«Konzeptstudien sollen Extreme ausloten»

Reiner Weidemann, Leiter Aerodynamik bei Opel

«Konzeptstudien sollen Extreme ausloten»
Reiner Weidemann leitet bei Opel die Aerodynamik. © Opel

Reiner Weidemann hält bei Serienfahrzeugen einen Cw-Wert von 0,20 für machbar. «Darunter würde es dann für eine Serie doch zu exotisch aussehen», sagt der Leiter Aerodynamik bei Opel im Interview mit der Autogazette.

Die Aerodynamik spielt im Automobilbau eine zunehmend wichtigere Rolle. Sie sei integraler Bestandteil der Entwicklungsarbeit, sagt Reiner Weidemann, der bei Opel die Aerodynamik verantwortet, im Interview mit der Autogazette. Weidemann geht davon aus, dass mit konventionellen Setups «sicherlich noch Cw-Werte von 0,20 machbar» sind, «darunter würde es dann für eine Serie doch zu exotisch aussehen».

«Aerodynamik früher bei Designgestaltung involvieren»

Um letztlich das bestmögliche Ergebnis bei der Verbesserung des Cw-Wertes zu erzielen, müssten die Hersteller die dafür notwendigen Maßnahmen noch besser aufeinander abstimmen. So denke Opel beispielsweise darüber nach, «möglicherweise die Aerodynamik noch früher als bisher bei Überlegungen zur zukünftigen Design-Gestaltung» zu berücksichtigen.

«Es kommt auf Zusammenspiel aller Aspekte an»

Autogazette: Hat das Gros der Autobauer die Aerodynamik in den zurückliegenden Jahren vernachlässigt?

Reiner Weidemann: Keineswegs. Die aerodynamischen Eigenschaften eines Fahrzeugs wurden seit den 80er Jahren kontinuierlich verbessert. Hier möchte ich neben dem Cw-Wert auch das Thema Auftrieb erwähnen. Die Cw-Werte unserer Fahrzeuge werden im Durchschnitt immer besser.

Autogazette: Warum rückt die Aerodynamik gerade wieder stärker in den Focus der Autobauer, liegt das vor allem an den strengen CO2-Richtlinien zum Flottenverbrauch?

Weidemann: Das ist nicht so sehr von Änderungen der Vorgaben abhängig, denn das Fachgebiet Aerodynamik ist integraler Bestandteil jeder Entwicklungsaktivität für ein Fahrzeug. Gerade im Hinblick auf CO2-Richtlinien kommt es dabei auf das Zusammenspiel aller Aspekte in der Entwicklung an. Hier gilt es, für die Gesamtflotte über alle Plattformen hinweg ein optimales Ergebnis zu erreichen.

Autogazette: Ist es einfacher und vor allem kostengünstiger, die Effizienz eines Fahrzeuges durch aerodynamische Maßnahmen als durch Leichtbau zu verbessern?

Weidemann: Es lässt sich zumindest sagen, dass vor dem Hintergrund des neuen WLTP-Fahrzyklus, der in der EU noch vor 2020 eingeführt werden soll, das Thema Aerodynamik noch stärker als bisher beitragen kann und wird.

«Tropfenform immer gegenwärtig»

Das Heck des neuen Opel Insignia
Der Cw-Wert beim Opel Insignia hat sich verbessert Opel

Autogazette: Wird die Aerodynamik das Design der Autos in Zukunft nachhaltig verändern?

Weidemann: Design lebt in Zyklen unabhängig von aerodynamischen Anforderungen. Aber wir werden möglicherweise die Aerodynamik noch früher als bisher bei Überlegungen zur zukünftigen Design-Gestaltung involvieren.

Autogazette: Ist das Einliter-Auto VW XL1 mit einem Luftwiderstandsbeiwert von 0,189 wegweisend für zukünftige Fahrzeuggenerationen oder ist es nur eine Fingerübung für Designer und Aerodynamiker?

