«Wer den Endkunden nicht versteht, wird in Zukunft verspielt haben»

Heinrich Schäperkötter, Leiter Innovationsstrategie

«Wer den Endkunden nicht versteht, wird in Zukunft verspielt haben»
Heinrich Schäperkötter verantwortet bei Schaeffler das Innovationsmanagement. © Schaeffler

Heinrich Schäperkötter ist beim Zulieferer Schaeffler Leiter der Innovationsstrategie. Im Interview mit der Autogazette spricht der Manager darüber, weshalb Absurditäten zur täglichen Arbeit gehören und wie sich das Unternehmen auf die Mobilität von morgen einstellt.

Schaeffler steckt in einem Transformationsprozess. Das Unternehmen entwickelt sich von einem klassischen Autozulieferer zu einem Mobilitätszulieferer. Dabei will der Konzern perspektivisch die Mobilität von morgen mitgestalten. «Auch der Autohersteller verändert sich immer mehr zu einem Mobilitätsanbieter. So ist es nur logisch, dass auch wir uns wandeln von einem Autozulieferer zu einem Mobilitätszulieferer. «Auch wir erfinden uns neu», sagte Heinrich Schäperkötter im Interview mit der Autogazette. Der Manager verantwortet bei dem Herzogenauracher Unternehmen die Innovationsstrategie, das Innovationsmanagement und die Forschungsförderung.

Mut und Fähigkeit zum Wandel

Wie Schäperkötter sagte, habe man dabei auch die Möglichkeit, «out-of-the-box zu denken, um so die Themen ins Unternehmen einzubringen mit der Frage: Interessiert Euch das? Sollen wir da weitermachen?» Schaeffler zeige dabei den «Mut und die Fähigkeit zum Wandel». Wie Schäperkötter hinzufügte, werde Schaeffler dabei seine Technologien in der Breite für verschiedene Branchen anbieten und sich nicht nur auf einen Teilbereich konzentrieren. «Nicht mehr auf dem Niveau eines Formteils, sondern hochwertiger. Wir werden vielleicht an einigen Stellen zum Endprodukt kommen. Wer den Endkunden nicht versteht, wird in Zukunft verspielt haben.»

«Es ist ein Ziel, das man niemals erreicht»

Autogazette: Herr Schäperkötter, Albert Einstein sagte einmal: Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, dann hat sie keine Zukunft. Gehören diese Absurditäten auch zu Ihrer täglichen Arbeit?

Heinrich Schäperkötter: In gewisser Weise schon. Denn in unserer Arbeit wollen wir uns auch nicht auf das beschränken, was wir schon kennen.

Autogazette: Es geht also um freies Denken.

Schäperkötter: Genau.

Autogazette: Wie schwierig ist es für ein Unternehmen wie Schaeffler, Themen nicht nur technisch zu betrachten, sondern auch unter dem Aspekt der gesellschaftlichen Relevanz?

Schäperkötter: Es war ein Weg von mehreren Jahren, um so weit zu kommen. Wir sind ihn in kleinsten Schritten gegangen. Es war ein Marathon, um die Stakeholder und Mitarbeiter auf diesem Weg mitzunehmen. Und es war eine Herausforderung, Techniker davon zu überzeugen, dass es nicht nur um Technik geht. Der Treiber, wann etwas so weit ist, kommt heutzutage nicht mehr primär von der technischen Seite, sondern aus der Gesellschaft.

Autogazette: Wenn Sie von einem Marathonlauf sprechen: Wie weit ist Schaeffler schon in diesem Transformationsprozess gekommen?

Schäperkötter: Wir sind gut unterwegs, auch noch nicht erschöpft. Aber es ist ja ein Ziel, das man niemals erreicht, ein Moving Target. Wir müssen uns bewusst machen, dass die Rezepte für gute Geschäfte der Vergangenheit nicht zwangsläufig bedeuten, dass das auch in Zukunft so weiter geht.

«Haben auch die Möglichkeit, out of the box zu denken»

Schaeffler definiert die Handschalter neu.
E-Clutch von Schaeffler Schaeffler

Autogazette: Zu den Trends in der Autobranche gehören beispielsweise nachhaltige Mobilität, Digitalisierung, Autonomes Fahren oder die Shared Economy. Sind das die Innovationsfelder, die Sie auch für Schaeffler sehen?

Schäperkötter: Wir kommen von beiden Seiten: Natürlich optimieren wir zunächst die Technologien und Produkte, die es bei uns im Hause gibt. Und selbstverständlich übertragen wir auch Lösungen aus anderen Branchen. Und last but not least suchen wir darüber hinaus auch nach ganz neuen Themen.

