Grüne Macht

Die Leistungsschau geht weiter. Die neue Kawasaki ZX-10R stellt nominell 188 PS zur Verfügung. Doch den Japanern ging es bei ihrer neuen Ninja nicht nur um noch mehr Leistung.

Von Thilo Kozik

Alle zwei Jahre wieder kommt der große grüne Auftritt in Form des überarbeiteten Supersportflaggschiffs ZX-10R, des größten und stärksten Ninja-Kriegers aller Zeiten. Trotz der Beteuerungen der Entwicklungscrew, es nicht auf schiere Kraft ausgelegt zu haben sondern darauf, diese für schnelle Rundenzeiten beherrschbar zu machen, bringt das Wettrüsten in der Hochtechnologie-Abteilung des japanischen Konzerns dem 2008er Jahrgang einen Leistungszuwachs von echten 13 Pferdchen.

Schallmauer in greifbarer Nähe

Die satteln die grünen Männchen auf die letztjährigen 175 PS drauf und bekommen mit nominell 188 PS nicht nur den stärksten Renner im Tausenderstall. Mit dem ebenso beliebten wie schwer nachprüfbaren Ram-Air-Staudruckeffekt soll die ZX-10R bei hohem Tempo endlich die Schallmauer knacken und mit phänomenalen 200 PS galoppieren!

Dafür haben sich die Entwickler mächtig ins Zeug gelegt und dem in Dimensionen und Basislayout unveränderten Reihenvierzylinder ein widerstandsärmeres und direkteres Einlasssystem verpasst, konventionelle Tuningmaßnahmen inklusive schärferer Nockenwellen ergriffen und für eine bessere Drehzahlfestigkeit Titanventile implantiert. Dazu kommen ovale Drosselklappen mit ebenso geformten Ansaugkanälen, die Kurbelwelle wurde um ein Kilo erleichtert und die Brennräume für eine etwas höhere Verdichtung (12,9:1 statt 12,7:1) modifiziert.

Schnittig, die Front der Kawasaki ZX-10R Foto: Kawasaki

Ähnlich wichtig wie die genannten Maßnahmen sind jedoch neue Sekundäreinspritzdüsen und das KIMS (Kawasaki Ignition Management System), das 200 Informationen pro Sekunde für die Berechnung der optimalen Gemisch- und Zündfunkenbildung auswertet. Unter anderem ermittelt das KIMS auch die Geschwindigkeit, mit der sich die Motordrehzahl ändert, und greift bei ungewöhnlichen Drehzahlsprüngen regulierend ein. Mithin gleicht dieser Mechanismus im Prinzip einer Traktionskontrolle, wenngleich lange nicht so fein austariert wie in der MotoGP, wo die Geschwindigkeit beziehungsweise deren Differenz von Vorder- und Hinterrad in die Kalkulation mit einfließen - aber immerhin.

Steiferer Rahmen

Die Seitenansicht der Kawasaki ZX-10R Foto: Kawasaki

Diesen Vergleich hört Project Leader Yasuhisa Okabe jedoch nicht gerne, der darauf besteht, dass dieses System lediglich zum Schutz von Katalysator und Motor eingreifen würde und keine echte Antischlupfregelung sei. Parallel zum kräftigeren Motor bekam natürlich auch das Fahrwerk sein Fett weg. Einen steiferen Rahmen mit überarbeiteter Lenkgeometrie, ein neues Federbein mit getrennter High- und Lowspeed-Druckstufendämpfung samt geänderter Anlenkung sowie eine längere und verwindungssteifere Zweiarmschwinge sind die tief greifenden Vorgänge.

Schick - der Auspuff der Kawasaki ZX-10 R Foto: Kawasaki

Von allen Änderungen fällt sofort der aufregend gestylte Titan-Endschalldämpfer auf der rechten Seite ins Auge, der statt des mittigen Auspuffrohrs im Heck nun die Seitenansicht dominiert. Mit dieser Bauart senken die Entwickler einerseits den Gesamtschwerpunkt der Maschine, andererseits verkörpert der neu gestylte Schalldämpfer gemeinsam mit der scharf geschnittenen Verkleidung und der schmaleren Front die neue, deutlich aggressivere Design-Linie.

Vom Fahrersitz aus betrachtet sind zunächst das schmalere und niedrigere Windschild und die ungewohnten Rückseiten der Blinker die auffälligsten Änderungen. Letztere sind nämlich auf den leicht abmontierbaren Spiegelauslegern befestigt. Die Tankoberseite ist etwas breiter, der Sitz vorne schmaler und kürzer geraten, alles für ein besseres Feedback. Beim Sitzdreieck hat sich nichts geändert, die sportlich-kompakte Position mit viel Last auf den Handgelenken ist unverändert geblieben.

