Angriff auf die Weißwurst

Moto Guzzi Stelvio 1200

Mit der Stelvio 1200 möchte Moto Guzzi dem Bestseller BMW R 1200 GS allzu gerne Konkurrenz machen. Wer italienisches Design mag, wird sich am neuen, eigenständigen und leistungsstarken V2-Motor erfreuen.

Von Thilo Kozik

Mit flüchtigem Blick betrachtet könnte man die neue Moto Guzzi Stelvio für einen Ableger der BMW R 1200 GS halten - die hochbeinige Italienerin hat sich einiges vom verlockenden Konzept der Bajuwarin abgeschaut. Selbst bei der Ausstattung - einer Domäne der GS - braucht sie sich nicht zu verstecken: Multifunktionsdisplay im Cockpit, höhenverstellbares Windschild, heizbare Lenkergriffe, verstellbarer Brems- und Kupplungshebel, in den Rahmen integrierte Kofferhalter, variable Sitzhöhe, Speichenräder, Einarmschwinge, Kardanantrieb und natürlich die aktuellste Version des neuen V2-Vierventilmotors, der bereits in der Griso 8V seinen Dienst verrichtet.

Stolze Techniker

Auf ihren Motor sind die Guzzi-Techniker besonders stolz, schließlich habe man ihn in der Rekordzeit von eineinhalb Jahren entwickelt und zum Einsatz gebracht. Er besitzt zwar immer noch das markentypische Layout eines luft-/ölgekühlten und längs eingebauten 90-Grad-V2, dank größerer Bohrung auf 95 mm sowie längerem Hub von 81,2 Millimetern beträgt sein Hubraum nun 1151 Kubikzentimeter.

Der Motor der Moto Guzzi Stelvio 1200 leistet 105 PS Foto: Moto Guzzi

Mehr als 75 Prozent der Bauteile wurden gegenüber dem alten Zweiventil-Motor ausgetauscht. Wesentlicher Unterschied ist der neue Zylinderkopf, in dem jetzt eine Nockenwelle, per Zahnkette angetrieben, vier Ventile steuert. Das Resultat sind eine kompaktere Bauweise und eine Leistungssteigerung bei der Stelvio auf 105 PS bei 7000/min sowie ein Drehmoment von 108 Nm bei 6500/min. Das sind satte 20 PS mehr als beim alten Guzzi-Zweiventiler.

Wahres Kraftpaket

Das Cockpit der Moto Guzzi Stelvio 1200 Foto: Moto Guzzi

Auch deshalb ist der V2 ist ein wahres Kraftpaket. Ein leichter Druck auf den Starterknopf, der ungewöhnlich über einen Wippmechanismus funktioniert und gleichzeitig als Kill-Schalter dient, schon schüttelt sich die ganze Maschine in bekannter Guzzi-Manier. Im Leerlauf wackeln die Lenkerenden, als wollten sie Boogie tanzen. Die Vibrationen lassen sofort nach, sobald der Gasgriff nur ein paar Millimeter gedreht wird. Weich flutschen die einzelnen Gänge des Sechs-Gang-Getriebes ein und auf den formschönen Speichenrädern rollt die Stelvio gelassen ihrem Ziel entgegen. Bis 4500/min kann man die Leistungsentfaltung als unspektakulär bezeichnen, danach explodiert sie förmlich.

Als hätte man den Turbo eingeschaltet, schießt sie mit Macht vorwärts. Bei 8000/min signalisieren Warnlämpchen, dass der Rote Bereich längst überschritten ist. Dieser Bruch im Drehzahlband ist nicht unbedingt jedermanns Sache, zumal gerade im unteren und mittleren Drehzahlbereich die entscheidenden Fahrmanöver wie Überholen und das Beschleunigen aus der Kurve stattfinden. Diese Besonderheit ist den Technikern bekannt, durch verschiedene Mapping-Einstellungen hat man versucht, sie etwas zu neutralisieren.

Für groß und klein

Sieht schick aus - der Auspuff an der Moto Guzzi Stelvio 1200 Foto: Moto Guzzi

Wenn man diese Motor-Charakteristik unter «persönliches Empfinden» ablegen kann, so gibt es in Sachen Ergonomie kaum Meinungsverschiedenheiten. Die Sitzposition auf der zweigeteilten Bank ist entspannt, die Sitzhöhe lässt sich auf 820 bzw. 840 mm einstellen. Auf einer BMW R 1200 GS hat man die Wahl zwischen 810 und 890 mm. Der Abstand zum ein Meter breiten Lenker passt großen wie kleinen Menschen, auch die Fußrasten sind gut erreichbar und der Kniewinkel nicht zu steil. Dass größere Fahrer mit ihren Knien an die herausragenden Zylinder stoßen, mag man als störend empfinden, fällt während des Fahrens aber kaum ins Gewicht.

Spürbar ist dagegen der Unterschied, in welcher Stellung sich das mechanisch verstellbare Windschild befindet. Subjektiv waren die Windgeräusche um den Helm in der höheren Position deutlich geringer. Warum allerdings die beheizbaren Lenkergriffe über den Schalter des Multifunktionsdisplays gesteuert werden und nicht über einen einfachen Kippschalter wie bei der BMW GS, mag nur durch die digitale Verspieltheit der Italiener erklärbar sein.

Erstaunliche Wendigkeit

Die Seitenansicht der Moto Guzzi Stelvio 1200 Foto: Moto Guzzi

Wann der Schalter gedrückt, geschoben oder gehalten werden muss, um die richtige Funktion anzuzeigen, wird man erst nach eingehendem Studium der Betriebsanleitung verstehen. Eine nützliche und in die Digitaltechnik einfach zu integrierende Ganganzeige fehlt dagegen.

Wenig auszusetzen gibt es beim Fahrwerk. Bauartbedingt liegt der Schwerpunkt der Stelvio zwar recht hoch, was das Handling erschweren könnte, doch die fahrfertig immerhin 265 Kilogramm (BMW GS: 242 kg) wiegende Enduro überrascht mit einer erstaunlichen Wendigkeit und zielgenauen Lenkbarkeit.

Die 50er Upside-down-Gabel vorne und das 155 mm Federweg bietende Zentralfederbein sind voll in Druck- und Zugstufe einstellbar und zeigen sich sowohl auf Asphalt wie auch im Gelände den Herausforderungen grober Fahrbahndecken gewachsen. Das gilt auch für die Bremsanlage mit zwei schwimmend gelagerten Bremsscheiben und Vierkolben-Radialbremszangen vorne und einer Edelstahl-Bremsscheibe mit Zwei-Kolben-Zange hinten. Allerdings bedarf es doch einer kräftigen Hand, um den Bremshebel punktgenau zu bedienen. Ein ABS ist momentan noch nicht verfügbar, es soll optional für etwa 700 Euro Aufpreis ab Juni dieses Jahres angeboten werden. Aufpreispflichtig sind auch das Koffersystem sowie der auf die Stelvio passende Tankrucksack.

Preislich auf einem Niveau

Ausritt mit Partner - Unterwegs auf der Moto Guzzi Stelvio 1200 Foto: Moto Guzzi

Dass sich die Moto Guzzi mit einem Grundpreis von 12.750 Euro (ohne Koffer, ABS usw.) dazu noch auf dem gleichen Niveau wie der bayerische Mitbewerber (12.500 Euro) bewegt, vervollkommnet das Bild der zu Tage getretenen Orientierung am Vorbild. Individualisten dürfte diese Art der Orientierung dagegen ausgesprochen freuen.

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