie das Laptop-Staufach in der Lehne des umgeklappten Beifahrersitzes oder ein gutes Dutzend weitere Saufächer, helfen, Ordnung zu halten.

Eine eindrucksvolle Phalanx aus Europäern und Japanern also, denen sich die deutschen Hersteller Mercedes und VW gegenübersehen. Zumal sie es wie im Pkw-Segment noch mit einem weiteren selbstbewussten Herausforderer aus Fernost zu tun bekommen: Hyundai dürfte den Transporter H350 sukzessive zur variantenreichen Baureihe erweitern. Nach dem Kastenwagen Cargo zeigen die Koreaner in Hannover einen 14-sitzigen Bus und eine Konzeptversion mit Brennstoffzellenantrieb. So ganz allein ist der neue VW Crafter übrigens doch nicht. Im Frühjahr 2017 erweitert Konzerntochter MAN mit dem technisch eng verwandten Ableger TGE ihr Portfolio nach unten. (SP-X)

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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