Brilliance BS6 2.0: Die Chinesen kommen

Lange wurde es angekündigt, jetzt ist es eingetroffen: Europa hat sein erstes China-Auto. Der Brilliance BS6 hat viel Platz, ist gut ausgestattet und ein wie erwartet ein echter Preishammer. Doch das war es auch schon.

Von Sebastian Viehmann

Hübsch ist er ja, der BS6. Die schmucken Linien stammen aus der Feder des italienischen Automobildesigners Giugiaro. Die 4,88 Meter lange Limousine ist elegant, aber unauffällig mit einem Hauch BMW 3er-Styling. Geräumig, aber nicht protzig. Gäbe es nicht das rätselhafte Logo am Kühlergrill, würde der BS6 glatt im Straßenverkehr untergehen. Im Zentrum des verschlungenen Firmenlogos kann der Hobby-Sinologe ein chinesisches Schriftzeichen entdecken, das soviel bedeutet wie «Mitte» oder «Zentrum». Für die erste Testfahrt wählten wir die Basisversion 2.0 Comfort mit 122 PS. Und genossen den Chinesen-Kreuzer erst einmal mit allen Sinnen.

Unangenehmer Geruch

Das Interieur unseres Testwagens verströmte einen unangenehmen Geruch, so als würden irgendwo noch die Kunststoffe ausdünsten. Woher der Duft rührte, ließ sich nicht ermitteln. Fürs Auge hielt das Armaturenbrett zum Teil mutige Spaltmaße bereit. Die Farben der Kunststoffe und Polster erinnern an französische Limousinen vergangener Jahrzehnte.

Ebenso die Sitze: Weich und flauschig, kaum Seitenhalt und alles andere als atmungsaktiv. Der knochige Lenkradkranz liegt unbequem in der Hand, ebenso der Schaltknüppel, dessen klebrige Kunststoffoberfläche irgendwie an Lakritze erinnert. Hier müssen die Chinesen noch gewaltig nachbessern.

Großzügiges Platzangebot

Viel Platz vorhanden Foto: Werk

Während der erste Eindruck enttäuscht, offenbart der BS6 nach und nach auch seine guten Seiten. Das Platzangebot ist sehr großzügig, auch im Fond lebt es sich ausgesprochen bequem. Mit praktischen Ablagen und Becher-Haltern, einer 12-Volt-Steckdose und den übersichtlich gestalteten Schaltern und Knöpfen sammelt der Chinese weitere Pluspunkte. Allerdings sind die Schalter für Klimaanlage und Heckscheibenheizung so schwach beleuchtet, dass man am Tag nicht sieht, ob die Aggregate nun arbeiten oder nicht.

Wer einen Brilliance kauft, sollte sich ohnehin für die Top-Variante Deluxe entscheiden. Mit Lederausstattung und durchgehender Holzverkleidung am Armaturenbrett wirkt das Passagierabteil deutlich hochwertiger als bei der Basisversion. Beeindruckend ist der riesige Kofferraum: 550 Liter schluckt das Gepäckabteil, genug für einen lebenslangen Vorrat an Glückskeksen. Damit schlägt der BS6 sogar den 5er BMW, Skoda Superb oder Audi A6. Unter der Abdeckmatte schlummert ein vollwertiges Reserverad. Die Ladekante des Luxus-Chinesen ist allerdings recht hoch, und es fehlt eine Griffmulde an der Innenseite.

Schlapper Motor

Nicht unbedingt eine Offenbarung Foto: Werk

Das Interieur hinterlässt also einen durchwachsenen Eindruck - aber ein Newcomer aus Fernost verdient eine zweite Chance. Allerdings muss er dazu seine Fahrkünste unter Beweis stellen. Beim Drehen des Zündschlüssels erwacht ein 122 PS starker Vierzylinder zum Leben. Der Motor stammt aus einem - offenbar schon ziemlich angestaubten - Mitsubishi-Regal.