Autogazette: Wie gehen Sie dabei vor?

Schäperkötter: Wir arbeiten daran, Fragestellungen der Zukunft rechtzeitig zu identifizieren, um die Zeit zu gewinnen, die Antworten darauf vorzubereiten. Schließlich gilt es die richtige Geschwindigkeit zu finden.

Autogazette: Sehen Sie sich gelegentlich eingeengt durch das Denken eines traditionsreichen Zulieferers?

Schäperkötter: Nein, ich sehe uns nicht eingeengt. Glaubwürdigkeit im Unternehmen bekommen wir auch durch Dienstleistungen, die nah zu den bestehenden Branchen sind. Das schafft Akzeptanz. Wir haben aber auch die Möglichkeit, „out of the box“ zu denken, um so die Themen ins Unternehmen einzubringen mit der Frage: Interessiert Euch das? Sollen wir da weitermachen?

«Dort wo Märkte wachsen, wollen wir mitwachsen»

Autogazette: Wie gelingt es Ihnen, einen Business Case aus Ihren Ideen zu machen?

Schäperkötter: Wir haben einen Dreisprung in unserem Innovationsprozess: Es fängt damit an, ein relevantes Problem, eine Fragestellung zu identifizieren. Was interessiert die Menschen in zehn oder 20 Jahren? Dann geht es in den kreativen Teil, in dem wir uns eine Lösung überlegen, die Schaeffler bieten kann. Dann geht es in den analytischen Teil, wo geprüft wird, ob sich damit Geld verdienen lässt. Zu diesem Zeitpunkt beginnt auch die Diskussion mit unseren Stakeholdern, ob wir weitermachen sollen oder nicht.

Autogazette: Autobauer und Zulieferer investieren Milliarden in die E-Mobilität, aber noch ist die Nachfrage der Kunden verhalten. Müssen Sie sich vom Vorstand fragen lassen, warum das Thema nicht längst Fahrt aufnimmt?

Schäperkötter: Das ist die klassische Frage: Es ist zu erkennen, dass das Thema wichtig ist, doch ist die Zeit dafür schon reif? Diesen Zeitpunkt zu bestimmen ist das schwierigste: Wann ist die Zeit reif, wann die Technologie, wann die Infrastruktur, wann ist es bezahlbar? Da muss die ganze Gemengelage stimmen, um zu sagen: Jetzt passt es.

Autogazette: In welchem Innovationsfeld sehen Sie angesichts des Wandels der Mobilität die größten Wachstumsfelder für Schaeffler?

Schäperkötter: Wir nutzen alle Möglichkeiten. Dort wo Märkte wachsen, wollen wir mitwachsen. Daneben geht es darum, die Wertschöpfungskette zu optimieren: sei es in der Fertigung, im Einkauf oder wo auch immer. Dann schauen wir, welche Lösung, die in der einen Branche funktioniert, vielleicht auch in einer anderen funktionieren kann. Das schwierigste Feld ist natürlich das Feld der Innovationen. Wir bespielen alle Felder, nicht nur eins.

«Unser klassischer Kunde verlangt mehr Systemverständnis von uns»

Bio-Hybrid Schaeffler neu Aufmacher Schaeffler
Der Bio-Hybrid von Schaeffler Schaeffler

Autogazette: Und welche Innovation haben Sie identifiziert?

Schäperkötter: Schauen Sie zum Beispiel auf unseren Bio-Hybrid. Im Rahmen unserer Studie zur Mobilität für morgen sind wir zur Frage gekommen, ob es nicht ein Device zwischen Fahrrad und kleinem Elektroauto gibt, was zudem zur bestehenden Infrastruktur passt? Wir haben geschaut, was andere machen, haben mit externen Experten gesprochen, haben uns die Bedürfnisse der Menschen angeschaut. Auf diesem Weg kamen wir zu einem Konzept, bei dem wir auch in das für uns neue Feld des Designs hineingegangen sind.

Autogazette: Mittlerweile verfügen Sie hier auch schon über einen Prototypen...

Schäperkötter: ...ja, mit diesem Demonstrator zeigen wir die Funktionalität auf. Er bewegt sich, er fährt auf der Straße und das auch noch nachhaltig. Nun kommen wir zu dem Punkt, dass Innovation auch Kommunikation ist. Die Menschen müssen sich Gedanken darüber machen, ob so etwas in ihr Leben passt. Mittlerweile haben wir schon viele Signale bekommen, wo Menschen sagen, dass das für sie spannend sein könnte, andere hingegen sagen, dass sie sich das überhaupt nicht vorstellen können. Jetzt geht es darum, mit einer kleinen Testflotte in die reale Welt zu gehen.

