«Die Reise in der Formel 1 geht weiter»

AMG-Chef Ola Källenius und Daimler-Vorstand Thomas Weber

«Die Reise in der Formel 1 geht weiter»
Thomas Weber (l.) und Ola Källenius vor dem SLS AMG Electric Drive. © Daimler

Der Daimler-Konzern setzt seine Anstrengungen bei der Elektromobilität mit Nachdruck fort. Im Interview mit der Autogazette sprechen Entwicklungsvorstand Thomas Weber und AMG-Chef Ola Källenius über ihre Strategien.

Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber rechnet frühestens ab 2017 mit einem Massenmarkt für die Elektromobilität. «Wir gehen bereits im kommenden Jahr von größeren Stückzahlen aus, doch mit Blick auf die großvolumige Serienfertigung rechnen wir frühestens ab 2017 mit einer entsprechenden Marktentwicklung», sagte Weber im Interview mit der Autogazette.

Dass Konkurrent Toyota unlängst wissen ließ, dass hinter der Elektromobilität vorerst kein nachhaltiges Geschäftsmodell stecke, stimmt Weber mit Blick auf diese Technologie keineswegs pessimistisch. «Wir haben immer gesagt, dass es noch eine ganze Weile dauern wird bis Elektromobilität im Volumengeschäft angekommen ist.»

Kein Strategiewechsel bei Elektromobilität

Einen Strategiewechsel werde es bei Daimler trotz der bisher allgemein geringen Nachfrage nach Elektroautos nicht geben. Wie Weber sagte, könne man die Elektromobilität für den Kunden nur dann attraktiv machen, wenn man entsprechende Autos anbiete. «Und das tun wir: beim Smart Electric Drive sind die Kunden geradezu euphorisch. Mit dem SLS AMG Electric Drive zeigen wir, dass nur Fliegen schöner ist und vor allem, dass Elektromobilität sehr emotional sein kann.» Wie AMG-Chef Ola Källenius hinzufügt, stelle der «SLS AMG Coupé Electric Drive die Speerspitze aller elektrisch angetriebenen Fahrzeuge dar. Was wir mit dem elektrischen SLS zeigen, ist einzigartig».

«Nur Fliegen ist schöner»

Mercedes SLS AMG Electric Drive
Der SLS AMG Electric Drive AG/Mertens

Autogazette: Herr Weber, Toyota ließ gerade wissen, dass hinter der Elektromobilität kein marktfähiges Geschäftsmodell stecke. Sind Sie angesichts der geringen Nachfrage der Kunden nach Elektrofahrzeugen auch so pessimistisch?

Thomas Weber: Keineswegs, ich fühle mich vielmehr in unserer langfristig angelegten Strategie bestätigt. Wir haben immer gesagt, dass es noch eine ganze Weile dauern wird bis Elektromobilität im Volumengeschäft angekommen ist. Das zeigt auch das anspruchsvolle Ziel von einer Million Elektroautos bis 2020, die die Bundesregierung gerade erneut bestätigt hat - im Vergleich zu über 50 Millionen konventionellen Fahrzeugen auf deutschen Straßen. Es ist auf breiter Front anerkannt, dass wir als Hersteller mit Blick auf die Reduzierung der CO2-Emissionen mittelfristig Elektromobilität benötigen. Bis zum Eintritt einer höheren Nachfrage versucht jeder die Zeit zu nutzen, um die Technologie auch kostenseitig marktfähig zu machen.

Autogazette: Auf dem Autosalon Paris haben Sie gleich drei neue Elektrofahrzeuge vorgestellt. Für Sie gibt es hier also keinen Strategiewechsel?

Weber: Nein, den gibt es nicht. Um die Elektromobilität für den Kunden attraktiv zu machen, muss man entsprechende Autos anbieten. Und das tun wir: beim Smart Electric Drive sind die Kunden geradezu euphorisch. Mit dem SLS AMG Electric Drive zeigen wir, dass nur Fliegen schöner ist und vor allem, dass Elektromobilität sehr emotional sein kann. Und wenn wir in 2014 die fünfsitzige B-Klasse Electric Drive auf dem Markt bringen, kommt noch Funktionalität in einer neuen Dimension hinzu.

