Kawasaki 1400 GTR: ICE auf zwei Rädern

Mit der 1400 GTR bringt Kawasaki einen neuen Großtourer auf den Markt. Das Reisemobil bietet glänzende Fahrleistungen. Allerdings offenbart die Japanerin einen mächtigen Durst.

Von Thilo Kozik

GTR - da war doch mal was? Genau: Vor fast zwanzig Jahren versuchte sich Kawasaki mit der GTR 1000 am Thema Großtourer. Dass dieses Modell seit der Einführung 1986 praktisch unverändert die Modellpalette der Grünen bis weit nach der Jahrtausendwende belebte, muss verwundern. Denn ein Renner war dieser wind- und längsrillenempfindliche Reisemobil-Dino nie, obwohl die GTR diverse Dauertests erfolgreich absolvierte.

Schwergängiges Rangieren

Nun gut, das ist Geschichte. Und mit der Vergangenheit hat die aktuelle GTR 1400 nicht mehr viel gemein als das Kürzel und die Positionierung im Maxitouring-Segment. Oder vielleicht doch? Beim Erstkontakt beschleicht einen nämlich das gleiche Gefühl wie bei der barocken Vorgängerin: Das Rangieren fällt mächtig schwer, die fette Sechszentnerfuhre mit ihrem scheinbar hohen Schwerpunkt muss mit Bedacht gezirkelt werden.

Die Kawasaki 1400 GTR Foto: Kawasaki

Doch schon die Anlassprozedur macht klar, dass dies eine ganz andere Kategorie Motorrad ist - Schlüssel reinstecken, rumdrehen und starten war gestern. Heute springt der Motor nur an, wenn ein Transponder in Fahrzeugnähe den Drehknopf mitten im Cockpit per Funk freigegeben hat, dieser in die On-Stellung gedreht und das berühmte Startknöpfchen gedrückt wird. Zum Tanken und Koffer öffnen wird der Drehknopf herausgezogen, denn auf der Unterseite prangt der so arg vermisste Schlüssel. Hört sich kompliziert an, ist aber eigentlich ganz praktisch.

Sanfte Gasannahme

Der Rahmen der Kawasaki 1400 GTR Foto: Kawasaki

Nimmt die Fuhre einmal Fahrt auf, verblasst die Erinnerung an die alte GTR mit jedem Meter. Zum einen, weil meine 1,75 Meter Körpergröße prima ins Motorrad integriert sind, zum anderen, weil der Brocken analog zur steigenden Geschwindigkeit seine Kilos zu verlieren scheint - ein oft beschriebenes Phänomen, doch selten so deutlich zu spüren wie hier.

Sanft nimmt der mächtigste Reihenvierer der Klasse dank Doppel-Drosselklappentechnologie Gas an und schiebt den 308-Kilo-Boliden nach vorn. Prinzipiell stammt der Four aus der Highspeed-Rakete ZZR 1400, allerdings grundlegend für den Powertourer-Einsatz überarbeitet: Kleinere Einlass-Durchmesser, geringere Verdichtung, mehr Schwungmasse, zahmere Nockenwellen und ein neuer Auspuff kappen die Spitzenleistung von 190 auf nominal 155 PS für mehr Drehmoment unten herum und in der Mitte.

Außerdem implantierten die Ingenieure eine vom Motormanagement gesteuerte und über Öldruck aktivierte variable Ventilsteuerung, die für jeden Lastzustand eine optimale Füllung des 1352 ccm großen Hubraums sicherstellt. Das erlaubt der GTR einen erstaunlich sportlichen Auftritt: Ab 3000 Touren zieht sie souverän durch das Drehzahlband und gibt sich auch oberhalb des 9000ers keine Blöße. Flott durchgesteppt im sauber und weich schaltbaren Sechsganggetriebe kratzt die Tachonadel schnell an der 200, hier kann der Antrieb seine sportlichen Wurzeln nicht verleugnen. Richtig beeindruckend sprintet die GTR voran, vor allem in dieser Klasse. Insofern positioniert sich die GTR als sportliche Herausforderung für Yamaha FJR, BMW K & Co. Elastisch sollte der Riesen-Motor ohnehin sein, ist er auch, doch der erwartete Tritt ins Kreuz bei voll geöffnetem Gashahn aus dem Niedertourenbereich fällt vergleichsweise unspektakulär aus - da hätte man mehr erwartet.

