Der Roboter als Kollege des Werkers

Industrie 4.0 bei Daimler

Der Roboter als Kollege des Werkers
Der Roboter beim Einbau einer Batterie in die Mercedes E-Klasse. © Daimler

Ein Wort, zwei Zahlen: Industrie 4.0. Es ist mehr als ein Schlagwort. Damit geht ein Transformationsprozess einher, der den Automobilbau umwälzen wird. Was das bedeutet, hat Daimler in seiner Technologiefabrik in Sindelfingen gezeigt.

Von Frank Mertens

Es ist momentan eines der Schlagworte schlechthin: Industrie 4.0. Doch es weit mehr als nur eine neue Modeerscheinung. Damit geht ein Transformationsprozess in der Industrie einher, den es in dieser Ausprägung seit der industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts nicht gegeben hat.

Entsprechend sprach Markus Schäfer, bei Daimler Bereichsvorstand Produktion, am Freitag bei einem "TecDay Industrie 4.0" dann auch davon, dass die Industrie "vor einer revolutionären Umwälzung" stehe. So würden mittlerweile alle großen Trends in der Automobilindustrie durch die "Digitalisierung getrieben oder treiben sie selbst voran".

Körperliche Entlastung durch Roboter

Was das bedeutet, präsentierte der Autobauer in seiner Technologiefabrik in Sindelfingen. Hier konnte man sehen, was die Digitalisierung für einen Autompbilhersteller bedeutet - und damit letztlich für die Mitarbeiter. Sie sollen in dieser digitalen Arbeitswelt weiter ihren Platz haben - einen, der auch höhere berufliche Anforderungen an sie stellt, sie aber auch körperlich entlasten soll. Dort, wo die Arbeit zu schwierig wird, soll der Roboter den Job übernehmen, oder ihn zumindest im Zusammenspiel mit dem Menschen erfüllen. Der Roboter als Kollege des Werkers, wie bei Daimler die Mitarbeiter in der Produktion heißen.

"Wenn sich Mensch, Maschine und industrielle Prozesse intelligent vernetzen, können schneller individuelle Produkte in höherer Qualität entstehen", ist Schäfer überzeugt. Sein Ziel ist dann auch klar umrissen: er möchte hin zu einer intelligenten Fabrik ("Smart Factory"). Sie zeichne sich nicht nur durch eine hohe Wandlungsfähigkeit aus, sondern auch durch Ressourceneffizienz und ihre Ergonomie, so der Manager.

Digitalisierung mit erstem Federstrich

Roboter Industrie 4.0
Der Roboter soll den Menschen entlasten Daimler

Diese Digitalisierung fängt bereits dort an, wo die Designer ihre Skizzen präsentieren. So schön die Ideen der kreativen Köpfe aus dem Mercedes-Design auch sein mögen: Vor der Produktionsfreigabe durch den Vorstand erfolgt die Kontrolle eines neuen Autos in der virtuellen Welt. Mit einem digitalen Prototypen wird überprüft, ob es überhaupt mit den Produktionsbedigungen in den weltweit 25 Werken des Unternehmens im Einklang steht: Passt es auf die Produktionsstraße? Passen alle Bauteile? Wie lassen sich diese Bauteile am effizientesten verbauen? Wie schaut es mit der Ergonomie aus?



Fragen über Fragen – die jedoch in der virtuellen Welt schneller als früher beantwortet werden können. Wie schnell, dass hatte Mercedes zuletzt im September auf der Internationalen Automobilausstellung mit seinem Showcar IAA gezeigt. Dank der Digitalisierung brauchte man von der Idee bis zur Umsetzung dafür weniger als zehn Monate. “Früher haben wir für ein Showcar bis zu anderthalb Jahre gebraucht”, ließ Daimler-Chef Dieter Zetsche im Vormonat wissen.

Erprobung mit Avatar

Diese digitale Welt zieht sich durch die gesamte Wertschöpfungskette des Automobilbaus: Sie reicht vom ersten Federstrich bis hin zum Aftersales. Davon profitieren dann auch die Mitarbeiter am Band. So wird beispielsweise durch die Erprobung mit einem Avatar geprüft, wie sich Bauteile in einem Auto am besten und ergnomischten im Auto verbauen lassen.

Roboter Industrie 4.0
Virtuelle Montage einer Regenrinne an einem GLE Daimler

Durch am Körper angebrachte Sensoren werden die Bewegungen des Mitarbeiters erfasst und auf ein digitales Fahrzeugmodell projiziert. So kann beispielsweise bereits vor Produktionsbeginn geschaut werden, wie der Mitarbeiter am Band das entsprechende Bauteil montieren kann. Kann er es alleine? Wird Überkopfarbeit vermieden? Braucht er die Hilfe eines Kollegen? Eines Roboters? Oder ist es ein Job, den nur die Maschine erfüllen kann? Diese Prüfung in der virtuellen Welt erfolgt zwei Jahre vor Produktionsanlauf.

