«Die Konkurrenz sagt Krise, wir Angriff, Angriff, Angriff»

BMW-Motorradchef Hendrik von Kuenheim

«Die Konkurrenz sagt Krise, wir Angriff, Angriff, Angriff»
Hendrik von Kuenheim will in diesem Jahr weiter wachsen. © BMW

BMW rechnet in diesem Jahr auf dem Motorradmarkt mit einem neuen Rekordabsatz. Man plane mit einem Wachstum von mindestens fünf Prozent», sagte Motorrad-Chef Hendrik von Kuenheim der Autogazette.

Der Münchner Motorradhersteller BMW setzt ungeachtet der weltweiten Absatzkrise auch in diesem Jahr auf ein deutliches Wachstum. «Ich gehe davon aus, dass wir mindestens um fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr beim Absatz zulegen können. Per Februar liegen wir bei plus 6 Prozent», sagte BMW-Motorradchef Hendrik von Kuenheim im Interview mit der Autogazette. BMW Motorrad hatte im Vorjahr mehr als 104.000 Fahrzeuge an Kunden ausliefern können und damit trotz des rückläufigen Motorradmarktes einen neuen Rekordabsatz erzielen können.

«Talsohle im Motorradgeschäft nicht erreicht»

Mit Blick auf die weltweite Absatzsituation der Motorradhersteller zeigt sich Kuenheim pessimistisch. Die Talsohle im Motorradgeschäft sei noch nicht erreicht. «Leider ist nicht davon auszugehen, dass sich die weltweiten Motorradmärkte schnell erholen werden, auch wenn es mit Brasilien, Frankreich oder den USA Ausnahmen gibt».

Dass es für BMW Motorrad deutlich besser als für die Konkurrenz läuft, führt Kuenheim darauf zurück, dass man auch in Krisenzeiten in neue Modelle investiert habe. «Die Konkurrenz sagt Krise, Krise, Krise, wir Angriff, Angriff, Angriff. Im Übrigen hat BMW schon immer antizyklisch investiert. »

«Wir arbeiten sehr intensiv an einem E-Scooter»

Konzept eines E-Scooters von BMW BMW

Autogazette: Herr von Kuenheim, wer in der Zukunft weiter Erfolg haben will, der muss sich schon heute auf die veränderten Mobilitätsbedürfnisse seiner Kunden einstellen. Würden Sie dieser Aussage zustimmen?

Kuenheim: Natürlich.

Autogazette: Warum können Sie Ihren Kunden dann bislang noch kein entsprechendes Angebot unterbreiten?

Kuenheim: An welches Produkt denken Sie denn?

Autogazette: Ich denke dabei nicht an einen Maxi-Scooter mit Verbrennungsmotor, den Sie ab April mit der BMW C 600 Sport oder der C 650 GT anbieten, sondern an ein elektrisch angetriebenes Zweirad.

Kuenheim: Wir arbeiten sehr intensiv an einem E-Scooter. Aber zwischen dem, was heute technisch darstellbar ist und dem, was der Kunde wünscht und bereit ist dafür auszugeben, klafft derzeit noch eine große Lücke, die noch geschlossen werden muss. Der Kunde will zwar mindestens 100 Kilometer Reichweite haben, obwohl er im Schnitt pro Tag nur rund 30 Kilometer fährt. Doch den hohen Mehrpreis auf Grund der heutigen Batteriekosten will er nicht bezahlen. Entsprechend wird es noch dauern, bis sich ein E-Roller im Markt durchsetzen wird.

«Erst kommen die Kollegen mit dem Elektroauto»

Die BMW C 600 Sport BMW

Autogazette: Wann kommt denn der von Ihnen bereits angekündigte Elektro-Roller von BMW?

Kuenheim: Der Starttermin steht noch nicht fest.

Autogazette: BMW wird sein erstes Elektroauto Ende 2013 auf den Markt bringen. Ist davon auszugehen, dass ein E-Roller früher als ein E-Auto auf den Markt kommt?

Kuenheim: Nein, das wird er nicht. Denn der Elektro-Roller basiert auf vielen technischen Komponenten, die sich im BMW i3 oder im BMW i8 wiederfinden. Erst kommen die Kollegen mit dem Elektroauto, dann wir mit dem Elektro-Roller.

Autogazette: Dann wird es ein solches Produkt frühestens im Jahr 2014 geben?

Kuenheim: Sicher nicht vor 2014. Nochmal: Erst kommen der BMW i3 und der BMW i8, erst danach folgen weitere Produkte. Viel hängt beim Zweirad von der Kostenentwicklung bei der Batterietechnik ab. Momentan ist ein E-Roller wirtschaftlich gesehen noch kein Geschäftsmodell.

Autogazette: Viele Autobauer sind auf dem Weg zu einem Mobilitätsdienstleister und sind wie Smart bei Car2Go oder BMW bei DriveNow ins Carsharinggeschäft eingestiegen. Würde es nicht Sinn machen, bei DriveNow auch Motorräder oder Roller anzubieten?

