Kawasaki ZX-6R: Voll auf Angriff

Kawasaki korrigiert mit der neuen ZX-6R seine bisherige Supersport-Doppelstrategie und setzt voll auf die Rennstrecke. Die Ninja sieht nicht nur gut aus, sondern bietet vor allem enorme Leistung.

Von Thilo Kozik

Die Zeit der zwei Supersport-Varianten bei den Kawasaki ist vorbei. Seit der Saison 2007 führt nur noch ein Weg zum (Supersport-)Ziel: Eine richtig renntaugliche ZX-6R löst die in den letzten Jahren propagierte Doppelspitze aus reglementgemäßer 600er RR und alltagsfreundlicher ZX 636 ab - der Entwicklungsaufwand für zwei Modelle in annähernd der gleichen Klasse wird einfach zu hoch gewesen sein.

Dabei wirkt die neue ZX-6R aggressiv und grün wie schon lange nicht mehr; mit einem verfeinerten Ram-Air-Schlund mittig in der Front und einem filigranen Underseat-Auspuff im Heck - der voluminöse Vorschalldämpfer wanderte unter den Motor - sowie einem voll renntauglichen Ambiente dazwischen.

Obenliegende Nockenwellen

Trotz kräftig umgekrempelter Optik liegt das Hauptaugenmerk natürlich auf der neuen Kraftquelle, der ersten echten ZX-Neuentwicklung der letzten zehn Jahre. Der flüssigkeitsgekühlte Vierzylinder im klassischen japanischen Layout mit zwei obenliegenden Nockenwellen, sechzehn Ventilen und Tassenstößeln weist nun das gleiche Hub-/Bohrungsverhältnis auf wie die letztjährige RR und einen Hubraum von 599 ccm, ganz wie die restliche Japan-Gang. Damit entspricht diese ZX-6R nun voll und ganz den geltenden Supersport-Regularien.

Verglichen mit dem 636-Triebling fallen die Baumaße jedoch viel kompakter aus, der Motorblock ist in Länge und Breite jeweils um 40 mm geschrumpft. Geringere Fertigungstoleranzen minimieren die innere Reibung des Sechzehnventilers, polierte Kanäle, größere Ventile und neue Nockenwellen erhöhen die Leistungsausbeute zusätzlich. Rennstrecken-Features wie eine Rutschkupplung und ein Kassettengetriebe runden den Auftritt ab. Zusammen mit der überarbeiteten Doppeldrosselklappen-Einspritzanlage und einem völlig neuen Auspuffsystem bringt es der Treibsatz auf 125 PS bei 14000/min - das sind fünf PS mehr als in der RR-Variante, aber auch fünf PS weniger als bei der 636.

Umgestaltetes Cockpit

Das Cockpit der Kawasaki Ninja ZX-6R Foto: Werk

Race-Performance stand auch beim Fahrwerk im Fokus. Wobei gerade die Kurvenqualitäten mit hohem Eingangsspeed und maximalem Schräglagentempo einem kleinen GP-Motorrad ähneln sollten. Dafür wurden Rahmen und Schwinge nicht nur am Computer intensiv überarbeitet, vielmehr engagierten die Entwicklungsingenieure für die Abstimmung und Komponentenwahl niemand anderen als den ehemaligen GP-Racer Tamomi Manako. Und dennoch: Die ersten Meter auf der völlig neuen Ninja fühlen sich kaum anders an als auf dem letztjährigen Modell.

Okay, das Cockpit wurde umgestaltet mit einem gut ablesbaren Analog-Drehzahlmesser (die Zeit der schmalen randlichen Balken ist passé) samt großer Ganganzeige, doch die versammelte Rennstreckenposition, der Blick durch die kleine Scheibe (bei Großgewachsenen schneidet ihr oberer Rand immer noch die Instrumente) und der grummelige Sound tief aus der Ansaugkehle wecken bekannte Erinnerungen.

Viel Drehzahl nötig

Gemacht für die Rennstrecke: Die Kawasaki Ninja ZX-6R Foto: Werk

Wie auch die Motorcharakteristik: Ungeachtet der Überarbeitung findet der Reihenvierer sein Glück erst oben herum. Er lässt sich zwar ab 3000 Touren sauber ans Gas nehmen und bei 9000 wirkt das Gebotene sehr respektabel für ein Mittelgewicht. Doch wer wirklich das Beste herausholen möchte, braucht Drehzahl - idealerweise stets über 12.000 Umdrehungen in der Minute. Dann geht die Luzie richtig ab bis zirka 275 km/h Topspeed, was in etwa dem hubraumstärkeren Vorjahresmodell entspricht.