Veränderte Anforderungen

Doch was bedeutet diese schöne neue digitale Welt für den Arbeiter am Band? Muss er um seinen Job fürchten? Wird er den neuen Anforderungen an den Job überhaupt gerecht? Dass die zunehmende Digitalisierung zu einer Reduzierung der Arbeitsplätze führe, wurde von Schäfer verneint. Ganz im Gegenteil. Dem Mitarbeiter komme eine noch wichtigere Rolle im Produktionsprozess zu - er soll zum Chef des Roboters werden. Heute, so Schäfer, würde ein Montageschritt in der Regel von Robotern oder von Menschen erledigt. Doch diese Arbeitsteilung wird es bei der Industrie 4.0 so nicht mehr geben. Beide Seiten sollen in Zukunft kooperieren - und das im Idealfall unter der Regie des Menschen.

Roboter bei Mercedes
Ein Roboter befestigt die Sicherheitsgurte Daimler

Hört sich gut an, doch bei allen Vorteilen der Digitalisierung gibt es beim Daimler-Werker durchaus auch Vorbehalte. In den Gesprächen, die Betriebsratschef Michael Brecht mit seinen Kollegen zum Thema Industrie 4.0 führe, gebe es durchaus auch Befürchtungen. “Viele fragen: Verliere ich jetzt meinen Arbeitsplatz? Wird die Arbeit weniger wert? Brauche ich noch die gleiche Qualifikation?” Vielen der Kollegen sei schlicht noch nicht ersichtlich, in welche Richtung Industrie 4.0 gehe, sagte Brecht. “Doch ich sage den Kollegen, dass sie das, was wir haben und das, was noch kommen wird, als Chance begreifen sollen.”

Mit Blick auf mögliche negative Beschäftigungeffekte stellte der Daimler-Betriebsratschef fest, dass man sich bereits mitten in der digitalen Revolution befinde. “Doch wir haben heute bereits mehr Menschen in unseren Fabriken beschäftigt als noch vor Jahren, auch in Deutschland.” Etwaige Rationalisierungseffekte, die auch auf die neuen Technologien zurückzuführen sind, seien unter anderem durch Wachstum ausgeglichen worden. Entsprechend müsse man auch für kommenden Schritte von Industrie 4.0 auf weiteres Wachstum setzen, um so Rationalisierungseffekte ausgleichen zu können. Ohne Frage, so Brecht, müsse man sich aber auch Gedanken über entsprechende Betriebsvereinbarungen zur Arbeitsplatzsicherung machen.

Berufsbilder ändern sich

Markus Schäfer
Bereichsvorstand Markus Schäfer AG/Mertens

Industrie 4.0 wird auch die Berufsbilder verändern. Dort, wo früher vielleicht ein Kfz-Schlosser stand, wird in Zukunft ein Mechatroniker die Aufgaben übernehmen. “Es werden neue Typen der Industriearbeit entstehen”, so Brecht. Dennoch müsse auch in Zukunft weiter der Mensch im Mittelpunkt stehen, nicht die Maschine. “Wir müssen die Technik an den Menschen anpassen.” Wie der Gewerkschafter sagte, können die neuen Techniken helfen, belastende und monotone Arbeiten zu minimieren oder gar abzuschaffen.

Für Brecht steht fest, dass durch die Digitalisierung nicht nur neue Geschäftsfelder entstehen werden, sondern auch neue Anforderungen an die Mitarbeiter. Hier, so sagte der Daimler-Betriebsratschef, müsse man entsprechend auf Aus- und Weiterbildung setzen. “Wir brauchen mehr Entwicklungs- und Qualifizierungselemente als heute. Wir müssen die Frage der Erst- und Weiterbildung stärker in den Fokus stellen.” Mittlerweile sei man in vielen Dingen bereits so schnell unterwegs, “dass wir mit der Bildungsarbeit nicht hinterher kommen”. Die gesamte Organisation müsse bei der Dynamik von Industrie 4.0 mitgenommen werden, mahnte der Arbeitnehmervertreter.

Profitieren wird davon auch der Kunde, der perspektivisch auch noch während der Produktion seines Fahrzeuges Änderungswünsche äußern kann. Dass die Autos durch die Steigerung der Effizienz in der Produktion jedoch günstiger werden, diese Hoffnung braucht sich der Kunde nicht zu machen. Bereits heute könne man seine Autos nur deshalb so preisstabil und preisattraktiv anbieten, weil man auf die neuen Produktionsbedingungen von Industrie 4.0 setze, sagte Schäfer.

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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