«Die Aerodynamik bietet noch immer Potenzial»

Teddy Woll, Leiter Aerodynamik bei Daimler

«Die Aerodynamik bietet noch immer Potenzial»
Teddy Woll leitet bei Daimler die Aerodynamik. © Daimler

Aerodynamik spielte in den zurückliegenden Jahren bei vielen Herstellern eine geringe Rolle. Weshalb das Thema wieder verstärkt in den Fokus rückt, darüber spricht Teddy Woll, Leiter Aerodynamik, im Interview mit der Autogazette.

Aerodynamik erlebt derzeit eine Renaissance. Beim Autobauer Mercedes-Benz steht das Thema seit längerer Zeit ganz oben auf der Agenda. Der Stuttgarter Autobauer will mit seinen Modellen die jeweiligen Benchmarks im Segment mit Blick auf den Cw-Wert setzen. So kommt beispielsweise der Mercedes CLA 180 BlueEfficiency auf einen Cw-Wert von 0,22 – kein anderes Serienfahrzeug ist windschnittiger.

Lernen von Fischen und Vögeln

Im Interview mit der Autogazette spricht Teddy Woll, Leiter Aerodynamik bei Daimler, darüber, weshalb die Aerodynamik in den zurückliegenden Jahren vernachlässigt wurde und weshalb Aerodynamik-Ingenieure sich bei Fischen und Vögeln noch viele Ideen holen können.

«Aerodynamik bietet immer noch Potenzial»

Mercedes CLA im Windkanal.
Der Mercedes CLA im Windkanal bei Daimler Daimler

Autogazette: Hat das Gros der Autobauer die Aerodynamik in den zurückliegenden Jahren vernachlässigt?

Teddy Woll: Ja, leider. Einer der Gründe ist der NEFZ-Zertifizierungszyklus, der mit 33 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit vergleichsweise langsam ist und daher z.B. den Luftwiderstand zu wenig berücksichtigt.

Autogazette: Trifft das auch auf Ihr Unternehmen zu?

Woll: Wir bei Mercedes haben stets auch den Realverbrauch und damit die Aerodynamik im Blick, was unsere Kunden täglich erleben können.

Autogazette: Warum rückt die Aerodynamik gerade wieder stärker in den Focus der Autobauer, liegt das vor allem an den strengen CO2-Richtlinien zum Flottenverbrauch?

Woll: CO2-Gesetze sind sicher ein Thema, aber auch konstant hohe Spritpreise haben den Kundenfocus wieder stärker auf den Verbrauch gelenkt. Und: die leicht zu realisierenden Einsparungen wie zum Beispiel Motor-, Getriebe-, Energiemanagement-Maßnahmen sind inzwischen fast alle in Serie, was bleibt, sind ein vergleichsweise teurer Leichtbau - und eben die Aerodynamik, die – wie wir mit jeder neuen Baureihe zeigen – immer noch Potenzial bietet.

Autogazette: Ist es einfacher und vor allem kostengünstiger, die Effizienz eines Fahrzeuges durch aerodynamische Maßnahmen als durch Leichtbau zu verbessern?

Woll: Es ist vor allem effizienter – und wirkt sich unmittelbar im Realverbrauch aus. Bei vorausschauender Fahrweise spielt das Gewicht eine untergeordnete Rolle, was jeder bei einer Urlaubsfahrt mit vollem Gepäck erleben kann. Und: bei den alternativen Antrieben kann Beschleunigungsenergie beim Bremsen zurückgewonnen werden, Luftwiderstand ist und bleibt hingegen verloren.

«Der Tropfen ist nicht die aerodynamisch beste Form»

Der VW XL1 soll noch in diesem Jahr als Kleinserie auf den Markt kommen.
Der VW XL1 VW

Autogazette: Wird die Aerodynamik das Design der Autos in Zukunft nachhaltig verändern?

Woll: Jein – es gibt gewisse Dinge, die sind aus aerodynamischer Sicht nicht zielführend (z.B. ein kurzes, flaches, rundes Heck), aber den Designern bleiben sehr viele Bereiche, die für die Aerodynamik eher von untergeordneter Bedeutung sind.

Autogazette: Ist das Einliter-Auto VW XL1 mit einem Luftwiderstandsbeiwert von 0,189 wegweisend für zukünftige Fahrzeuggenerationen oder ist es nur eine Fingerübung für Designer und Aerodynamiker?

Woll: Das wird der Markterfolg zeigen.

Autogazette: Hat die Tropfenform bei zukünftigen Fahrzeugen wieder eine Perspektive?

Woll: Der Tropfen ist – entgegen der landläufigen Meinung – nicht die aerodynamisch beste Form. Das liegt u.a. an der Oberflächenspannung des Wassers. Viel besser sind schnelle Vögel oder Fische, die mit extrem wenig Energie Großartiges vollbringen. Dort können sich die Aerodynamik-Ingenieure noch viele Ideen holen. Nur: sobald sie an eine solche Form wie z.B. des Pinguins, der trotz seiner relativ gedrungenen Form einen Cw-Wert von nur 0,05 hat, vernünftige Räder anbringen würden, ist die perfekte Aerodynamik dahin.

«Wir haben Zielkonflikte stets gut gelöst»

Produktion der Mercedes S-Klasse in Sindelfingen
Die Mercedes S-Klasse kommt auf einen Cw-Wert von 0,24 Daimler

Autogazette: Wo liegt für Sie der größte Zielkonflikt zwischen Design und Aerodynamik?

Woll: In den sehr unterschiedlichen Sichtweisen und «Sprachen» von Designern und Ingenieuren. Wir bei Mercedes haben diese Zielkonflikte stets gut gelöst.

Autogazette: Stellen die steigenden Anforderungen an die Fahrzeugsicherheit wie beispielsweise Fußgängerschutz die Aerodynamik vor besondere Probleme?

Woll: Nein.

Autogazette: Der Rumpler-Tropfenwagen von 1921 kam auf einen Cw-Wert von 0,28. Vergleicht man das mit den Luftwiderstandsbeiwerten der heutigen Fahrzeuge, dann haben sich seither keine Quantensprünge vollzogen. Herrschte in der Aerodynamik in den zurückliegenden 92 Jahren eher Stillstand statt Fortschritt?

Woll: Der Rumpler-Tropfenwagen war damals seiner Zeit sehr weit voraus. Seine «Zeitgenossen» hatten Cw-Werte in der Nähe von 1 – und wurden gekauft. Rumpler hatte wegen der Tropfenform den Kofferraum weg gelassen (einer der Haupt-Kritikpunkte) und die Motorkühlung nicht entsprechend beachtet (früher oder später blieb jeder Tropfenwagen mit Motorschaden liegen). Was schließlich dazu führte, dass nicht mal 100 Exemplare gebaut wurden.

Autogazette: Der Mercedes CLA ist derzeit mit einem Cw-Wert von 0,22 der Aerodynamik-Champion unter den Serienfahrzeugen. Welche Reduktion ist zukünftig noch vorstellbar?

Woll: Sobald es an die 0,20 oder darunter geht, muss das Maßkonzept angepackt werden, z.B. muss die Länge wachsen, der Wagen im hinteren Bereich und die hintere Spur schmaler werden, etc. Dann entstehen Zielkonflikte mit wichtigen Fahrzeugeigenschaften (Sitzbreite hinten, Kofferraum-Ladebreite, Fahrdynamik, etc.). Was zu welchem Zeitpunkt wichtiger sein wird, wird die Zukunft zeigen.

Die Fragen an Teddy Woll stellten Frank Mertens und Thomas Flehmer

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