Hat man das gelernt, brennt die ZX6-R ein kleines Feuerwerk ab. Zumal die Einspritzanlage sämtliche Gasbefehle sauber und spontan auch ohne die Drive-by-wire-Technologie einer Yamaha YZF-R6 umsetzt und sich das Drehzahlniveau dank des flutschig schaltbaren neuen Kassettengetriebes immer im optimalen Bereich halten lässt.

Der Auspuff verläuft bei der Kawasaki ZX-6R unter der Sitzbank Foto: Werk

Notfalls stehen noch über dem Leistungszenit von 14.000 Touren reichliche Drehzahlreserven bereit, mit denen fiese Streckenabschnitte auch mal ohne Hochschalten absolviert werden können. Diese spitze Leistungscharakteristik macht aus der Kawa das ideale Rennstreckenheizgerät, wie vorgegeben, doch abseits davon wäre mehr Druck in der Mitte schon hilfreich. Für den normalen Straßenverkehr fällt die Fahrerhaltung ebenfalls zu extrem aus - wie auch schon letztes Jahr.

Andersherum hilft diese Positionierung auf der Rennstrecke schon weiter. Denn gerade in Schräglage sorgt die frontorientierte Haltung für viel Gewicht auf dem Vorderrad und ein gutes Feedback, was in der Tat subjektiv höheren Kurvenspeed ermöglicht. Ob es am neuen, steiferen Rahmen oder den zentralisierten Massen - neben der optimierten Auspufflage wanderten Ölkühler und -filter hinter die Zylinderbank - liegt, sei dahingestellt.

Sicheres Gefühl

Die Sitzbank der Kawasaki ZX-6R Foto: Werk

Fakt ist, dass die ZX-6R enorm sicher und Vertrauen erweckend in Schräglage um die Rennstrecke pfeilt. Für echten Wettbewerbseinsatz sollte jedoch ein Lenkungsdämpfer montiert werden, auch wenn das Schütteln des Ninja-Haupts nach kleinen Kuppen schnell abebbt.

In den Bremszonen zeigen die radial angeschlagenen Vierkolben-Festsättel, was eine mächtige Bremsleistung ist. Hochwirksam und gleichzeitig perfekt dosierbar tragen sie viel zu schnellen Rundenzeiten bei. Dass trotz brachialster Bremsungen keine Probleme mit der Fahrwerksstabilität auftauchen, verdankt die Ninja der serienmäßigen Anti-Hopping-Kupplung, die das Motorrückdrehmoment auf ein Minimum reduziert.

Die Hinterradschwinge der Kawasaki ZX-6R Foto: Werk

Lob verdienen ebenfalls die Federelemente durch ihre sensiblen Reaktionen auf kleinste Einstellungen. So kuriert beispielsweise ein Ring mehr Vorspannung an der Gabel ein leicht indifferentes Gefühl für die Vorderhand. Wenig Freude macht jedoch der Blick auf die unbestechliche Waage: Mit dem höchsten Trockengewicht aller Kandidaten von 167 kg (drei Kilo über der Vorjahres-ZX!) fühlt sich die Kawa zwar gut ausbalanciert an. Doch nicht nur die konservative Fahrwerksgeometrie legt den Schluss nahe, dass die Kawa-Entwickler mehr Wert auf unbeirrbare Stabilität als nervöse Handlichkeit gelegt haben.

Mithin eröffnet die neue ZX-6R also keine neue Dimensionen hinsichtlich Leistung, Drehfreude oder Handlichkeit - ihre Werte sind nichts, mit dem man an Stammtischen große Reden schwingen könnte. Aber man kann nun reglementgemäß an Supersport-Rennen teilnehmen getreu dem unbescheidenen Pressetext, der ZX-Fahrern jede Menge Trophäen, schnellste Rundenzeiten und ein aufregendes Fahrerlebnis verspricht. Nun, ihre Siegfähigkeit wird die neue Grüne noch unter Beweis stellen müssen, doch die anderen beiden Ziele dürfte sie erreicht haben. Der Preis für die «Grüne» liegt bei ebenfalls unbescheidenden 10.665 Euro.

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