Der Motor der Kawasaki ZX-10R bringt es auf 188 PS Foto: Kawasaki

Zur Überprüfung des Potenzials eines Motorrades im unteren und mittleren Drehzahlbereich eignen sich die ersten vorsichtigen Runden auf einer Rennstrecke besonders, denn hier wird noch nicht gnadenlos Gas gegeben und das Motorrad bis an den Grenzbereich gefordert. Die ZX-10R kann in diesem Bereich die zugunsten der Spitzenleistung geopferten Pferde durch die kürzere Endübersetzung ein wenig kaschieren, auch der erste, vierte und fünfte Gang wurden gekürzt. Doch drückt die grüne Macht in diesen Regionen nicht so nachhaltig und beeindruckend, wie es noch das Vorgängermodell konnte.

Dank an den Lenkungsdämpfer

Die Kawasaki ZX-10R erhielt größere Bremsscheiben Foto: Kawasaki

Ist der Rennstreckenverlauf einmal verinnerlicht, die Lenk- und Schaltaktionen automatisiert, wandelt sich das Bild: Ab der Drehzahlmitte - gut erkennbar am Übergang der Drehzahlmessernadel in den grün unterlegten Bereich bei 6000 Touren - feuert diese ZX-10R gnadenlos aus den Ecken bis zur Redline bei 13500U/min. Ausgangs der Kurven ist man dankbar für den einstellbaren Öhlins-Lenkungsdämpfer, der wie Valium die zappelnde Front beruhigt. Trotz dieser brachialen Eruptionen wirkt der Zehner-Ninjakrieger stets kontrollierbar, das Gas lässt sich dank KIMS sanft und kontrollierbar anlegen - die Entwicklungscrew darf ihr Hauptziel der besseren Fahrbarkeit als erreicht ansehen.

Was die mit Spannung erwartete Traktionskontrolle anbelangt, nun, das stellt neben dem domestizierten Ansaugjaulen vielleicht die einzige kleine Enttäuschung dar: Trotz voller Konzentration und mutigem Gasaufziehen spürt man davon im Fahrbetrieb eigentlich nichts. Vielleicht nutzt das KIMS ja doch mehr dem Kat als dem Fahrer …

179 kg Trockengewicht

Gemacht für die Rennstrecke - die Kawasaki ZX-10 R Foto: Kawasaki

Doch um der Kawa gerecht zu werden: Die ZX-10R erlaubt schnelle, stets sichere Runden durch ihr agiles Handling und unglaublichen Reifengrip. Okay, anfangs scheint der Lenkaufwand etwas höher zu sein und die Linie zum Kurvenaußenrand hin zu tendieren, womöglich eine Folge der weniger rennorientierten Fahrwerksgeometrie. Doch einige Justierarbeiten an den fein reagierenden Federelementen - vorn etwas weniger Vorspannung, hinten mehr sowie mehr Lowspeed-Druckstufendämpfung - sorgen für einen gefügigeren Charakter. Bei einem Trockengewicht von 179 Kilo sattelt die Neue vier Kilo gegenüber der Alten drauf (was hauptsächlich am neuen Schalldämpfer liegt), doch mit einem angepassten Setting fährt sich die Zehner leicht und agil.

Obwohl es bislang praktisch nichts zu meckern gab an den brachialen Bremsen, spendierten die Techniker der Ninja dünnere und mit größerem Durchmesser versehene Wave-Bremsscheiben (310 mm statt 300 mm), die von radial angeschlagenen Vierkolben-Festsätteln mit zwei statt vier Einzelbelägen in die Mangel genommen werden. Die stauchen die Grüne in der Bremszone mächtig zusammen, die Feinfühligkeit der edlen Brembo-Monobloc-Zangen erreichen sie aber nicht.

Kawasaki verbindet mit dieser letzten, preislich mit 13.545 Euro sehr moderat angehobenen Evolutionsstufe die ursprüngliche aggressive Idee der ersten Zehner mit der Raffinesse und Kontrollierbarkeit aktueller Anforderungen: Die neue ZX-10R sollte schneller, rennstreckenorientierter und noch aufregender zu fahren sein. Nach dem ersten Ausritt dürfen sich die grünen Männchen auf die Schulter klopfen und hinter allen drei Anforderungen ein Häkchen machen.

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