Kuenheim: Als BMW Motorrad überlegen wir uns, sich in diesem Bereich zu engagieren. Dazu werden wir Mitte März mit Vertretern der Stadt Barcelona erste Gespräche führen. Doch das Modell des Carsharings ist nicht ohne weiteres auf das Motorrad zu übertragen. Denn für das Motorrad brauchen sie einen Helm und Schutzkleidung, was einer spontanen Nutzung entgegensteht.

Autogazette: Weshalb führen Sie dann die Gespräche in Barcelona, wenn einige Argumente dagegen sprechen?

Kuenheim: Weil wir schauen wollen, ob wir da nicht doch etwas machen können. Aber hier befinden wir uns noch in einer sehr, sehr frühen Phase, wo wir das Für und Wider prüfen.

«Die Talsohle ist noch nicht erreicht»

Die beiden neuen Scooter von BMW BMW

Autogazette: Weshalb führen Sie die Gespräche mit einer ausländischen Kommune und nicht mit einer deutschen?

Kuenheim: Weil es dort eine größere Motorradkultur gibt und die Leute aufgrund des Wetters 365 Tage im Jahr Motorrad fahren können.

Autogazette: Beunruhigt es Sie, dass Autobauer wie VW und Smart einen E-Scooter anbieten wollen?

Kuehnheim: Das Motorradgeschäft ist sehr schwierig, entsprechend gelassen sehen wir solchen Absichten entgegen, zumal wir in Deutschland der einzige Hersteller mit Motorrad-Kompetenz sind.

Autogazette: Im Vorjahr hatten Sie aufgrund der Krise auf dem Motorradmarkt zurückhaltend auf das Jahr 2012 geblickt. Ist die Talsohle erreicht?

Kuenheim: Nein, die Talsohle im Motorradgeschäft ist noch nicht erreicht. Im Frühjahr und im Sommer des Vorjahres sah es kurzfristig danach aus, als ob der Abschwung gestoppt sei. Doch im Herbst ist der Motorrad-Weltmarkt noch weiter abgestürzt; im November und Dezember gab es ein zweistelliges Minus. Auch die ersten beiden Monate des Jahres 2012 waren sehr schlecht. Es gab deutliche Einbrüche in Italien und Spanien. Leider ist nicht davon auszugehen, dass sich die weltweiten Motorradmärkte schnell erholen werden, auch wenn es mit Brasilien, Frankreich oder den USA Ausnahmen gibt.

«Wir haben immer antizyklisch investiert»

Die BMW S 1000 RR BMW

Autogazette: BMW entwickelt sich indes gegen den Markt. Mit 5237 verkauften Motorrädern und
einem Absatzplus von 11,1 Prozent konnten Sie den stärksten Januar
in der Geschichte von BMW Motorrad feiern. Wie erklären Sie sich das?


Kuenheim: Wir haben immer antizyklisch investiert und unsere Entscheidungen nicht vom Abschwung auf dem Motorradmarkt beeinflussen lassen. In den zurückliegenden fünf bis sechs Jahren haben wir massiv auf Expansion gesetzt und sind in neue Segmente gegangen, so beispielsweise mit der S 1000 RR oder unserem Sechszylindermodell. Die Konkurrenz sagt Krise, Krise, Krise, wir Angriff, Angriff, Angriff. Im Übrigen hat BMW schon immer antizyklisch investiert.

Autogazette: Sie konnten im Vorjahr etwas mehr als 104.000 Motorräder absetzen. Welches Absatzziel haben Sie angesichts von gleich sechs Neuheiten für dieses Jahr?

Kuenheim: Wir setzen auf weiteres Wachstum. Ich gehe davon aus, dass wir mindestens um fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr beim Absatz zulegen können. Per Februar liegen wir bei plus 6 Prozent.

Autogazette: Im April schicken Sie mit dem C 600 Sport und dem C 650 GT Ihre neuen Maxi-Scooter auf den Markt. Wie viele Einheiten wollen Sie absetzen?

Kuenheim: Im ersten vollen Jahr – also erst in 2013 - rechnen wir mit 10.000 Einheiten, doch es können auch gerne noch mehr werden. Die Konkurrenz setzt sogar noch mehr ab, wenn ich zum Beispiel an den Yamaha TMAX denke. Weshalb soll BMW also mit seinen zwei tollen neuen Produkten nicht noch mehr absetzen können? Beim Preis liegen wir circa 100 Euro über dem japanischen Wettbewerber. Im zweiten beziehungsweise dritten Jahr nach Marktstart wollen wir mit unseren Scootern in den Bereich der Japaner kommen.

Autogazette: Das heißt?