Kaum störende Vibrationen

Die Rückseite der Kawasaki 1400 GTR ist ausgesprochen wuchtig Foto: Kawasaki

Doch Tourenfahrer interessieren sich naturgemäß weniger für maximale Fahrleistungen als für artgerechte Manieren: Wie steht’s also um Laufkultur und Verbrauch? Zwei Ausgleichswellen lassen lediglich im oberen Drehzahldrittel ein paar haarfeine Vibrationen in die Gashand wandern, doch beim Gasanlegen oder Schließen tut’s einen spürbaren Lastwechselruck aus dem Antrieb. Vermutlich agiert die Schubabschaltung der Einspritzanlage zu heftig. Davon abgesehen ist der 1400er ganz Gentleman. Bei den Trinksitten legt er aber nach: Durchschnittlich 7,1 Liter sind fast ungehörig, die daraus resultierende Reichweite von gut 300 Kilometer ist lediglich Durchschnitt.

Dafür kann sich die Reiseklientel für den fast perfekten Wind- und Wetterschutz begeistern, der selbst bei heftigem Regen bis auf die Schultern alles inklusive der Socken trocken hält. Die elektrisch verstellbare Verkleidungsscheibe sollte nicht zu hoch gestellt werden, dann drückt’s von hinten in den Rücken und die Front wird bei voller Fahrt etwas leicht. Das macht sich im Bereich über 200 km/h bemerkbar, wenn in Schräglage eingeleitete Asphaltimpulse ein leichtes Pendeln verursachen. Das klingt aber schnell wieder von alleine ab und die GTR zieht ihre Bahn weiter.

Guter Geradeauslauf

Der Kardanantrieb an der Kawasaki 1400 GTR Foto: Kawasaki

Angesichts dieser guten Geradeauslaufstabilität - für die der leicht verstärkte Monocoque-Gussrahmen aus der ZZR 1400 samt längerem Radstand sorgen - überrascht die agile Wendigkeit auf der Landstraße. Leichtes und präzises Einlenken gepaart mit sauberem Feedback und neutralem Kurvenverhalten machen schnelle Bögen zu einem Genuss. Selbst um knifflige Spitzkehren taumelt das Dickschiff nicht wie ein führungsloser Ozeandampfer, eine Folge der erfolgreich zentralisierten Massen und des unauffälligen Kardans: Die aufwändige Tetralever-Konstruktion fährt sich fast kettengleich ohne die üblichen unangenehmen Reaktionen.

Im Kurvengewirr und Zweierbetrieb macht sich übrigens die dem Rennsport entliehene Antihopping-Kupplung positiv bemerkbar, die das Runterschalten vor den Ecken fahrerlebnisschonend vor allem für die Sozia gestaltet. Unter der aktiven Auslegung leidet der Komfort kaum. Die Abstimmung der Federelemente überzeugt mit einem guten Kompromiss aus Sportlichkeit und komfortablem Ansprechverhalten, weitergehende Wünsche können per einstellbarer Federvorspannung - hinten sogar hydraulisch - und Zugstufendämpfung realisiert werden.

Spät einsetzendes ABS

Ein bequemes Reisemobil: Die Kawasaki 1400 GTR Foto: Kawasaki

Zum knackigen Auftritt gehören bissfeste Stopper. Die hat die GTR mit radial angeschlagenen Doppelscheiben im Petal-Design und Radialpumpe sowie sportlich spät einsetzendem ABS. Doch gerade die erste Regelung erfolgt recht grob, was der GTR einen nur mittelmäßigen Verzögerungswert von 44,8 Meter aus 100 km/h beschert. Weitere Kritikpunkte sind der nicht so tolle Blick nach hinten - die Koffer nehmen ein Drittel des Rückspiegels ein - und die Wärmeabstrahlung des Motors samt lange nachlaufendem Lüfter. Zum leichten Aufbocken fehlt ein Hebel, und das Multifunktionsdisplay in der Mitte sollte vom Lenkerende aus bedienbar sein, doch das war’s auch schon mit der Alltagskritik.

Die übrige Touren-Grundausstattung ist mehr als komplett, von kinderleicht abnehmbaren Koffern über Druckluftsensoren in den Reifen bis zum sinnvollen Gepäckträger. Doch die 1400 GTR punktet vor allem mit der markentypisch sportlichen Auslegung, die selbst Supersportler-Fahrer in den Maxitourer-Bereich locken könnte. Und die attestierten Reisequalitäten genügen trotz kleiner Einschränkungen auch gehobenen Ansprüchen. Insofern sind die 15.750 Euro zwar kein Pappenstiel, aber ganz gut angelegt.

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