«Werden Forschungsanstrengungen intensivieren»

Die Mercedes B-Klasse Electric Drive wird in Paris vorgestellt.
Die Mercedes B-Klasse Electric Drive Daimler

Autogazette: Das Ziel von einer Million Elektroautos ist in weite Ferne gerückt, jetzt spricht die Nationale Plattform Elektromobilität bis 2020 nur noch von 600.000 Fahrzeugen. Aber ist nicht auch das utopisch?

Weber: Die eine Million haben wir als Projektgruppe ja relativiert, da Deutschland beispielsweise im Gegensatz zu Frankreich keine Incentivierungsprogramme anbietet. Jetzt gehen wir von rund 600.000 Fahrzeugen aus und werden im ersten Schritt die nationalen Forschungsanstrengungen konsequent weiter intensivieren. Irgendwann muss sich Deutschland aber entscheiden, ob die Technologie hier nur entwickelt wird und der Markt woanders stattfindet, oder ob wir in Deutschland doch noch zum Leitmarkt aufsteigen wollen.

Autogazette: Ab wann sehen Sie einen Massenmarkt?

Weber: Wir gehen bereits im kommenden Jahr von größeren Stückzahlen aus, doch mit Blick auf die großvolumige Serienfertigung rechnen wir frühestens ab 2017 mit einer entsprechenden Marktentwicklung.

«Was wir mit elektrischem SLS zeigen, ist einzigartig»

Der Smart Electric Drive Daimler

Autogazette: Herr Källenius, Sie bringen im kommenden Jahr den rein elektrisch angetriebenen Supersportwagen Mercedes-Benz SLS AMG Coupé Electric Drive in den Markt. Schätzen Sie den Markt nicht falsch ein, wenn Sie eine Nachfrage nach einem Fahrzeug sehen, das 350.000 Euro netto kostet?

Ola Källenius: Der Daimler-Konzern ist ein Technologie-Unternehmen und im Performance-Sektor stellt der SLS AMG Coupé Electric Drive die Speerspitze aller elektrisch angetriebenen Fahrzeuge dar. Was wir mit dem elektrischen SLS zeigen, ist einzigartig. Wir setzen nicht nur eine neue High-Tech-Batterie ein - entwickelt und produziert mit der Expertise von den Formel 1 Kollegen bei Mercedes AMG High Performance Powertrains in Brixworth - , sondern auch einen innovativen Elektroantrieb an jedem Rad. Dieses Auto ist ein Blick in die Zukunft. Dass dieses Auto seinen Preis hat, verstehen die Kunden, die in diesem Segment ein Auto kaufen. Natürlich ist es kein Auto für den Massenmarkt.

Autogazette: Der Absatz steht für Sie gar nicht im Fokus?

Källenius: Es geht bei diesem Auto nicht darum, wie viele SLS AMG Coupé Electric Drive wir verkaufen. Für uns ist dieses Fahrzeug vielmehr ein Know-how-Projekt. Wir entwickeln nicht nur - zusammen mit Mercedes-Benz- und Formel 1-Kollegen - die Hochvoltbatterie für das Performance-Segment, sondern bringen auch weitere Leichtbaukomponenten in dieses Fahrzeug ein, die sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren im Performancesegment wiederfinden werden.

Autogazette: Wenn Sie von einer Top-Down-Strategie sprechen: In welchen Modellen unterhalb des SLS wird man diese Technologie wiederfinden?

Weber: Was wir beim Leichtbau mit Blick auf die innovative Mischung verschiedener Materialien im SLS praktizieren, wird sich beispielsweise in der nächsten Generation der neuen Mercedes S-Klasse von AMG wiederfinden.

Källenius: Auf Komponenten-Ebene sind wir mit dem Material Carbon bereits in der Serienfertigung. Im SL 63 AMG und SL 65 AMG wurde das Heckdeckel-Innenteil beispielsweise aus leichtem Carbon-Verbundwerkstoff gefertigt. Gestartet hatten wir mit der Verwendung von diesen CFK Leichtbauteilen bereits beim SLS Roadster, bei dem wir vor allem nicht sichtbare Teile aus Carbon verbauen. Auch bei unseren sportlichsten Modellen, den AMG Black Series Fahrzeugen, machen wir das schon seit Jahren. In Sachen E-Antrieb können wir viele der Komponenten modular verwenden. Ob ich nun einen Supersportwagen mit reinem Elektroantrieb mache oder ein Hybridfahrzeug, es werden immer gleichartige Komponenten verwendet. Wir können diese Komponenten in Zukunft optimal wiederverwenden und kombinieren.