Autogazette: Was bedeutet dieser Bio-Hybrid fürs Unternehmen? Entwickelt man sich vom Zulieferer einzelner Komponenten hin zum Anbieter kompletter Mobilitätslösungen?

Schäperkötter: Wir haben gelernt, wie man Anforderungen von Endkunden in ein Lastenheft überträgt. In der Regel bekommt ein Zulieferer so etwas von seinen Kunden. Dadurch, dass wir das nun selbst können, können wir in Zukunft besser mit unseren Kunden reden. Dann ist noch offen, wie wir mit dem Bio-Hybrid ein Geschäft entwickeln: Machen wir alles selber, oder machen wir es mit einem Partner?

Autogazette: Der Bio-Hybrid ist ein erster Aufschlag. Werden weitere dieser Art folgen?

Schäperkötter: Wir sind bereits im Wechsel von der Komponente hin zum System, auch bei den Antriebsachsen. Unser klassischer Kunde verlangt bereits heute mehr Systemverständnis von uns. Wir wollen die Fähigkeit haben, auf Augenhöhe mit unseren Kunden zu kommunizieren. Das heißt nicht, dass wir das auch alles produzieren und liefern müssen. Auch der Autohersteller verändert sich immer mehr zu einem Mobilitätsanbieter. So ist es nur logisch, dass auch wir uns wandeln von einem Autozulieferer zu einem Mobilitätszulieferer. Auch wir erfinden uns neu.

«Wir werden unsere Technologien in der Breite anbieten»

Auch für Windräder liefert Schaeffler Teile zu Schaeffler

Autogazette: Welcher Schritt wird der Schritt sein, der Schaeffler bis zum Jahr 2030 auszeichnen wird?

Schäperkötter: Wir werden kein Unternehmen sein, das sich nur auf einen Teilbereich konzentrieren wird. Wir werden unsere Technologie in der Breite, über verschiedene Branchen anbieten. Nicht mehr auf dem Niveau eines Formteils, sondern hochwertiger. Wir werden vielleicht an einigen Stellen zum Endprodukt kommen. Wer den Endkunden nicht versteht, wird in Zukunft verspielt haben.

Autogazette: Ist der große Vorteil für die Zukunftsfähigkeit von Schaeffler die Branchenvielfalt in der man tätig ist?

Schäperkötter: Das ist eine Risikostreuung und Chancenerhöhung. Allein der Umstand, dass wir mit dem Bio-Hybrid unsere Veränderungsfähigkeit voranbringen, ist ein Gewinn. Schaeffler zeigt den Mut und Fähigkeit zum Wandel. Das ist intern ein wichtiges Zeichen.

Autogazette: Wir erleben derzeit eine verhaltene Nachfrage nach Elektroautos. Muss man den Kunden durch restriktive Vorgaben seitens der Politik dazu bringen, auf nachhaltige Mobilität umzusteigen?

Schäperkötter: Bereits heute sind Städte im Wettbewerb untereinander, um Menschen Lebensqualität und Wohlstand zu bieten. Dazu gehört auch individuelle Mobilität. Wer dies den Menschen auch in Zukunft bieten will, der muss entweder Fahrverbote verhängen oder Vorteile für bestimmte Fahrzeuge wie Elektroautos bieten.

«Fahrverbeote als Treiber für nachhaltige Mobilität»

Autogazette: Fahrverbote also als Treiber für nachhaltige Mobilität?

Schäperkötter: Ja, ich denke, dass Fahrverbote ein Treiber für nachhaltige Mobilität sein können.

Autogazette: Ist das Beharren auf den Status quo in der Autobranche eigentlich besonders ausgeprägt?

Schäperkötter: Das Auto ist ein Lösungsangebot. Die Menschen wollen mobil sein. Wenn die Menschen erkennen, dass es ein anderes Angebot gibt, mit dem sie besser mobil sein können, dann werden sie es nehmen.

Autogazette: Ist das nicht Wunschdenken? In Berlin sehe ich tagtäglich Menschen allein im Auto sitzen und im Stau stehen.

Schäperkötter: Die Motivation für Veränderung ist noch nicht groß genug. Am Ende des Tages entscheiden die Menschen, in welcher Form und mit welchen Mitteln sie mobil sein wollen. Die Macht, wie die Mobilität der Zukunft ausschaut und wie schnell sie kommen wird, liegt bei den Menschen und nicht bei der Autoindustrie.

Das Interview mit Heinrich Schäperkötter führte Frank Mertens

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