«Zellproduktion momentan in Deutschland wirtschaftlich nicht darstellbar»

Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber

«Zellproduktion momentan in Deutschland wirtschaftlich nicht darstellbar»
Für Thomas Weber ist eine Zellproduktion in Deutschland nicht wirtschaftlich darstellbar. © Daimler

Thomas Weber hält eine Zellproduktion momentan in Deutschland für wirtschaftlich nicht darstellbar, vor allem nicht für einen einzelnen Hersteller. Im Interview mit der Autogazette spricht der Daimler-Entwicklungsvorstand auch über seine Erwartungen an die Kaufprämie für E-Autos.

Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber glaubt in diesem Jahrzehnt nicht an eine Produktion von Batteriezellen am Standort Deutschland. «Aufgrund der geringen Stückzahlen ist eine Zellproduktion momentan in Deutschland wirtschaftlich nicht darstellbar – schon gar nicht für einen einzelnen Hersteller», sagte Weber im Interview mit der Autogazette.

Wie der Entwicklungschef sagte, seien Batterien eine Schlüsselkomponente für die Mobilität der Zukunft. Doch bei der Zellproduktion seien der Zeitpunkt und die Zukunftsfähigkeit der Technologie entscheidende Fragen. «Warum sollte man jetzt noch in die Produktion mit einer «alten» Technologie einsteigen wenn sich heute bereits neue Technologien am Horizont abzeichnen?» So sei innerhalb der nächsten Dekade mit der Einführung von sogenannten Post-Lithium-Ionen-Systemen zu rechnen.

Großer Technologiesprung steht bevor

«Besonders Lithium-Schwefel-Systeme versprechen einen großen Technologiesprung, der die für Elektroautos relevanten Kriterien Kosten und Reichweite revolutionieren könnte», sagte Weber, der auch Vorsitzender Arbeitsgruppe Batterietechnologie bei der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) ist. Wie Weber erklärte, hätte die NPE in seinem letzten Zwischenbericht das Zeitfenster für einen möglichen Einstieg in die Zellproduktion dahin gehend konkretisiert, „dass sich die europäische Automobilindustrie ab Ende 2017 darüber Gedanken machen muss. Eine entsprechende Zellproduktion könnte dann ab dem Jahr 2021 möglich sein».

Dass Hersteller wie Daimler, BMW und Audi wie beim Erwerb des Kartendienstes Nokia Here auch bei der Zellproduktion gemeinsame Sache machen, stehe nicht zur Diskussion. «Vielmehr denke ich, dass es bei der Zellproduktion eher einen Zusammenschluss von Zulieferern geben sollte. Die Hersteller sind dann in erster Linie Kunden.»

«Kaufprämie starkes Signal an die Kunden»

Elektro-Smart
Ein Elektro-Smart an der Ladesäule dpa

Autogazette: Herr Weber, lange hat die Autobranche auf eine Kaufprämie für Elektroautos gewartet, jetzt ist sie da. Beginnt nun der gewünschte Markthochlauf?

Thomas Weber: Dass die Kaufprämie kommt, ist ein starkes Signal an den Kunden. Es ist ein zusätzlich motivierendes Element, jetzt in die Elektromobilität einzusteigen und sich damit für eine Zukunftstechnologie zu entscheiden. Eine solche Initiative kann eine Initialzündung sein, um mit der Elektromobilität durchzustarten.

Autogazette: Das von der Regierung ausgegebene Ziel von einer Million Elektroautos bis 2020 dürfte aber trotz Kaufprämie eine Illusion bleiben.

Weber: Es bleibt ein anspruchsvolles Ziel. Doch man braucht solche Ziele, um etwas zu erreichen.

Autogazette: Mit wie vielen Elektroautos und Plug-in-Hybriden rechnen Sie denn bis 2020?

Weber: Auch wir haben keine Glaskugel. Doch nach heutigem Stand halte ich eine Zahl von 500.000 bis 600.000 Elektroautos und Plug-in-Hybriden auf deutschen Straßen bis 2020 für möglich. Wir alle sollten uns nicht so sehr auf die absolute Zahl von eine Million E-Autos bis exakt 2020 versteifen: Wichtig ist, jetzt loszulegen und da hilft die Kaufprämie sicherlich.

