VW Golf Blue TDI: Lieblingsdiesel der Deutschen

Sparsamer Klassiker

VW Golf Blue TDI: Lieblingsdiesel der Deutschen
Der Golf sorgte für VW in den USA für einen Stopp der Talfahrt. © VW

Man kann Witze machen über manipulierte Auszählungen oder andere Testergebnisse. Das Kaufverhalten richtet sich in diesen Breitenkreisen weiterhin in Richtung Klassiker – und auch die sparsame Variante VW Golf wird Käuferschichten finden.

Mit dem Titel "Lieblingsauto der Deutschen" lockt man derzeit keinen Käufer in die Ausstellungsräume eines Autohändlers. Zu präsent ist noch der Skandal, bei dem der Gewinn dieses Titels jahrelang manipuliert wurde. Dabei genügt ein Blick in die Zulassungsstatistik, um festzustellen, wer seit vielen Jahren Lieblingsauto der Deutschen ist – und das ganz unaufgeregt: Für den VW Golf sind jährlich zehntausende Autokäufer bereit, viel Geld auf den Tisch zu legen, das wohl stärkste Argument für eine Präferenz. Aber was finden die bloß alle an ihm? Annäherung an einen Testwagen.

VW Golf mit bewährter Schrägheck-Silhouette

Von außen: Es ist keine dankbare Aufgabe, wenn man die Kleidung der älteren Geschwister auftragen muss, das weiß auch der Golf. Sein Blechkleid darf sich von Generation zu Generation nicht zu sehr verändern, muss aber trotzdem erkennbar anders sein. Der Golf VII, der seit 2012 auf dem Markt ist, hat natürlich weiterhin die bewährte Schrägheck-Silhouette, gibt sich aber etwas markanter als sein Vorgänger, mit schmaleren Scheinwerfern und Rückleuchten und an verschiedenen Stellen akzentuierter Karosserie. Wem es noch nicht aufgefallen ist: Auch der Tankdeckel ist neu. Modern, aber zeitlos – auf diesen Stil können sich wohl die meisten Menschen einigen.

Von innen: Hier ist die aktuelle Generation auf einem Top-Niveau. Unser Testwagen kam in der höchsten Ausstattung Highline plus Extras – Dekoreinlagen in Klavierlack-Optik, Ambientebeleuchtung (160 Euro Aufpreis), Leder an Lenkrad- und Schaltknauf. Die Perfektionstiefe ist beeindruckend: So gibt es in der Mittelkonsole ein Kläppchen, hinter dem sich USB-Anschluss und ein Ablagefach verbergen. Tippt man es an, erhebt es sich würdevoll und verschwindet in der Mittelkonsole. Das können manche Fahrzeuge höherer Klassen nicht so elegant. Aber auch ohne aufpreispflichtiges Chichi sind exakte Verarbeitung und einsichtig positionierte Knöpfe erwähnenswert gut gelungen. Die Deutschen mögen es ordentlich und genau – kein Wunder, dass ihnen das Interieur gefällt. Eines, da sind wir uns sicher, stört aber auch die Golf-Käufer, zumindest die, die eine Rückfahrkamera in der Optionsliste angekreuzt haben: Wenn diese nämlich ausfährt – sie sitzt unter dem VW-Logo auf dem Kofferraum – macht sie dabei ein Geräusch, das weniger nach Qualität als nach quälen klingt.

VW Golf für verschiedene Fahrertypen

Bei schneller Fahrt: Der in unserem Testwagen montierte 110 kW/150 PS starke Vierzylinder-Diesel passt gut zu dem Kompakten. Er kommt schnell und vergleichsweise leise auf Touren, ist zackig genug für den Stadtverkehr, hat aber auch Langstreckenqualitäten. Schnell gefahrene Kurven nimmt der Golf souverän und außerordentlich neutral. Symptomatisch für den Wolfsburger, sorgt er doch auch in anderen Fällen dafür, dass sein Fahrer möglichst unkompliziert und angenehm ans Ziel kommt. Besonders hervorzuheben sei hier der gut arbeitende Spurhalte-Assistent (510 Euro Aufpreis), der per Lenkeingriff korrigiert, wenn das Auto ohne zu blinken die Spur verlässt.

