Lottsiepen: Verweigerungskartell der deutschen Autoindustrie zusammengebrochen

Interview mit VCD-Verkehrsexperten

Gerd Lottsiepen feiert die Einführung des Rußpartikelfilters als einen Erfolg des Verkehrsclubs Deutschland. Der verkehrspolitische Sprecher fordert aber für die Zukunft ein komplettes Umdenken der deutschen Autoindustrie.

Gerd Lottsiepen hat sich über die serienmäßige Einführung des Rußpartikelfilters in deutschen PKWs gefreut. Im Interview mit der Netzeitung ärgerte sich der verkehrspolitischer Sprecher des Verkehrsclub Deutschland (VCD) aber über die Aufpreispolitik der deutschen Industrie. Zum Abschluss der 60. Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt am Main kritisierte Lottsiepen das Nischendasein der Umwelttechnik bei den deutschen Fahrzeugherstellern.

An die Zukunft denken

Zudem sagt Lottsiepen voraus, dass die deutsche Industrie - ähnlich wie beim Partikelfilter - auch die Entwicklung beim Hybridantrieb «verschlafen» werde. So müssten die deutschen Autohersteller aufpassen, in zehn oder zwanzig Jahren noch wettbewerbsfähig zu sein.

Netzeitung: Herr Lottsiepen, wie fällt Ihr Fazit für die am Sonntag endende IAA aus?

Gerd Lottsiepen: Aus der Sicht des VCD ist es ein Erfolg, dass das Verweigerungskartell, das die deutsche Autoindustrie in der Frage nach dem Partikelfilter aufgebaut hatte, nun zusammengebrochen ist. Der Kampf geht jetzt gegen die Aufpreispolitik weiter.

Dennoch bin ich insgesamt ein bisschen enttäuscht. Umwelt und Verbraucherfragen wurden von den deutschen Herstellern nur in einer Nische dargestellt. Es sind schon weite Wege, die man bei Mercedes laufen muss, bis man auf den Partikelfilter oder das Ergasfahrzeug, was sie jetzt auch endlich anbieten, stößt. Anders bei Toyota, die den mit einem Hybridmotor angetriebenen Prius groß herausstellen oder Peugeot, die im Zentrum ihres Standes auf den Partikelfilter hinweisen.

Kunden umweltbewusst, Hersteller nicht

Netzeitung: Woran liegt das?

Lottsiepen: Die deutschen Hersteller wollen allen Anschein nach die Umwelt beim Autofahren nicht ins Zentrum setzen. Sie verdienen ihr Geld mit einer Technik, die hinter ihrer Zeit ist. Sie verdienen gut mit den Van-Fahrzeugen wie dem Touareg, die noch nicht einmal den gültigen PKW-Grenzwert Euro 3 erfüllen, sondern zugelassen sind als leichte Nutzfahrzeuge. Da gibt es ja fast eine Gesetzeslücke in Deutschland. Man könnte jetzt überlegen, ob man diese Fahrzeuge in Deutschland nur 80 Stundenkilometer fahren lässt, was eigentlich normal ist. Der Touareg kostet um die 46.000 Euro, ist aber umwelttechnisch das Letzte.

Netzeitung: Die Deutschen gelten als sehr umweltbewusst. Wie kommt es, dass man umwelttechnisch bei den Autos hinterher hängt?

Lottsiepen: Das sind nicht die deutschen Kunden, sondern die deutsche Industrie. Peugeot hatte eine Umfrage bezüglich des Partikelfilters gestartet. 93 Prozent der Kunden in Deutschland wissen über die Technologie Bescheid. In Frankreich dagegen sind es nur 43 Prozent, obwohl Peugeot dort die größeren Marktanteile hat und mehr PKW verkauft. Deutschland ist ein für die Umwelt sensibilisiertes Land und die Bevölkerung eigentlich weiter als die Industrie.

Marktanteile eingebüßt

Netzeitung: Kann die deutsche Autoindustrie die Nachteile aufarbeiten?

Lottsiepen: Die deutsche Industrie hat in den vergangenen Jahren Entwicklungen verschlafen. Sie hat die Partikelfiltertechnologie verschlafen und da gleichzeitig Marktanteile eingebüßt. Ähnlich wird sich das jetzt auch beim Hybridantrieb ergeben. Toyota hat auf der IAA den Prius wirklich groß herausgestellt. Er ist der Star und steht im Zentrum der Betrachtung.

Netzeitung: Wieso hat der deutsche Markt die Entwicklungen verschlafen, gibt es nicht genug Geld damit zu verdienen?