Weber: Und grundsätzlich gilt, dass die Mercedes-Benz Serienfertigung von allen Entwicklungsumfängen bei AMG profitiert und umgekehrt. Unsere Organisationsstruktur ist entsprechend aufgestellt.

«Nächste S-Klasse wird es mit Plug-in-Hybrid geben»

Autogazette: Was ist in Ihrer Strategie wichtiger: Eine S-Klasse mit reinem Elektroantrieb oder eine mit Plug-in-Hybrid?

Weber: Eine S-Klasse als reines Elektrofahrzeug halte ich nicht für zielführend, weil unsere Kunden hohe Anforderungen an die Reichweite haben. Die Hybridisierung sehen wir hier als geeigneter an, vor allem den Plug-in-Hybrid. Nachdem wir bereits mit dem S400 BlueHybrid gezeigt haben wie man so etwas realisieren kann, wird es die nächste S-Klasse auch mit Plug-in-Hybrid geben.

Källenius: Das ist für AMG ebenso der sinnvollste Weg.

Autogazette: Herr Källenius, auch wenn Sie nicht von hohen Stückzahlen für den SLS AMG Electric Drive ausgehen. Was schwebt Ihnen vor?

Källenius: Wir haben keine Absatzzahl im Blick. Wir machen hier etwas, was sich andere nicht trauen: Nämlich ein solches Auto in die Preisliste aufzunehmen. Wir werden sehen, wie groß die Nachfrage sein wird.

Weber: Aufgrund unserer Produktions- und Modulstrategie sind wir flexibel: Der SLS Electric Drive wird genauso wie das konventionell angetriebene Coupé und Cabrio im Stammwerk in Sindelfingen gebaut. Was der Kunde bekommen will, bekommt er von uns, auch mit Blick auf die Stückzahlen.

Autogazette: Herr Weber, Sie haben dem SLS AMG im Januar 2011 prophezeit, dass es das coolste und erfolgreichste Auto auf dem Markt werden wird. Wie cool ist ein Auto, dessen Käufer Sie wohl per Handschlag zum Kauf beglückwünschen können?

Weber: Sehr cool sogar! Aber Spaß bei Seite, für uns ist jeder Kunde wichtig. Und das zeigen wir ihnen nicht nur bei jeder Fahrzeugübergabe. Wir freuen uns sehr in der Lage zu sein, unseren Kunden solche exklusiven Produkte anbieten zu können.

Källenius: Beim SLS AMG hatten wir die Markteinführung zeitgleich mit einem italienischen Wettbewerber, der rote Autos baut und die letzten 20 Jahre Marktführer war. Heute liefern wir uns mit ihm weltweit ein Kopf-an-Kopf-Rennen. So etwas hätten wir uns selbst in unseren wildesten Träumen nicht vorgestellt.

«Elektrifizierung spielt in Formel 1 noch größere Rolle»

Formel 1-Pilot Nico Rosberg im Mercedes.
Formel 1-Pilot Nico Rosberg im Mercedes dpa

Autogazette: Die FIA hat kürzlich bekannt gegeben, dass man eine Rennserie für Elektroautos ins Leben rufen wird. Ist das für Sie von Interesse?

Källenius: Der SLS AMG Electric Drive ist ja etwas ganz anderes: Er ist ein Auto für die Straße.

Weber: Wir halten davon nur bedingt etwas. Wir müssen uns die Frage stellen, wem das etwas bringt. Wir machen Motorsport, um die Kunden davon profitieren zu lassen. Aus dem Motorsport können wir mittlerweile sehr viel in die Serie übertragen. Das machen wir mit der DTM und der Formel 1 so und das wollen wir weiterhin erfolgreich fortsetzen.

Autogazette: Sie schließen das also definitiv aus?

Weber: Wir sehen das unter den momentanen Randbedingungen als nicht zielführend an.

Källenius: Die Reise in der Formel 1 geht für uns indes weiter. Mit dem Reglement 2014 spielt das Thema Elektrifizierung in der Formel 1 eine noch größere Rolle.