Kuenheim: In Spitzenzeiten wie dem Jahr 2008 lag Yamaha in der Größenordnung von 28.000 Einheiten und selbst in Krisenzeiten wurden 15.000 bis 16.000 Einheiten abgesetzt. Ich sehe keinen Grund, warum wir das in zwei, drei Jahren nicht auch schaffen sollten, auch wenn Yamaha mit diesem wirklich guten Fahrzeug eine erfolgreiche Historie hat.

«Können nur existieren, wenn wir profitabel sind»

Die BMW R 1200 GS ist der Bestseller im Programm BMW

Autogazette: Welche Kunden wollen Sie mit den beiden neuen Scootern ansprechen?

Kuenheim: Das wird von Land zu Land variieren. Die großen Märkte für unsere Scooter werden Italien, Frankreich und Spanien sein. Wir gehen aufgrund der Marktforschung davon aus, dass zum Beispiel in Spanien 50 Prozent der Erstkäufer vom Auto auf den Scooter umsteigen werden.

Autogazette: Eine Kannibalisierung erwarten Sie nicht?

Kuenheim: Eigentlich nicht. Wenn überhaupt, dann vielleicht in Frankreich, wo zumeist die RT-Modelle von BMW gekauft werden. Dort wird dieses Modell von vielen Pendlern benutzt. Sie könnten gegebenenfalls sagen, dass ihnen zukünftig ein Scooter reicht.

Autogazette: Die beiden Scooter kosten etwas mehr als 11.000 Euro. Kann BMW eigentlich nur teuer?

Kuenheim: Wir richten uns nach dem Markt. Wir können nur existieren, wenn wir profitabel sind. Wir haben bewusst gesagt, dass wir uns im Segment der Maxi-Scooter engagieren wollen. Beim Preis orientieren wir uns am etablierten Wettbewerb. Jetzt haben wir im oberen Segment angefangen, doch wir können auch anders. Natürlich ist ein Markt mit Fahrzeugen der Preisklasse um die 6000 Euro größer, doch dabei müssen sie jede Schraube zweimal durchrechnen, aber darstellbar ist auch das.

Autogazette: Der Motor der beiden Scooter wird bei Kymco in Taiwan produziert. Ist das ein Modell für die Zukunft?

Kuenheim: Wir arbeiten schon seit Jahren mit einigen Partnern zusammen, beispielsweise mit Rotax in Österreich, dem chinesischen Partner Lonchin oder Kymco in Taiwan. Wenn wir zukünftig in neue Segmente einsteigen werden, kann es sein, dass die Motoren von einem dieser Partner gefertigt werden. Wenn man 85 Prozent der Produkte exportiert, kann man nicht sagen, wir lassen alles zu 100 Prozent in Deutschland produzieren.

Autogazette: In Brasilien haben sie ja auch ein Werk...

Kuenheim: ...ja, hier bauen wir mittlerweile seit zwei Jahren Fahrzeuge. Dort geht es steil nach oben. Nach 5400 verkauften Fahrzeugen rechnen wir in diesem Jahr bereits mit 6500 bis 7000 Fahrzeugen. Wir sind als erster und derzeit noch einziger europäischer Hersteller mit einer lokalen Produktion vertreten – und das sehr erfolgreich.

«Wir brauchen derzeit keine neuen Werke »

Die BMW K 1600 GT BMW

Autogazette: Die Maschinen von Husqvarna werden in der Nähe von Mailand produziert. Planen Sie aufgrund der Kostenvorteile mit Produktionsverlagerungen von Berlin ins dortige Werk?

Kuenheim: Es ist vorstellbar, dass wir zukünftig ein Husqvarna-Modell in Berlin bauen, wenn es denn mit einem BMW-Modell kompatibel ist. Umgekehrt kann es sein, dass wir auch ein BMW-Modell in Varese bauen, aber das beträfe eher einzelne Nischenmodelle. Boxer-Motorräder, zum Beispiel, werden weiter in Berlin gebaut.

Autogazette: Das Mailänder-Werk bietet Kostenvorteile von 35 Prozent, müsste es allein deshalb nicht zu Produktionsverlagerungen kommen?

Kuenheim: Es sind 32 Prozent. Aber nein, es muss zu keinen Verlagerungen kommen. Deutschland ist Weltmeister bei den Innovationen und der Effizienz. Diese Kostenvorteile muss man richtig einschätzen: die reinen Montagekosten liegen bei einigen hundert Euro. Gemessen am Gesamtpreis eines Motorrads sind 32 Prozent von den Montagekosten ein kleiner Betrag.

Autogazette: Gemeinhin sagt man, dass die Produktion dem Markt folgt. Ist das bei Ihnen anders?

Kuenheim: Nein, wir brauchen derzeit keine neuen Werke. Wenn wir mit dem Scooter 10.000 Einheiten absetzen, kommen wir in Berlin so langsam an die aktuellen Kapazitätsgrenzen. Entsprechend muss man sich mittelfristig Gedanken über neue Investitionen machen. Aber Berlin ist und bleibt unser Produktionsstandort Nr. 1.

Das Interview mit Hendrik von Kuenheim führte Frank Mertens

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