Lottsiepen: Diese Frage ist genauso schwer zu beantworten wie die Frage nach der Henne und dem Ei. Solange umwelttechnisch wenig geworben wird, ist es schwierig, damit Geld zu verdienen. Da muss man mit dem Marketing nachlegen. Auf Dauer ist vollkommen klar, dass die Umwelttechnik einfach mit dabei sein muss, um Geld verdienen zu können.

Umwelt alleine verkauft sich nicht

Netzeitung: Auf der IAA wurden mehr die Nobelkarossen und Sportwagen gefeiert. Sind sie enttäuscht über die geringe Nachfrage nach dem Drei-Liter-Auto?

Lottsiepen: Umwelt alleine verkauft sich auf dem Automarkt nicht sonderlich gut. Ein vernünftiger Nutzwert und ein vernünftiger Preis müssen dazukommen. Der Drei-Liter-Lupo ist relativ teuer im Vergleich zum Basis-Lupo. Der Audi A 2 verkauft sich insgesamt schlecht, nicht nur bei der Drei-Liter-Version. Ein Auto, das insgesamt ein schlechtes Image hat, verkauft sich dann auch als Drei-Liter-Auto nicht gut. Ein Drei-Liter-Auto braucht ein vernünftiges Image.

Netzeitung: Wie hoch schätzen Sie die Chance, dass sich Erdgas durchsetzen wird?

Lottsiepen: Die Chance dafür ist da. Es kommt auf die Akteure an. Die Autoindustrie muss vernünftige Autos liefern. Die Erdgasindustrie ist in der Verantwortung, ein Tankstellennetz aufzubauen. Aus finanziellen Gründen wird es sich besonders für Vielfahrer lohnen, auf Erdgas umzusteigen. Allerdings ist Erdgas im Vergleich zu Benzin und Diesel kein Quantensprung, sondern schlicht und ergreifend eine Alternative.

30 Jahre bis zur Wasserstofftechnik

Netzeitung: Wie schaut es mit anderen Antriebsstoffen aus?

Lottsiepen: Mercedes wollte 2004 serienmäßig Brennstoffzellenautos anbieten, ist aber weit davon entfernt. Brennstoffzellenfahrzeuge können sie nicht zu einem darstellbaren Preis anbieten. Ein Brennstoffzellenfahrzeug hat nur dann einen ökologischen Vorteil, wenn man Wasserstoff regenerativ gewinnen kann.

Netzeitung: Wann wird man mit dem ersten entsprechend ausgestatteten Auto rechnen können?

Lottsiepen: Die Technik ist da, aber auf jeden Fall zu teuer. Kein Mensch zahlt für einen Golf 50.000 Euro - natürlich gibt es Modelle mit irgendeiner Selbstbefriedigungsautomatik - aber nur für die Umwelt zahlt keiner so viel Geld. Und das ist auch richtig so. Von daher sind die Fahrzeuge noch zu teuer, die Technik ist aber machbar. Vielleicht ist Wasserstoff der Stoff der Zukunft. Vielleicht kommt er in 30, 40 Jahre zum Einsatz. Das wäre nicht allzu pessimistisch gedacht.

Netzeitung: Wird also in der Frage des Brennstoffs alles beim Alten bleiben?

Lottsiepen: Nein. Aber es wird dauern, ehe sich eine Alternative durchsetzt. Der VCD hatte sich schon Mitte der neunziger Jahre für den Partikelfilter ausgesprochen, 2003 kommt er erst. Beim Partikelfilter wurde damals von den Verbänden - sprich VDA (Verband der Autoindustrie) - der Untergang des Abendlandes prophezeit für den Fall, dass der Rußpartikelfilter Pflicht wird. Heute haben wir die Technik und das Abendland steht immer noch. So wird es auch bei den Niedrigverbrauchstechniken sein.

Technik der Zukunft gefragt

Netzeitung: Was müssen die deutschen Autohersteller dann beachten?

Lottsiepen: Für die Zukunftsmärkte müssen wir die deutsche Industrie interfragen. In Zukunft brauchen wir genau die Niedrigverbrauchstechnik und Saubertechnik. Vielleicht machen VW und Mercedes es dieses Jahr noch richtig und verdienen noch einmal richtig Geld mit dem, was sie jetzt verkaufen. Sie schauen aber zuwenig danach, was sie in zehn oder 20 Jahren verkaufen können. Diejenigen, die dann die Technik haben, wenig CO² produzieren, werden dann einen bemerkbaren Wettbewerbsvorteil haben.

Selbst China, dass eine viel größere Umweltbelastung als Europa zulässt, wird nicht wollen, dass die Hersteller mit der Technik von vorgestern dazu beitragen, dass dort die Umweltbedingungen noch schlimmer werden.

Das Interview mit Gert Lottsiepen führte Thomas Flehmer

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