Weber: Wir stellen uns nicht gegen diese neue Serie. Doch mit der Formel 1 haben wir heute bereits z.B. durch KERS („Kinetic Energy Recovery System“) ein Feld, wo wir mit der Antriebstechnik ans Limit gehen und die dortige Technologie auf Serienfahrzeuge übertragen können. Dieses Thema wird ab 2014 noch wichtiger, weil das neue Motor-Reglement für technische Lösungen sorgt, von denen wir viel für die breite Anwendung in der Serie lernen. Die Botschaft von Paris ist klar: Wir müssen unseren Weg konsequent gehen, um der Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen. Die Industrie sollte sich jetzt fokussieren, damit man nicht irgendwann den Anschluss verliert.

Autogazette: Herr Källenius, welches weitere Fahrzeug aus der AMG-Palette wird elektrifiziert sein?

Källenius: Derzeit ist hier noch nichts spruchreif. Mit dem SLS AMG Electric Drive machen wir zwei Schritte in die Zukunft, um dann gegebenenfalls wieder einen Schritt zurück machen zu können. Wir orientieren uns am Markt. Wenn der Markt reif ist für ein Fahrzeug mit Hybridantriebe, dann haben wir das Know-how, hier etwas am oberen Ende der Modellskala anzubieten.

Autogazette: Würde für Sie ein Range Extender oder Plug-in-Hybrid nicht Sinn machen?

Källenius: Ein Range Extender eher nicht. Ein Plug-in-Hybrid schon eher oder auch die weitere Elektrifizierung des Antriebsstrangs. Im ersten Schritt muss es nicht ein Plug-in-Hybrid sein, sondern es kann ein Hybrid sein, den wir für den Boost nutzen. Wenn wir so etwas anbieten, dann zunächst in unseren Luxuslimousinen und/oder SUVs.

Weber: Man muss akzeptieren, dass die Kunden derzeit noch zurückhaltend sind. Dennoch bieten wir ihnen für die verschiedenen individuellen Anforderungen maßgeschneiderte Angebote: Den Smart Electric Drive für den Stadtverkehr, im Sportwagensegment den SLS AMG Electric Drive und für die Familie die B-Klasse als Electric Drive und Erdgas-Variante. Mehr Varianz brauchen wir im Moment nicht. Doch wir können bei einsetzender Nachfrage dank unserer Modulstrategie schnell die Interessen der Kunden auch in weiteren Fahrzeugsegmenten bedienen.

«Der Range Extender spielt auch weiter eine Rolle»

Die Mercedes B-Klasse gibt es auch mit Erdgas Daimler

Autogazette: Sie bringen die B-Klasse nicht wie geplant mit einem Range Extender, sondern zusammen mit ihrem Partner Tesla rein elektrisch. Ist das ein Abschied auf Raten vom Range Extender?

Weber: Der Range Extender wird auch weiterhin eine Rolle in unserer langfristigen Antriebsstrategie spielen. Doch derzeit brauchen wir nicht noch mehr alternative Antriebe, wir sind da jetzt gut aufgestellt.

Källenius: Mit Blick auf die kleineren Fahrzeuge ist es bei AMG aktuell nicht vorstellbar, dass wir hier auf den reinen E-Antrieb setzen. Für zukünftige Modelle stehen vielmehr weiter die Otto-Motoren im Vordergrund, wie wir auch mit der kommenden A-Klasse zeigen werden, die neue Benchmarks im Segment setzen wird.

Autogazette: Die B-Klasse bringen Sie nun auch als Erdgasfahrzeug. Doch die Kunden klagen zwar über die hohen Spritpreise, doch trotz aller Vorteile entscheiden sie sich nicht für diesen Antrieb: Wir erklären Sie sich diesen Widerspruch?

Weber: Sie haben Recht, das überrascht. Für mich ist Erdgas aufgrund seiner hundertfach längeren Verfügbarkeit im Vergleich zum Erdöl eine wesentliche Brückentechnologie. Es gibt kein Problem mit der Ressourcen-Verfügbarkeit und diese Antriebstechnologie ist erprobt und kann relativ leicht verbaut werden. Schon heute gibt es mit rund 1000 Tankstellen ein ausreichendes Infrastrukturnetz. Wenn jetzt noch ein klares politisches Signal kommt, könnte sich diese Antriebstechnologie etablieren. Wir sind da sehr optimistisch.

Das Interview mit Ola Källenius und Thomas Weber führte Frank Mertens

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