Der phlegmatische Antritt lässt schnell vermuten, woran es dem immerhin zwei Liter großen Aggregat mangelt: Drehmoment. 170 Newtonmeter stemmt der Chinese auf die Kurbelwelle. Zahlreiche Zweiliter-Maschinen der Konkurrenz haben da wesentlich mehr drauf. Der größere 2.4-Liter mit 130 PS schafft immerhin 195 Newtonmeter.

Ordentliche Straßenlage

Großer Kofferraum, hohe Ladekante Foto: Werk

Der Basis-BS6 ist ein angestrengter und lauter Geselle, wenn auch bei hohen Geschwindigkeiten vor allem die Windgeräusche an der A-Säule den Lärmpegel bestimmen. Die hakelige Fünfgangschaltung dürfte gern präziser sein. Für die Beschleunigung von 0 auf 100 Km/h benötigt der Brilliance 13,8 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit ist bei etwa 190 Km/h erreicht. Die Straßenlage des China-Cruisers ist in Ordnung - sogar in schnellen Kurven sorgt die eher straffe Abstimmung für ein stabiles Fahrverhalten.

Auch der Federungskomfort braucht sich nicht zu verstecken. Nur manchmal lässt die Hinterachse Schläge durch. Bei unserem Testwagen nervte leider die Lenkung. Der Geradeauslauf ließ zu Wünschen übrig, ständig musste leicht nachkorrigiert werden.

Kampfpreis und viel Ausstattung

Nette Frontpartie Foto: Werk

Beim Verbrauch macht Brilliance nur die ominöse Angabe «6,5 Liter bei 80 Km/h». Im Drittelmix, so Hans-Ulrich Sachs vom Brilliance-Importeur HSO Motors, verbrauche der Wagen ungefähr 9,5 Liter - das bliebe dann im Rahmen. Vielleicht schon im nächsten Jahr will Brilliance außerdem einen Dieselmotor aus chinesischer Produktion nachreichen. Wenn die Brilliance-Premiere auch noch nicht in allen Punkten überzeugen konnte - der Preis tut es. Die genauen Zahlen werden zwar erst in Abstimmung mit den Händlern gebacken - doch wird sich der Preis zwischen 19.000 und 23.000 Euro bewegen.

Die Ausstattungsliste des Top-Modells (2.4 Deluxe) liest sich wie ein Wunschzettel, den in dieser Preislage sonst keiner erfüllt: Elektrische Fensterheber, Einparkhilfe, Differenzialsperre, Klimaautomatik, achtfach verstellbarer Fahrersitz, Ledersitze, Metallic-Lack, CD-Radio. Eventuell werde sogar ein Radio-Navigationssystem serienmäßig an Bord sein, stellt Hans-Ulrich Sachs in Aussicht. Die ersten 3.000 BS6 sollen noch im Dezember auf den Markt kommen.

Nur zwei Sterne

Wesentlich kleinlauter wird Sachs beim Thema Crash-Test. Zwar habe der Brilliance beim Frontalcrash nach ECE-Vorgabe - eine Voraussetzung für die Zulassung auf dem deutschen Markt - «alle Grenzwerte deutlich unterschritten». Beim Euro-NCAP-Crashtest dagegen sieht es düster aus. Man habe «die drei Sterne knapp verfehlt», so Sachs. Zwei Sterne also - ein unterirdisches Ergebnis, jedenfalls im Vergleich mit aktuellen Modellen anderer Hersteller.

Zudem bietet der Brilliance nur Airbags für Fahrer und Beifahrer, ESP ist nicht im Angebot. Brilliance gelobt Besserung und will alle Fortschritte in die laufende Produktion einfließen lassen. «Expect more» lautet schließlich der Firmenslogan - «Erwarte mehr». Der Kunde wird genau das tun. «Die Chinesen lernen schnell», verspricht Importeur Sachs.

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