Autogazette: Wird vor allem der Plug-in-Hybrid von der Kaufprämie profitieren?

Weber: Ja, auch der Plug-in-Hybrid wird von der Kaufprämie profitieren. Mit den Plug-in-Hybriden beginnt der Einstieg in das streckenweise lokal emissionsfreie Fahren mit Elektroantrieb. Das ist auch der Grund, weshalb wir unsere Plug-in-Hybrid-Offensive mit zehn Modellen bis 2017 gestartet haben. Er nimmt dem Kunden die Angst vor der noch begrenzten Reichweite und bietet zusätzlich viel Fahrspaß.

«Reine Elektroautos haben hohe Priorität»

Plug-in-Hybrid Mercedes C 350
Der Mercedes C 350 mit Plug-in-Hybrid Daimler

Autogazette: Sie haben von diesen zehn angesprochenen Modellen bereits acht Modelle auf den Markt gebracht, von reinen Elektroautos hört man bei Ihnen aber wenig. Genießt das für Sie nur eine geringe Priorität?

Weber: Im Gegenteil, reine Elektroautos haben bei uns eine hohe Priorität.

Autogazette: Sie zielen auf den neuen Smart ab...

Weber: ...genau, aber nicht nur: Wir werden vom Smart den Zwei- und Viersitzer und das Cabrio als E-Auto anbieten. Wir haben zudem die Mercedes-Benz B-Klasse Electric Drive und haben uns zum Elektroauto mit Brennstoffzelle auf Basis unseres GLC bekannt, also einem Auto mit kurzen Betankungszeiten und hoher elektrischer Reichweite. Zusätzlich wird es von uns in absehbarer Zeit ein großes und attraktives Batterie-Elektrisches Auto mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern geben.

Autogazette: Hört sich gut an: Doch bis auf die elektrische B-Klasse können Sie Ihren Kunden kein E-Auto anbieten, da der neue E-Smart erst Ende des Jahres kommt. So sieht kein starkes Bekenntnis zur E-Mobilität aus.

Weber: Ich finde, 3 Jahre Marktführerschaft in Deutschland mit dem Smart Electric Drive ist durchaus ein starkes Bekenntnis. Sie vergessen, dass es auch eines entsprechenden Umfeldes für die Elektromobilität bedarf wie z. B. einer ausreichenden Lade-Infrastruktur. Das Gleiche gilt natürlich auch für ein flächendeckendes Wasserstoff-Tankstellennetz, das es bis heute noch nicht gibt. Jetzt gibt es ein Committment der Bundesregierung für den Ausbau der Infrastruktur in den nächsten Jahren. Damit passt die Präsentation von unserem serienreifen Brennstoffzellenauto in 2017 jetzt vom Timing perfekt.

«Zukünftig ist Flexibilität Trumpf»

Autogazette: Bis 2020 will Mercedes zum erfolgreichsten Premiumhersteller aufsteigen. Wie viele E-Autos werden Sie dann im Angebot haben?

Weber: Das Erreichen dieses Ziels hat bei uns bisher noch nie eine Aufteilung in Modellvarianten oder Antriebsarten beinhaltet, dabei bleibt es. Doch gehen Sie davon aus, dass in unserer Modellpalette bis dahin ein nennenswerter Anteil von Elektroautos dabei sein wird. Dazu entwickeln wir eine entsprechende modulare Elektroarchitektur. Diese Komponenten sind bereits in der Entwicklung. Davon profitieren unsere Plug-in-Hybride ebenso wie die reinen Elektroautos und unser Brennstoffzellenfahrzeug. Da niemand weiß, wie sich die Märkte - vor allem auch global - entwickeln, ist zukünftig Flexibilität Trumpf und die schaffen wir uns damit.