Weidemann: Konzeptstudien sollen im Endeffekt auch Extreme ausloten. Mit dem Einliter-Auto verfolgt man offensichtlich die Intention zu zeigen, was mit konventioneller Technik theoretisch geht. Auch wir verfolgen ähnliche Studien. Es ist aber noch ein langer Weg bis hier eine konventionelle Serienproduktion in größeren Stückzahlen so eingeführt werden kann, dass sie einen spürbaren Beitrag für die CO2-Emission einer Gesamtflotte leisten kann.

Autogazette: Hat die Tropfenform bei zukünftigen Fahrzeugen wieder eine Perspektive?

Weidemann: Die Tropfenform ist in jeweils veränderter Form immer gegenwärtig – sicherlich aber nicht mehr so offensichtlich wie etwa bei dem Rumpler-Tropfenwagen vor 90 Jahren.

«In der Realität gibt es diesen Konflikt nicht»

Autogazette: Wo liegt für Sie der größte Zielkonflikt zwischen Design und Aerodynamik?

Weidemann: Diese Fragestellung ist ein wenig akademisch. In der Realität gibt es diesen Konflikt nicht. Es ist nämlich immer die Summe der Anforderungen aller technischen Bereiche die zu einem optimalen Ergebnis verschmolzen werden müssen. Im Zuge dieser Diskussion ergeben sich die jeweiligen Anforderungen für die Aerodynamik und auch umgekehrt für die anderen Entwicklungsbereiche.

Autogazette: Stellen die steigenden Anforderungen an die Fahrzeugsicherheit wie beispielsweise Fußgängerschutz die Aerodynamik vor besondere Probleme?

Weidemann: Indirekt ist die Aerodynamik betroffen. Einige Konstruktions-Maßnahmen zur Fahrzeugsicherheit benötigen entsprechenden Platz, was etwa zu größeren Stirnflächen führt, die dann einen höheren Fahrwiderstand verursachen.

«Nur die Physik setzt die Grenzen»

Opel-Chefdesigner Ivo van Hulten erklärt den Insignia
Designer Ivo van Hulten zeigt die Windabrisskante am Insignia Opel

Autogazette: Der Rumpler-Tropfenwagen von 1921 kam auf einen Cw-Wert von 0,28. Vergleicht man das mit den Luftwiderstandsbeiwerten der heutigen Fahrzeuge, dann haben sich seither keine Quantensprünge vollzogen. Herrschte in der Aerodynamik in den zurückliegenden 92 Jahren eher Stillstand statt Fortschritt?

Weidemann: Wahrscheinlich hätte Rumpler damals sogar noch die 0,22 erreichen können. Das Beispiel zeigt aber eines: Es liegen stets unterschiedliche Ziele und Ansprüche zugrunde und seit Rumpler ist die Anzahl der zu berücksichtigenden weiteren Anforderungen stetig und immens gewachsen. Betrachtet man Aerodynamik isoliert, setzt im Endeffekt nur die Physik die Grenzen. Heute ist der Rumpler-Wert freilich durchschnittlich. Zukünftig wird kaum ein Fahrzeug noch darüber liegen.

Autogazette: Der Mercedes CLA ist derzeit mit einem Cw-Wert von 0,22 der Aerodynamik-Champion unter den Serienfahrzeugen. Welche Reduktion ist zukünftig noch vorstellbar?

Weidemann: Mit konventionellen Setups sind sicherlich noch Cw-Werte von 0,20 machbar, darunter würde es dann für eine Serie doch zu exotisch aussehen. Zumindest kann man das vor dem Hintergrund heutiger Akzeptanz der Kunden sagen. Aber der Design-Geschmack kann sich bekanntlich ändern. Darauf werden wir als Aerodynamiker vorbereitet sein.

Die Fragen an Reiner Weidemann stellten Thomas Flehmer und Frank Mertens

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