Zweieinhalb Mal mehr Rückrufe als Neuwagenverkäufe

Bedenkliches Qualitätsniveau in 2015

Zweieinhalb Mal mehr Rückrufe als Neuwagenverkäufe
Hersteller wollen Takata helfen. © dpa

Die Autohersteller haben auch im vergangenen Jahr viel mehr Autos in die Werkstätten beordert als verkauft. Laut einer Studie des CAM löste der Airbag-Skandal einen Dominoeffekt aus.

Die globalen Automobilhersteller haben 2015 wieder deutlich mehr Autos aufgrund von Sicherheitsmängeln zurückgerufen als verkauft. Im Referenzmarkt USA wurde nach dem Negativ-Rekord 2014 (62,7 Mio) mit mehr als 45 Millionen Autos 2015 die zweihöchste Rückrufmenge erreicht. Die Wissenschaftler des Center of Automotive Management (CAM) der FH Bergisch-Gladbach attestiert der Branche ein bedenkliches Qualitätsniveau.

USA als Referenzmarkt

Für die Studie des CAM dient traditionell die USA als Referenzmarkt. Der US-Markt ist aufgrund seiner Absatzgröße, der relativ scharfen Sicherheitsrichtlinien und vor allem des hohen Klagerisikos nach Meinung der Wissenschaftler ein aussagekräftiger Indikator für die Produktqualität der Automobilkonzerne.

Die Rückrufquote, die die Zahl der zurückgerufenen Fahrzeuge an den Neuzulassungen des Jahres ausdrückt, erreicht 2015 in den USA 262 Prozent: Damit waren mehr als zweieinhalb Mal mehr Fahrzeuge von den Rückrufen betroffen als im gleichen Zeitraum im US-Markt verkauft wurden. Die Rückrufquote lag bereits in sieben der letzten zehn Jahre über 100 Prozent - ein Großteil der betroffenen zurückgerufenen Modelle bezieht sich nach Angaben des CAM daher auf weiter zurückliegende Baujahre.

Insassenschutz am häufigsten betroffen

Mehr als 60 Prozent der sicherheitsrelevanten Produktmängel betreffen 2015 den Insassenschutz. Ein Teil der Rückrufe bezieht sich immer noch auf fehlerhafte Airbags, die vom japanischen Zulieferer Takata produziert wurden. Dieser Skandal löste allerdings laut Studie eine Art Dominoeffekt aus, der zu einer grundsätzlichen Überprüfung der Insassenschutzeinrichtungen führte, die weitere Mängel zum Vorschein brachte.

„Wenn 13 von 16 untersuchten Herstellern 2014 wegen sicherheitstechnischer Mängel mehr Fahrzeuge zurückrufen müssen als diese im gleichen Zeitraum verkauft haben, ist das insgesamt ein bedenkliches Qualitätsniveau“, so Studienleiter Stefan Bratzel. Ein Fazit: Zur kurzfristigen Gewinnmaximierung betrieben manche Hersteller eher reaktive Qualitätsmanagementsysteme mit nachsorgender Mängelbeseitigung, teilweise unter billigender Inkaufnahme von Unfällen.

Steigender Trend hält seit Jahren an

Der Trend zu steigenden Rückrufen ist ein globaler, der seit Jahren anhält. 2013 wurden nach CAM-Berechnungen in den USA 20,5 Millionen Pkw zurückgerufen, 2012 waren es noch 15,5 Millionen. Durch die zunehmende Bedeutung von Software im Fahrzeug steigen zudem in der Zukunft in erheblichem Maße die Risiken, warnen die Wissenschaftler. Nicht nur für neue Fahrzeugfunktionen, auch zur Verbesserung der Produktqualität müssten Hersteller künftig – ähnlich wie Internetkonzerne – Over-the-Air-Updates durchführen, also direkte Software-Eingriffe im Auto über eine mobile Internetverbindung und damit ohne Werkstattbesuch vornehmen. (SP-X)

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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