Aerodynamik: Wenn die Luft auf der Bremse steht

Strömungstechniker an der TU Berlin

Aerodynamik: Wenn die Luft auf der Bremse steht
Hajo Schmidt (l.) und Dirk Wieser erforschen das DrivAer-Modell im Windkanal © TU Berlin

Auch wenn Autobauer viele aerodynamische Fragen klären, ist der Luftwiderstand am Fahrzeug noch nicht ausreichend erforscht. An der TU Berlin untersucht das Projekt „DrivAer“, ob man Wirbel auch zerplatzen lassen kann.

Von Martin Woldt

Nicht nur in den Entwicklungsabteilungen der Hersteller beschäftigt man sich mit der Aerodynamik am Fahrzeug. Auch in der Grundlagenforschung der Universitäten ist das Thema nach wie vor ein Thema. "DrivAer" beispielsweise ist Teil eines Projekts am Institut für Strömungsmechanik der TU Berlin, das den Nachlauf, also die Verwirbelungen am Heck näher untersucht. „Im Nachlauf baut sich ein wesentlicher Teil des Luftwiderstandes auf, der das Fahrzeug bremst“, erklärt Dirk Wieser, Doktorand am Institut.

An den Fahrzeugkanten würden sich unterschiedliche Längs- und Querwirbel bilden, die im Nachlauf am Heck eine Gemengelage bilden, eine sehr turbulente Zone, die bis zu 80 Prozent des Luftwiderstandes am Fahrzeug verursachen kann. Deshalb gilt fast immer die aerodynamische Faustregel: Je kleiner der Nachlauf, je schwächer die Verwirbelungen, desto geringer ist meist auch der Luftwiderstand.

"DrivAer" - Praxisnahes Modell

Anders als im Herstellerlabor arbeiten die Wissenschaftler an der TU nicht an einem realen Fahrzeug. Sie leiten ihre Überlegungen von einem verkleinerten Modell ab. Doch handelt es sich um keinen beliebigen Nachbau. Die äußere Geometrie stammt aus den Entwicklungslabors von Audi und BMW sowie der TU München. Sie wurde für die Forschung freigegeben. Im Unterschied zum bisherigen in der Grundlagenforschung eingesetzten Standard-Modell, dem sogenannten Ahmed-Körper, besitzt die DrivAer-Nachbildung wesentlich mehr strömungsrelevante Fahrzeugdetails.

Es gibt eine Front mit angedeutetem Kühlergrill, imitierte Scheinwerfer, Radhäuser oder Seitenspiegel. Die 1,20 Meter lange und 45 Zentimeter hohe Designmixtur hat kein reales Vorbild in irgendeiner Baureihe. „Dennoch erwarten wir bei den gegenwärtig im Windkanal stattfinden Messungen realistischere Ergebnisse“, sagt Wieser. Im Windkanal wird das DrivAer-Modell einem starken Luftstrom ausgesetzt, der mit 150 km/h auf seine Oberfläche trifft. An über 200 Positionen zeichnen Sensoren während dessen die Druckverhältnisse am Heck auf.

Unterdruck am Heck

Turbulente Zone am Heck TU Berlin

„Die Automobilhersteller verbessern ihre Modelle zunächst mittels Computersimulationen und später im Windkanal. Diese Optimierung der Oberflächengeometrie erfolgt dabei meist auf Erfahrungswerten“, erklärt Hanns-Jochim Schmidt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut einen weiteren methodischen Unterschied. Sei der erwünschte cW-Wert erreicht, wäre die aerodynamische Entwicklungsphase alles in allem abgeschlossen. „Wir dagegen interessieren uns auch für Art und Verlauf der dominanten Wirbelstrukturen“, sagt Schmidt. Daraus ließen sich Erkenntnisse über eine insgesamt harmonischere Fahrzeugumströmung gewinnen. Könne der Luftstrom länger der Fahrzeugoberfläche folgen, steige der Druck am Heck. Höherer Druck hinten verringere schließlich den Fahrwiderstand insgesamt.

Darum geht es grundsätzlich im „DrivAer-Projekt“. Ein besseres physikalisches Verständnis der bremsenden Unterdruck erzeugenden Luftverwirbelungen soll im nächsten Schritt über die Art der Gegenmaßnahmen entscheiden. „Es gibt aktive und passive Methoden“, sagt Dirk Wieser. Passiv sei alles, was die Strömung gezielt durch etwaige Anbauteile wie Spoiler beeinflusst, mitunter aber nicht zu den Vorstellungen der Designer passt.

Aktive und passive Methoden

Aerodynamik-Forschung bei Mercedes.
Computersimulation von Daimler Daimler

Aktive Methoden hingegen ließen sich an- und ausschalten. „Es gibt viele solcher aktiven Methoden, zum Beispiel indem man zeitweilig Luft aus präzise positionierten Schlitzen pulst, um etwa an den C-Säulen entstehende Wirbeltüten zu zerstören“, erklärt Wieser. Zum Abschluss des Projektes will die Forschungsgruppe genaue Aussagen treffen. Wo entstehen welche Wirbel? Welche aerodynamischen Eigenschaften des Modells sind dafür verantwortlich? Welche Möglichkeiten für aktive Eingriffe in den Strömungsverlauf ergeben sich daraus?

Die große Hoffnung ist, dass sich mit dem realistischeren DrivAer-Modell praxisnahe Ableitungen treffen lassen. „Ein Hersteller könnte damit abschätzen, ob sich der Aufwand für eine aktive Strömungskontrolle lohnt“, formuliert Hanns-Jochim Schmidt das Ziel. Das wäre dann der Fall, wenn unter dem Strich weniger Energie (Verbrauch) für gleiche oder gar bessere Fahrleistungen notwendig wäre. Aktive Strömungskontrolle käme auch infrage, wenn der Hersteller nach Wegen suche aerodynamische Nachteile des Designs zu kompensieren, glaubt Schmidt.

Modell aus dem Drucker

Solche Gründe wären es schließlich, warum verschiedene Hersteller die Arbeiten an der TU Berlin aufmerksam verfolgen. Auch mit französischen Forschern stünde man in Kontakt. Wieser und Schmidt sind überzeugt, dass die Potenziale der Aerodynamik am Fahrzeug nicht erschöpft sind. Mit Blick auf künftige Elektrofahrzeuge würde die Bedeutung ihres Forschungsgebietes sogar wachsen.

Zu den Besonderheiten am Rande des Berliner Projekts gehört die Entstehung des Modells. Seine vordefinierten Parameter nehmen durch einen 3D-Drucker Gestalt an. Die am Computer entwickelte Geometrie gilt als eines der größten Druckerzeugnisse der TU Berlin. „Das machen wir hauptsächlich aus Kostengründen“, sagt Hanns-Jochim Schmidt. Mit einer computergesteuerten Fräse sei die Fertigung deutlich teurer.

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