Individuell einstellen kann man den Golf entweder über das Fahrprofil (Sport, Normal, Eco, Individuell, plus 121 Euro), das dann zum Beispiel Motor oder Lenkung anpasst. Noch individueller setzt das adaptive Fahrwerk die Fahrerwünsche um (plus 1000 Euro). Ob Hausfrau oder Kurvenräuber - mit dem Golf können ganz verschiedene Fahrertypen glücklich werden.

VW Golf Blue TDI erfüllt Euro 6

Der VW Golf Blue TDI erfüllt die Euro 6-Norm.
Typisches VW-Cockpit immer weiter aufgewertet VW

Bei langsamer Fahrt: Was während der Fahrt angenehm ist, stört allerdings bei langsamerem Tempo, beziehungsweise im Stillstand. In seiner Perfektion schießt der Wolfsburger in bestimmten Situationen über sein Ziel hinaus. Dann zum Beispiel, wenn im Stop-and-Go-Verkehr ein anderer Verkehrsteilnehmer dem Kompakten nahe kommt: Radio und Navibildschirm aus, Piepston und Rundum-Näherungsansicht an. Wäre der Park-Pilot eine Frau, würde man ihn wohl als Helikopter-Mutti bezeichnen. Versöhnt ist man aber dann wieder, wenn beim Aussteigen keiner schreit: "Pass auf mit der Tür!", sondern der Golf sie stufenlos an exakt der Stelle hält, bis wohin sie geöffnet wurde.

An der Tankstelle: Testobjekt ist ein so genannter "BlueTDI", das Kürzel steht für das VW-Konzept, Dieselmotoren per Abgasnachbehandlung sauberer zu machen. Der Blue-TDI ist die einzige Dieselmotorisierung unter den Golf-Aggregaten, die heute schon die EU-Abgasnorm Euro 6 erfüllt. Die Regelung senkt die Grenze für Stickoxid-Ausstoß und Partikelemissionen und gilt ab September, aber nur für alle neuen Typenzulassungen.

VW Golf Blue TDI kein richtiger Sparfuchs

Auch der VW Golf brachte nicht den erhofften Umsatz.
Gut 6,5 Liter benötigte der VW Golf Blue TDI VW

Gleichzeitig hat er Spritspar-Maßnahmen an Bord wie Start-Stopp-System, Bremsenergie-Rückgewinnung oder abgesenkte Leerlauf-Drehzahl. Zu viele Wunder sollte man von den Maßnahmen allerdings nicht erwarten, auch wenn VW 4,1 Liter als Normverbrauch angibt. Im Schnitt lag der Testverbrauch bei fast sechseinhalb Litern. Hat man die Fahrprofil-Auswahl mitbestellt, den Eco-Modus ausgewählt und fährt vorsichtig, kann man den Durst auf unter sechs Liter drücken. Ein richtiger Sparfuchs ist zumindest dieser Motor nicht – dafür macht er aber auch Spaß.

Auf dem Stimmzettel: Durchaus verständlich, warum sich jedes Jahr so viele Neuwagenkäufer für den Kompakten aus Wolfsburg entscheiden. Kein anderes Fahrzeug dieser Klasse ist so zeitlos, klassenlos und wandelbar. Er taugt als kleinster gemeinsamer Nenner in der Familie, mit bis zu 1.270 Litern Kofferraum als Auto sowohl für den Urlaub als auch den Alltag, kann je nach Motorisierung sowohl sparsam als auch schnell, mit dem Design fällt man nicht negativ auf und ein bisschen kann man sich wie ein Oberklasse-Fahrer fühlen, eben wenn man aufs Kläppchen drückt. Das setzt allerdings ein wohlgefülltes Bankkonto voraus, denn die Optionsliste ist lang und die Basismodelle sind ziemlich nackt. Aber für Perfektion greifen die Deutschen ja gerne mal etwas tiefer in die Tasche. (SP-X)

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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