Autonomes Fahren: Vertrauen fährt mit

Studie zum ACC

Autonomes Fahren: Vertrauen fährt mit
Autonomes Fahren immer beliebter. © Continental

Viele Hersteller sprechen von den rechtlichen Hürden als letztes Hindernis zum autonomen Fahren. Eine Studie mit der Adaptiven Cruise Control hat aber auch die mentalen Schwankungen der Fahrer verdeutlicht.

Von Thomas Flehmer

Ab 2020 sollen die ersten Fahrzeuge ganz legal autonom in den alltäglichen Straßenverkehr integriert werden. Die technische Basis ist vorhanden und auch bei den rechtlichen Hürden hat das so genannte Wiener Abkommen bereits erste Barrieren fallen lassen. Doch sind eigentlich Fahrer und Beifahrer soweit, sich autonom durch die Straßen fahren zu lassen? Auf dem 1. Kongress der Fachgruppe Verkehrspsychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) im Haus der Wissenschaft der TU Braunschweig verdeutlichten zwei Studien, die menschliche Annäherung, in einem Auto gefahren zu werden.

Hindernis Benutzerhandbuch

Dabei hat sich eine Gruppe der TU Chemnitz mit der adaptiven Cruise Control (ACC) beschäftigt, ein Abstandstempomat, der bereits in vielen – auch kleineren Segmenten – angeboten wird und nicht nur auf der Autobahn automatisch den Abstand zum Vordermann hält. Gemeinsam mit dem Spurhalteassistenten ist damit eine Vorstufe des teil-automatisierten Fahrens – wie es in der Fachsprache genannt wird – bereits praktisch erfahrbar.

Bevor allerdings der Fahrer – sollte ihm das System nicht bekannt sein – den ACC ausprobiert, muss er sich informieren. „Nur die Hälfte der Fahrzeugnutzer schaut allerdings in das meistens sehr umfangreiche Benutzerhandbuch“, sagt Matthias Beggiato von der TU Chemnitz, der gemeinsam mit dem Verkehrspsychologen Josef Krems, Marta Pereira und Tibor Petzoldt die Studie durchführte. Mögliche Lösungen, das System kennenzulernen, seien laut Beggiato das Hören über Dritte, Informationen aus der Werbung oder eine Probefahrt mit dem Händler.

Kuriose Testergebnisse mit Motorradfahrern

Mit dem nötigen Wissen legten die 15 Probanden mit einem Alter zwischen 25 und 32 Jahren, die insgesamt 10 Fahrten mit einem BMW 525 über knapp 60 Kilometer innerhalb von zwei Monaten durchführen mussten, schnell ihre Scheu ab und fassten Vertrauen zu dem System. Die den Probanden vor den Fahrten offenbarten möglichen Systemschwächen bei schmalen Objekten wie Motorrädern, engen Kurven oder stehenden Fahrzeugen schlugen zum Teil spätestens nach der fünften Fahrt von einer gewissen Unsicherheit in Sicherheit um.

Kurios dabei, dass die Probanden, die nach der ersten, zweiten, dritten, fünften und zehnten Fahrt ihre Erlebnisse in einem Fragebogen zwischen „zutreffend“ und „nicht zutreffend“ eintragen mussten. Das Kuriose dabei war, dass bei der Frage „Das ACC reagiert auf Motorräder“ alle Probanden dem System gute Noten gaben. „Dabei waren in der Durchführungszeit im November und Dezember keine Motorräder unterwegs“, sagt Beggiato, „jedenfalls wurden von den Videokameras keine Berührungen mit Zweirädern aufgezeichnet. Für den Magister der Psychologie und Pädagogik keine allzu große Überraschung. „Nicht erlebte Situationen werden zumeist positiv eingeschätzt.“

Vertrauensverlust nach Auslotung der eigenen Grenzen

Ebenso wenig überraschend ging die Vertrauenskurve der Probanden bei stehenden Objekten sowie Geschwindigkeitsdifferenzen nach einem schnellen anfänglichen Höhenflug zum Ende der Fahrten wieder hinunter. „Durch die zunehmende Sicherheit haben die Probanden auch mehr ausprobiert und auch ihre eigenen Grenzen zum Beispiel an stehenden Objekten ausprobiert“, sagt Beggiato. Da der Mensch aber nicht so gut reagiert wie die technischen Systeme, nimmt dann auch das Vertrauen zum System aufgrund der eigenen Unfähigkeit wieder ab.

Für Beggiato eine knifflige Sache auch im Hinblick auf das in einigen Jahren kommende teil- oder vollautomatisierte Fahren. „Da wird es kritische Zwischenphasen geben“, sagt Beggiato der Autogazette, „zumal der Fahrer mit ganz neuen Fahraufgaben beim automatisierten Fahren betraut wird. Er muss ein anderes Verhalten sich aneignen, wenn das System das Fahren übernimmt.“ Dann darf die Vertrauenskurve nach einigen Fahrten keinen Knick nach unten machen.

Beggiato schlägt deshalb vor, einen so genannten „Tutor“ im System zu installieren, der sich per Stimme nach zwei oder drei Grenzsituationen einschaltet und dem Fahrer noch einmal die Stärken und Grenzen der Systeme erklärt, um wieder Vertrauen aufzubauen. „Denn nur wenn dem Nutzern die Grenzen als Möglichkeit präsent sind, zeigen sie keine negativen Auswirkungen auf die Vertrauensentwicklung.“ Zugleich könnte der Tutor auch die Angst vor den umfangreichen Benutzerhandbüchern nehmen.

Lesen Sie morgen über die Auswertungen einer Studie zum Verhalten der Insassen beim vollautomatisierten Fahren

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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