Autogazette: Es wird gerade wieder über eine Zellproduktion in Deutschland diskutiert. So gab es Meldungen, dass sich auch VW scheinbar Gedanken über eine Batteriefabrik macht. Ist das für Sie ein Thema, nachdem Sie sich daran schon einmal versucht haben?

Weber: Ich bin Vorsitzender der Arbeitsgruppe Batterietechnologie bei der Nationalen Plattform Elektromobilität. Die Studien, die wir gemeinsam erarbeitet und vorgestellt haben, sprechen eine klare Sprache: Batterien sind eine Schlüsselkomponente für die Mobilität der Zukunft. Bei der Zellproduktion aber sind der Zeitpunkt und die Zukunftsfähigkeit der Technologie entscheidende Fragen. Auch aufgrund der geringen Stückzahlen ist eine Zellproduktion momentan in Deutschland wirtschaftlich nicht darstellbar – schon gar nicht für einen einzelnen Hersteller.

Autogazette: Deshalb sind Sie 2015 auch aus der Zellproduktion ausgestiegen...

Weber: ...genau. Parallel dazu hat Daimler aber ein ganz klares Committment für den weiteren Ausbau unserer Batterieproduktion am Standort Kamenz abgegeben. Ich meine, 500 Millionen für die zweite Batteriefabrik sind ein starkes Signal für den Standort Deutschland.

Autogazette: Ab wann könnte eine Zellproduktion Sinn machen?

Weber: Wir haben in der NPE das Zeitfenster in unserem letzten Zwischenbericht dahin gehend konkretisiert, dass bei steigenden Stückzahlen sich die europäische Automobilindustrie ab Ende 2017 darüber Gedanken machen muss. Eine entsprechende Zellproduktion könnte dann ab dem Jahr 2021 möglich sein.

«Müssen auf Tipping-Point vorbereitet sein»

Zelle für Batterieauto
Produktion von Batteriezellen dpa

Autogazette: Lässt sich Elektromobilität überhaupt planen. Ihr Kollege Peter Gutzmer von Schaeffler sagte, dass er in den kommenden zehn bis 15 Jahren einen Anteil von acht bis 20 Prozent an Elektroautos am weltweiten Autoabsatz erwartet. Aus dieser Spannbreite spricht eine große Ungewissheit.

Weber: Wir sehen das ähnlich. Wir müssen dennoch auf den sogenannten „Tipping-Point“ vorbereitet sein. Ein solcher Punkt zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Nachfrage relativ schnell vervielfacht. Wir glauben, dass ein solcher Schneeballeffekt entstehen kann. Darauf bereiten wir uns vor.

Autogazette: Macht es unabhängig von der Nachfrage Sinn, mit einer alten Zelltechnologie in die Produktion einzusteigen?

Weber: Das ist ein weiterer Punkt, den es zu bedenken gilt. Die Zelltechnologie entwickelt sich sehr schnell weiter. Warum sollte man jetzt noch in die Produktion mit einer «alten» Technologie einsteigen wenn sich heute bereits neue Technologien am Horizont abzeichnen? Innerhalb der nächsten Dekade ist mit der Einführung von sogenannten Post-Lithium-Ionen-Systemen zu rechnen. Besonders Lithium-Schwefel-Systeme versprechen einen großen Technologiesprung, der die für Elektroautos relevanten Kriterien Kosten und Reichweite revolutionieren könnte.

Autogazette: Würde es nicht wie beim Erwerb des Kartendienstes Nokia Here Sinn machen, dass Hersteller wie Audi, BMW und Daimler bei der Zellproduktion gemeinsame Sache machen?

Weber: Das steht derzeit nicht zur Diskussion. Vielmehr denke ich, dass es bei der Zellproduktion eher einen Zusammenschluss von Zulieferern geben sollte. Die Hersteller sind dann in erster Linie Kunden.

Das Interview mit Thomas Weber führte Frank Mertens

Vorheriger ArtikelVW gestaltet Caddy Familienfreundlich
Nächster ArtikelNeuer Astra bringt Opel starkes Wachstum
Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

Keine Beiträge vorhanden